Klaus Wolschner 

Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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II
Politik
und Medien

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen

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Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges

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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

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Der Rechtswissenschaftler Wolfgang Hoffmann-Riem war von 1995 bis 1997 Hamburger Justizsenator.
Von 1999 bis 2008 gehörte er dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts an.

Wolfgang Hoffmann-Riem:

Politiker in den Fesseln der Mediengesellschaft

Auszüge aus: Politische Vierteljahrsschrift 2000, 41. Jg, S. 107 ff FORUM,

l. Medien in der Demokratie

Medien — so das Bundesverfassungsgericht — sind ein wesentliches Element der Demokratie, und sie sollen mit dazu beitragen, den Bürgerinnen und Bürgern eine fundierte Meinungsbildung in öffentlichen Angelegenheiten zu ermöglichen. Medienfreiheit gilt deshalb als eine unverzichtbare Voraussetzung einer demokratischen Ordnung.
Der vom Bundesverfassungsgericht betonte Beitrag der Medien zur Demokratie ist nicht als Rechtspflicht ausgestaltet worden und ist damit keine der jeweiligen Medienorganisation vorgegebene, rechtsverbindliche und damit einklagbare Aufgabe. Ein Beitrag zum Funktionieren der Demokratie ist gleichwohl medienpolitisch und verfassungsrechtlich erwünscht. Die Erwartung ist, dass sich eine vielfältige, zur Orientierung und Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger hilfreiche Information durch eine vielfältige Struktur der Medien, insbesondere durch das Nebeneinander mehrerer publizistisch und ökonomisch konkurrierender Organisationen, ergibt. Vor dem Hintergrund dieses verfassungstheoretischen Konzepts ist es nicht vorrangig wichtig, ob ein einzelner Journalist klug oder dumm, stark oder schwach ist, ob er in guter oder schlechter Absicht handelt. Eine solche Spannbreite menschlicher Qualitäten gibt es überall. Wichtig ist aber das strukturell Prägende der Arbeit der Medien, das Typische, das, was vermutlich auch dann bliebe, wenn die handelnden Personen durch andere ausgetauscht würden. Politiker sind in der Mediengesellschaft auf Öffentlichkeit angewiesen. Ihr Erfolg hängt zunehmend von Medienkompetenz (auch Telegenität u.a.) ab. In der Medienarbeit erfolgreich zu sein, ist nicht nur wichtig, weil Politiker meist wieder gewählt werden wollen, sondern auch, weil sie vieles nicht ohne öffentliche Unterstützung oder nicht gegen massiven öffentlichen Widerstand durchsetzen können. Zu dieser Außenwirkung der Medien kommt ihre Binnenwirkung in dem vom jeweiligen Politiker verantworteten Bereich (Ressort) hinzu. Auch dessen Angehörige beziehen einen Großteil ihres Wissens aus den Medien. Das öffentliche Image z.B. eines Ministers oder Senators wirkt daher in seine tägliche Arbeit zurück, bei einem Justizminister etwa auf die Bereitschaft in den Gerichten, in den Strafvollzugsanstalten oder in der Ministerialbürokratie, seine Politik zu unterstützen. Auch die Durchsetzungskraft im Kollegium des Kabinetts oder im Parlament wird durch das öffentliche Ansehen mitbestimmt. Auch wegen solcher Binnenwirkungen nutzen Politiker Medien zur Erleichterung ihres Erfolges und sie wehren sich, wenn sie die Sorge haben, Medien würden den Erfolg ihrer Arbeit zerstören. Andererseits wollen Journalisten sich nicht von Politikern benutzen lassen. Solch ein Gegeneinander von Interessen ist für eine pluralistische Demokratie etwas Normales. Die Wissenschaft fragt daher, wie Politiker Medien instrumentalisieren, aber auch, wie Medien die Handlungsformen und Erfolgschancen der Politik beeinflussen, insbesondere wie Politiker sich den Erfolgsbedingungen der Medien anpassen. Über das Mit- und Gegeneinander von Journalisten und Politikern ließe sich vieles sagen, auch über wechselseitige Instrumentalisierungen, Missverständnisse oder Symbiosen. Der folgende Beitrag greift ein Teilelement heraus, nämlich die Frage nach den Handlungszwängen der Politiker und den dadurch beeinflussten Chancen, Informationen aus ihrem Handlungsfeld und ihre eigenen Positionen über die Medien an die Bürgerinnen und Bürger transportieren zu können, und zwar in möglichst authentischer Weise. Die folgende Darstellung ist nicht das Ergebnis eines empirischen Forschungsprojekts, sondern der Beobachtung durch einen handelnden Politiker selbst. Sie stammen aus meiner aktiven Zeit als Justizsenator in Hamburg, sind also Eindrücke aus der Betroffenenperspektive.

2. Vertraulichkeit als Ware

Politiker, die für ihren Erfolg auf Medien angewiesen sind, benötigen Zugang zu den Medien. Dieser kann über berichtenswerte Ereignisse geschaffen werden; es hilft aber auch, persönlichen Zugang zu den Akteuren der Medien zu haben, insbesondere ein Vertrauensverhältnis zu Journalisten aufzubauen. Dies wiederum gründet sich selten vorrangig auf Sympathie und Freundschaft, sondern ist meist ein auf wechselseitigen Vorteilen beruhendes „Arbeitsverhältnis". Zugang stellt sich nicht von selbst her. Manche Politiker setzen dafür eine „Ware" ein, mit der sie „handeln", und das ist Vertraulichkeit. Journalisten wollen möglichst exklusiv berichten oder jedenfalls einen Vorsprung vor Anderen haben, und sei es nur einen zeitlichen. Deshalb sind für sie vertrauliche Informationen verlockend. Manche Politiker nutzen dies zur selektiven Information einzelner Journalisten über nichtöffentliche Vorgänge. Die erhoffte Gegenleistung ist ein Vorsprung in der Mediendarstellung, vielleicht auch ein Gewogensein der Journalisten. Eine andere Gegenleistung ist die durch die Publikation eröffnete Verbesserung der Ausgangsposition in einem Streitfall. Wenn ein brisantes Thema im Senat ansteht, taucht der Sachverhalt manchmal ein oder zwei Tage vorher „unerklärlicherweise" in den Medien auf; sobald öffentlich von dem Anliegen berichtet worden ist, wird es für den Senat schwierig, von dem Vorhaben abzurücken, auch wenn die Beratung zu erheblichen Einwänden führt. Medien schaffen Zwänge.

3. Nachrichtenwert als Münze (und Waffe, kawe)

Von Politikern wird erwartet, dass sie öffentlich bemerkt werden. Auch dürfte bei fast jedem Politiker Eitelkeit mit im Spiel sein, wenn er ein Ministeramt, also ein Amt mit ausgeprägter öffentlicher Aufmerksamkeit, annimmt. In der Wissenschaft werden die zur Auswahl genutzten Kriterien als „Nachrichtenwerte" oder „Nachrichtenfaktoren" bezeichnet. Einen besonders hohen Nachrichtenwert haben das Spektakuläre, das Dramatische, das Personifizierte und vor allem der Misserfolg. Eine schlechte Nachricht ist bekanntlich die beste Nachricht. Journalisten suchen deshalb auch nach dem Misserfolg, Politiker möchten aber gern nur gute Nachrichten über sich produzieren oder jedenfalls nur über „gute" Dinge, also Erfolge, Berichte lesen. Der Konflikt ist vorprogrammiert. Die Bedeutsamkeit der Nachrichtenwerte gibt einzelnen Politikbereichen strukturelle Vorsprünge in der Medienaufmerksamkeit. Sie machen erklärlich, warum es auch in der Justiz einen Bereich — den des Strafvollzugs — gibt, der ein begehrtes Objekt der Berichterstattung ist, und dies nicht nur, weil er in die Nähe des „Bösen", der kriminellen Andersartigkeit führt. Im Strafvollzug gibt es immer wieder Spektakuläres - Ausbrüche, Meuterei, Straftaten beim Ausgang. Die laufende Arbeit hat demgegenüber fast keinen Nachrichtenwert Journalisten suchen nach Unzufriedenen, den Empörten. Durch ihren Aufschrei, möglichst ihren harschen oder durch spektakuläre Aktionen untermauerten Protest, kann eine an sich journalistisch langweilige Nachricht einen Nachrichtenwert erhalten.

4. Populismus als Versuchung

Politik ist komplex, politische Entscheidungen sind meist kompliziert. Dies fordert die Medien, ja überfordert viele, insbesondere die Boulevardpresse und die AV-Medien Hörfunk und Fernsehen. Vereinfachung ohne Verfälschung ist eine hohe Kunst, für Politiker wie für Journalisten. Meist gelingt eine Mediendarstellung nur mit erheblichen Einbußen an Korrektheit. Häufig genutzte Strategien sind der Rückgriff auf Stereotype, die Erinnerung an schon Bekanntes, insbesondere an verbreitete Vorurteile, und vor allem die Orientierung am Massengeschmack. Genutzt vom Politiker wird dies zum Populismus. Für den Justizbereich ist die Law and Order-Medodie immer wieder die Begleitmusik für populistische Verkürzungen. Hier kann an verbreitete Weltbilder von Gut und Böse, an archetypische Bedürfnisse nach Vergelten und Strafen, an einfache Rezepte von Zucht und Ordnung angeknüpft und das verbreitete Vorurteil genutzt werden, hartes Durchgreifen sei immer noch das Beste.

5. Trendsurfen als Erfolgsstrategie

Populismus ist eine Unterart einer Strategie, die sich am gerade Gängigen, am weithin Geglaubten und für wichtig Gehaltenen orientiert. Für Journalisten ist fast nichts so unerträglich, wie wenn Konkurrenten etwas veröffentlichen, über das sie selbst nicht berichtet haben. Deshalb orientieren sich die Medien so stark an dem, was Andere berichten. Journalistinnen und Journalisten studieren die Tagesschau, die Radionachrichten und die anderen Tageszeitungen, um die allgemeine Aufmerksamkeit und den Trend zu kennen. Natürlich möchte jedes Medienorgan zusätzlich etwas Besonderes bringen, aber das Übliche, das wollen die Journalisten selbstverständlich auch. Die Orientierung am Populismus und die Absicherung durch Nachahmen sind gute Grundlagen, um einen Trend nicht zu verpassen. Medienberichterstattung ist meist trendorientiert. Als ich neu in die Politik kam, gab mir eine wohlmeinende, selbst sehr kritische Politikerin den Rat: „Wenn Sie den Weg in die Medien finden wollen, dann müssen Sie ,trendsurfen'. Gleiten Sie auf der Woge öffentlicher Aufmerksamkeit. Haben die Medien ein Thema entdeckt, dann bleiben sie erst einmal dabei." Heutige Medien sind allerdings keine Generalanzeiger, und sie beziehen Position, und zwar nicht nur in ausdrücklich so gekennzeichneten Kommentaren. Die „Linie des Blattes", der „Stil des Senders" sind Kürzel für das legitime Anliegen, mehr sein zu wollen als Dokumentare des Verhaltens Anderer. Medien machen Politik und wollen und dürfen dies auch. Medien führen manchmal auch Kampagnen zu bestimmten Themen mit bestimmten Botschaften. Politisch wirken sie auch durch das, was sie nicht bringen oder an unauffälliger Stelle verstecken.

6. Visualisierbarkeit als Schlüssel zur Aufmerksamkeit

In allen Medien sind Bilder immer wichtiger geworden; die Leser- und Zuschauerschaft wurde „bilderverwöhnt". Eine visualisierte Nachricht hat daher die besten Publikationschancen. Justizpolitik produziert allerdings keine spektakulären Bilder. Ein publizistischer Renner ist der elektronisch überwachte Hausarrest. Als ich die elektronische Fessel an meinem Fuß anlegte, ging ein Blitzlichtgewitter los - vorausschauend hatte ich die Wahl meiner Socken gut bedacht.

7. Helden und Zweikämpfe als Darstellungsmuster

Abstrakte Themen eignen sich nicht für die Massenmedien. Die Personifizierung eines Problems ist ein üblicher Weg, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Besonders gut eignen sich Konflikte, noch besser, wenn sie archetypische Formen des Kampfes oder Duells nutzen. So wird ein sachlich ausgetragener Meinungsstreit zwischen Justiz- und Innensenator darüber, wer für die Abschiebehaft zuständig sein soll, in der Mediendarstellung zu einem „schweren Zerwürfnis". Die Auseinandersetzung im Senat über eine komplizierte Bezirks-Verwaltungsreform wird zu einem überregionalen Medienereignis, weil der Justizsenator öffentlich gegen den Ersten Bürgermeister antritt und das Ganze durch eine Rücktrittsdrohung des Bürgermeisters besondere Dramatik enthält. Als Kampf „David gegen Goliath" ist das Thema von besonderem publizistischem Belang. Als sich die Kontrahenten dann doch verständigten, erlosch das Interesse sofort, und über das friedensstiftende Ereignis wurde kaum noch berichtet. Medienwirksam ist auch das Muster „einer gegen alle". Es bildete den Rahmen einer lang anhaltenden regionalen und überregionalen Berichterstattung über „lasche und laue Richter". Die Medien schätzen nicht nur Sonderlinge, sondern sie unterstützen es, wenn klare Antipoden auftreten. Diese Rolle eines Gegenübers zu Richter Schill pflegt ein anderer Hamburger Amtsrichter zu spielen, Achim Katz. Er ist seit Jahren der Ansprechpartner der Medien, wenn es um die Darstellung der Gegenposition zu Law and Order geht. So forderte Katz auf dem Höhepunkt eines Law and Order-geprägten Wahlkampfes in Hamburg, alle Gefängnisse abzuschaffen. Ein solcher Richter eignete sich bestens als unterhaltsamer Gegenpol Schills in Talkshows. Repräsentativ für Hamburger Richter ist keiner von beiden. Die schwierige Frage nach dem richtigen Umgang mit Straftätern wurde auf zwei extreme Positionen reduziert, personalisiert durch zwei extreme Persönlichkeiten — die Medien spielten Katz und Schill.

8. Authentizität als Gegner


Meine Laufbahn als Rechtswissenschaftler hatte ich in den sechziger Jahren mit einem Aufsatz über den Ehrenschutz von Politikern publizistisch begonnen. Es ging um die Frage, welche Anforderungen an die Beweisbarkeit von journalistischen Tatsachenbehauptungen in Berichten über Politiker beachtet werden müssen (Hoffmann 1966). Ich hatte mich für den Grundsatz „Im Zweifel für die Pressefreiheit" ausgesprochen und das Argument akzeptiert, Politiker hätten ja Möglichkeiten, gegen Kritiker selbst in die Öffentlichkeit zu gehen und die Tatsachen richtig zu stellen. An diese These glaube ich nicht mehr uneingeschränkt. Sicherlich haben Politiker Zutritt zu Medien, mehr als die meisten Bürger. Politiker - vielleicht mit Ausnahme einiger Spitzenpolitiker - haben jedoch fast keine Chance, ihre Position authentisch darzustellen -es sei denn, ihre Darstellung liege im Trend, habe einen hohen Nachrichtenwert u.a. Ist dies nicht der Fall, bleibt fast kein Zugang zur Öffentlichkeit, es sei denn, der Politiker will sich über presserechtliche Gegendarstellungen wehren - dies ist auf Dauer eine selbstmörderische Strategie—oder er lässt sich zur Richtigstellung in die Leserbriefspalten abdrängen. Journalisten deuten Korrekturwünsche häufig als Kritik. Erst recht schätzen sie es nicht, wenn eine zu einer plakativen Aussage reduzierte Formulierung vom Interviewten im Interesse der Authentizität mit Nuancen versehen wird. Ein Politiker, der sich eine positive Grundeinstellung des Interviewers für die Zukunft bewahren will, übt also Zurückhaltung in der Korrektur und konzentriert sich auf die gröbsten Fehler. Immerhin, im Printbereich gibt es dank der Möglichkeit des vorherigen Lesens gewisse Einflussmöglichkeiten. Im Radio und Fernsehen sind Politikerinnen und Politiker dagegen fast wehrlos — außer sie erhalten die Chance zum Live-Interview. Diese aber wird nur selten eingeräumt, sicherlich auch, weil manche Live-Interviews langweilig sind. Vermutlich aber auch, weil die Medien bei ihnen die Filterherrschaft verlieren. Zu den Zwängen der Medienarbeit gehört nämlich, dass die Medien ständig über die Attraktivität jedes einzelnen Beitrags wachen und dass die Journalisten feste Standards ihrer Berichterstattung- im Formellen wie im Inhaltlichen - beachten (müssen). Sie selbst Überraschendes, Unerwartetes in dem von ihnen verantworteten Beitrag ist für Journalisten deshalb riskant. Sie wollen im übrigen selbst entscheiden, wie die Realität als Medienrealität konstruiert wird. Im Regelfall schneiden die Radio- und Fernsehredakteure die Texte aus Interviews zusammen, allerdings ohne dass es noch eine Kontrolle durch die Interviewten gibt — etwa der O-Töne daraufhin, ob sie unvollständig oder gar in einem sinnentstellenden Kontext gebracht werden. Bei den meisten Journalisten können Politiker allerdings darauf vertrauen, nicht „reingelegt" zu werden. Denn auch Journalisten brauchen ja die Politiker. Nicht das absichtliche Entstellen ist daher das Problem, wohl aber der Verlust der 'Herrschaft der Interviewten über den Inhalt und Sinn der eigenen Aussage. Anschauungsmaterial für die folgenden Beobachtungen sind insbesondere Regionalsendungen der privaten überregionalen Fernsehsender. Noch vor wenigen Jahren wünschten die Fernsehreporter meist kurze Statements, 30 oder 15 Sekunden lang. Ich kann Aussagen bei Bedarf fast auf die Sekunde maßschneidern und gehe deshalb gern auf ein solches Ansinnen ein, wenn ich dadurch Herr meiner Aussage bleibe. Voraussetzung einer solchen Vorgehensweise ist, dass der Journalist weiß, was er fragen will, und dass er eine Vorstellung von dem redaktionellen Kontext hat.

9. Waffengleichheit als Fiktion

Politiker geraten schnell auf die Anklagebank der Medien, haben es aber - so meine These - schwer, sich öffentlich angemessen zu verteidigen. Dies gilt manchmal selbst dann, wenn sie sich in einem persönlich formulierten Interview äußern dürfen.

10. Medienberichte als Wirklichkeitskonstruktion

Medienberichterstattung ist eine journalistische Konstruktion von Wirklichkeit — so wie auch Politik eine Konstruktion von Wirklichkeit ist. Das war schon immer so und kann auch gar nicht anders sein. Es gibt immer unterschiedliche Zugänge zur Realität. Deswegen ist es grundsätzlich auch nicht überraschend, dass die von einem Medienbericht Betroffenen fast nie den Eindruck haben, dass er „richtig" ist, also auch ihrer Sicht der Realität entspricht. Bei ihren journalistischen Rekonstruktionen einer erlebten Realität gehen Journalistinnen und Journalisten nach meiner Erfahrung meist in guter Absicht vor, wenn auch gelenkt durch die Eigenlogik journalistischer Arbeit und die Zwänge der jeweiligen Organisation, aber auch durch persönliche Vorverständnisse. Die Folge kann sein, dass von dem eigentlich zu Berichtenden nur eine Fratze übrig bleibt. Ein Beispiel: In der Evangelischen Akademie hatte ich einen Vortrag über die Krise des Rechts gehalten. Er galt allgemeinen Entwicklungen in Recht und Gesellschaft, befasste sich also nicht mit Spezifika in Hamburg. Nur ein einziges Mal hatte ich Hamburg erwähnt, und zwar unter Hinweis darauf, dass es in Hamburg einige besonders lange, wenn nicht die längsten Strafverfahren gibt. Ausdrücklich hatte ich hinzu gefügt, dieser Befund bedeute kein Versagen der einzelnen Richter; er sei vielmehr mit neuen Formen der Kriminalität gekoppelt und auch eine Folge der strukturellen Überlastung des Rechts und der Gerichte. Die Berichterstattung in der Bild-Zeitung schrieb mir schon in der Überschrift den Satz zu: „Hamburgs Justiz ist Meister der Langsamkeit". Im Text hieß es dann „Veraltet, verkrustet, langsam. Das ist Hamburgs Schnecken-Justiz. Gestern sprach Senator Prof. Wolfgang Hoffmann-Riem vor der Evangelischen Akademie über die ,Krise des Rechts'. Traurige Wahrheit: Nirgendwo brauchen die Gerichte länger als in der Hansestadt. Hoffmann-Riem: Wir sind die deutschen Meister der Langsamkeit." Als dies von Hamburger Richtern gelesen wurde, war die Empörung über mich verständlicherweise groß. In einem justizinternen „Info" bemühte ich mich um eine Richtigstellung, ob mit Erfolg bei den Empörten, möchte ich bezweifeln. Unzutreffende Berichte über Äußerungen können die politische Arbeit ganzer Monate gefährden. Ich war immer bemüht gewesen, in der Justiz Vertrauen in meine Arbeit aufzubauen und die Gerichte zur Mitarbeit an einer Reform der Justiz zu bewegen. Die Berichte über angebliche richterkritische Äußerungen in meinen Reden verbreiteten sich in Windes-eile in der Justiz.

11. Nachbemerkung

Ich wollte Muster des Medienverhaltens identifizieren, die einerseits illustrieren, wie schwer es für Politiker ist, die ihnen wichtigen Ereignisse und eigene politische Einschätzungen über Presse und Rundfunk in die Öffentlichkeit zu transportieren und die andererseits erklärbar machen, dass Medien kaum Einblick in das Normale, das Alltägliche politischer und administrativer Arbeit vermitteln. Ich wollte zeigen, dass die Medien den Politikern nur höchst selten Möglichkeiten eröffnen, sich authentisch darzustellen. Dieser Punkt scheint mir besonders wichtig zu sein, da Sachfragen gegenwärtig vorrangig in personalisierter Weise transportiert werden. Authentizität dürfte eine wichtige Voraussetzung von Glaubwürdigkeit sein. Glaubwürdigkeit aber ist eine Qualität, die Politikern häufig abgestritten wird. Eine Mediendarstellung, die den Politikern Authentizität verweigert, verwendet medieneigene Personenkonstrukte. Die in den Medien erfolgende Personalisierung von Politik ist folglich keine Reduktion von Politikdarstellung auf die handelnden Personen, sondern auf ein medienproduziertes Konstrukt des Personellen. Das häufig kritisierte Glaubwürdigkeitsdefizit macht sich an diesem Konstrukt fest. Unterlassen Medien nachhaltige Einblicke in die Alltäglichkeit politischen und administrativen Arbeitens, verweigern sie Politikern die Gelegenheit, ihre politischen Einschätzungen über Presse und Rundfunk zu transportieren und sich authentisch darzustellen, dann fehlen den Bürgerinnen und Bürgern wichtige Informationen über Politik. Die Tauglichkeit der Berichterstattung in den Medien, Grundlage der Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger zu sein, wird beeinträchtigt. Das Bundesverfassungsgericht spricht davon, dass die Medienfreiheit der Meinungsbildungsfreiheit diene (BVerfGE 57, 195,319). Biedenkopf (l 997: 119f.) hat sogar den Gedanken der Sozialpflichtigkeit für die Medien bemüht. Unstreitig sind Medien wichtige Instanzen beim Funktionieren einer Demokratie. Der Trend besteht in Erscheinungen wie Boulevardisierung, Skandalisierung und Stereotypisierung. Damit sind die Medien nicht vorrangig „Transportmedien" der Information, sondern „Faktoren" aktiver, häufig strategischer, unter anderem an dem Markterfolg der Medien orientierten Neukonstruktion sozialer Wirklichkeiten. Zur Rechtfertigung wird häufig gesagt, andere Inhalte und Darstellungsformen als die von den Medien gewählten interessierten die meisten Rezipienten nicht. Wer als Medienorgan Erfolg haben wolle, müsse sich den Marktgesetzlichkeiten anpassen. Das ist im Wesentlichen wohl richtig. Aber weil das so ist, muss über das Verhältnis von Demokratie und Medien neu nachgedacht werden, auch darüber, ob die unter anderen Rahmenbedingungen entwickelte rechtliche Stellung der Medien noch angemessen auf diese Medienrealität abgestimmt ist.