Klaus Wolschner 

Über den Autor

Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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II
Politik
und Medien

Über traditionelle Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

POP 55

ISBN: 978-3-752948-72-1
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Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges

2 VR Titel

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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

2 GG Titel

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Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen

2 AS Cover

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Zur Typologie des Verhältnisses von Medien und Politik:

Das 20. Jahrhundert:
Politik und Medien im ersten Jahrhundert der Demokratie

2021

Diskussionen über die Bedeutung der Medien für die Demokratie müssen unbefriedigend bleiben, wenn „Demokratie“ als eine Konstante Struktur politischer Herrschaft betrachtet wird. Dabei ist den Demokratien nur gemeinsam, dass das Volk irgendwie letztlich der Souverän ist – irgendwie, wie auch immer. Die historischen Formen, wie diese demokratische Souveränität zum Zuge kommt, sind allerdings so unterschiedlich, dass es hilfreich ist, differenzierende Begriffe zu verwenden. Wenn man die Demokratie-Evolution im 20. Jahrhundert beschreiben will, bieten sich drei Metaphern an, um die Entwicklungsschritte zu markieren: „Führerdemokratie“, „Fernsehdemokratie“ und „Netz-Demokratie“.

Was sich im Zuge der Medienentwicklung der Demokratie entwickelt hat, sind einerseits die Erwartungen des Volkes an seine Herrscher, und natürlich auch die Eingriffstiefe des politischen Handelns. Allein zwischen 1950 und 1970 hat sich die Anzahl der Staatsangestellten verdoppelt.

Führerdemokratie

Für Max Weber hat sich die Demokratie in ihren ersten Jahren als „Führerdemokratie“ dargestellt – das Volk wählte Führer. Kennzeichnend für die Führerdemokratie ist ein propagandistischer Populismus, es bedarf keiner präzisen Informationen über Politik, um Wahlen zu gewinnen. Maßstab der Politik war der Erfolg, die Hintergründe politischen Handelns blieben weitgehend war das Geheimnis der Führer.
Der sozialistische Populismus war dominant, die in Deutschland ohne besonderes eigenes Zutun  an die Macht gekommenen neuen bürgerlichen Eliten hatten dem wenig entgegenzusetzen. Es gab keine populäre Ideologie des Liberalismus, keinen „National-Liberalismus“. So griffen die bürgerlichen Eliten in der Wirtschaftskrise 1929 das Angebot auf, das der nationalsozialistische Populismus ihnen machte. Kein Zufall war offenbar, dass der sich eben auch als „Sozialismus“ bezeichnete. (siehe dazu auch MG-Link)

Fernsehdemokratie

In nur wenigen Jahren wurde in Deutschland in den 1950er Jahren das Fernsehen zum neuen Leitmedium. Das Fernsehen informierte die Menschen mehr über die Politik mit der Folge, dass sie Information verlangten. Wie genau sollten Politiker das wissen? Wie genau darf das Volk wissen, was das Volk denkt? Für die konservative Politikwissenschaft der 1950er Jahre war die Demoskopie keine Selbstverständlichkeit für die Gestaltung der Demokratie, Umfrage-Ergebnisse wurde als Geheimwissen behandelt. Der Streit ging auch darum, ob die neuen Medientechniken dazu genutzt werden sollten, Parlamentssitzungen dem souveränen Volk authentisch zu Gehör zu bringen. (vgl. dazu auch MG-Link)

Aber seit der Mitte des 20. Jahrhunderts ging die 100-jährige Ära der Gesinnungs-  und Parteipresse in Deutschland ihrem Ende entgegen, in der die Führer der Parteien die Deutungshoheit über die Informationen hatten, die dem Volk zukommen sollten. Der mediale Strukturwandel betraf nicht nur das Mediensystem, sondern die demokratische Entscheidungsfindung, die Steuerung und Legitimation moderner Gesellschaften. Hintergrund ist auch ein sozialer Wandel. Die klassischen, normsetzenden Institutionen wie Schule, Religion, Armee, Parteien verlieren an Bedeutung. Die Medienangebote versorgen nicht mehr soziokulturelle Milieus mit Orientierung, Sinn, Gemeinschaft, sondern vereinzelte Individuen. Die politische Orientierung gehört nicht mehr zu den biografischen und sozialen Bindungen, in die jedes Individuum hineinwächst und die es „mitbringt”, sondern wird zum Bereich von individueller Orientierungs-Suche.

Die Medien wurden unabhängiger vom politischen System in dem Maße, in dem die Marktlogik über ihren Erfolg und Misserfolg entschied. Die Medienunternehmen lösen sich von Parteien, Verbänden und Verlegerfamilien. Im Sinne der Marktlogik können sie ihr eigenes Publikum „suchen“, ihre Selektions- und Interpretationslogik orientiert sich an den Chancen, die Aufmerksamkeit des Publikums zu wecken. An die Stelle der Orientierung an gewachsenen Sozialbedingungen treten neue Produkte, die auf der Basis von Zielgruppenkonzeptionen entwickelt werden.
In dem neuen Wettbewerb um Aufmerksamkeit spielen Bilder eine Schlüsselrolle. Es war die Hochzeit der Illustrierten, des Kinos und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts dann des neuen Leitmediums Fernsehen.  

Das Politische wird zum Produkt.

Aufmerksamkeits-Logiken der Medien stehen quer zu den traditionellen Vermittlungs-Routinen der politischen Akteure: Politik kann nicht mehr über die Verbandsspitzen die Massen erreichen, sondern muss sich medialisiert direkt an den Wähler richten. Parteien, parlamentarische Fraktionen und Verbände mit ihren Vermittlungsorganen werden abgelöst von einem Mediensystem, das seine Nachrichten direkt bei Regierung und Behörden sucht und die politische Themensetzung und Willensbildung aktiv beeinflusst.

Das verändert die Werbe-Erfordernisse der Politik, die sich denen des privatwirtschaftlichen Marketings anpasste. Über Medien vermittelt sich die Allokation von Aufmerksamkeit und das Sozialprestige von Akteuren (Prominenten) in modernen Gesellschaften. Selbst der Konsum wird durch ein gezieltes Marketing moralisch aufgeladen. Selbst Pop- und Rockkonzerte verkaufen sich besser, wenn sie für einen guten Zweck und eine tolerante Welt stattfinden.

Der Erfolg der außerparlamentarischen Protestbewegung in den späten 1960-er Jahren zeigt, dass nicht-etablierte Akteure eine gewisse Chance haben, über medienwirksamen Aktionsformen Aufmerksamkeit zu erregen - wenn auch zunächst im Sinne von Skandal-Aufmerksamkeit bei der Übertretung von Regeln (etwa den Rasen). In der medialen Resonanz von Bürgerinitiativen und „non governmental-organisations“ zeigen sich die Chancen von nicht-etablierten Akteuren. Seit den 1990-er Jahren führt der Zerfall der interpretativen Kraft der Großideologien nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes zu einer Vergrößerung der Neugier auf nicht-etablierte Akteure.

Politik erfordert medien-zentriertes Eventmanagement, Personenzentrierung und Konfliktinszenierung. Medien übernehmen aufgrund des  Aufmerksamkeits-Wettbewerbs eine aktive Rolle in einer Kultur der Skandalisierung. Auf der Suche nach „bad news“ endet Demokratie längst nicht mehr vor den Fabriktoren, Skandale von Unternehmen und ihres Führungspersonals gehören inzwischen zum Medienalltag.

Politik kommunizierte sich immer schon über Personen. Die Personalisierung des Politischen war das Erfolgsrezept der Illustrierten seit dem 19. Jahrhundert. In den 1950-er Jahren kamen die ersten bunten Bilder in die Illustrierten, seit den 1960-er Jahren wurde Fernsehen zum wichtigstes Medium der Personalisierung.

Politikdarstellung gleicht sich im Fernsehen strukturell der Unterhaltung an. Damit knüpft die medialisierte moderne politische Öffentlichkeit an die Mentalität der Gerüchte-Öffentlichkeit an, in der im vorrevolutionären Frankreich im 18. Jahrhundert die Autorität von Adel und Krone untergraben wurde.

Und nicht anders als bei Ludwig XVI in den Jahren vor der Französischen Revolution ist die Darstellung persönlicher-privater Authentizität ein wichtiger Faktor des politischen Marketings in der Fernsehgesellschaft. Die Kameras nehmen aber nicht nur das große politische Theater der mediengerechten Inszenierungen auf, sondern filmen die politischen Stars wo immer diese aus den Hinterzimmern herauskommen.
Politische Positionen werden kommunikativ mehr einzelnen Individuen zugeordnet als Parteien oder Verbänden. Parteien und Verbände selektieren ihr Führungspersonal nach ihrer eigenen internen Logik, entscheidendes Erfolgskriterium ist aber die Medien-Affinität und mögliche Medien-Präsenz. Das erforderliche Charisma von Führungspersönlichkeiten entscheidet sich in der Medienwirkung ihrer Auftritte. wenn es nicht mehr das Vorrecht der verdienten Parteifunktionäre ist, die „Spitzenkandidaten” auszusuchen, sondern dazu „Mitglieder-Befragungen” veranstaltet werden, dann zeigt das, wie Medienentwicklung auch die Parteistrukturen umkrempelt - die meisten Mitglieder kennen „ihre” führenden Politiker nur aus den Medien.

In der freien, marktabhängigen Presse geht es um aufregende Themen.  „Macht“ und „Stars“ (Personen) haben Nachrichtenwert, daher die Fokussierung auf die Exekutive. Wenn Politiker auf allen Kanälen publikumsorientiert „talken“, werden die durch die institutionalisierten Regeln des Parlaments geprägten Debatten langweilig, weil sie nichts Neues mehr bringen können und wenig unterhaltsam sind. Die Zeitungen und online-Portale berichten weniger über die Parlamentsdebatten als über die politischen Talk-Shows.

Für die Prioritätenordnung politischer Probleme werden so die Selektionsregeln des Mediensystems entscheidend. Das politische Personal nimmt natürlich über die Medien Einfluss auf die Agenda der politischen Medienöffentlichkeit.

Mediale Kulissen der politischen Wirklichkeit

Wenn Ereignisse von Seiten der Medien produziert werden, wenn die politischen Akteure sich den Input-Erfordernissen des Mediensystems anpassen, wenn die Visualität auf Kosten des Argumentativen geht (eine Nachricht ohne Bilder ist im Fernsehen keine Nachricht), wenn der Redaktionsschluss das Ende einer Debatte erzwingt, wenn die Modezyklen der Medienprodukte die Agenda der Politik beeinflussen, dann ist Demokratie zur „Mediokratie“ geworden (Thomas Meyer).

Die neuen Kommunikationsanforderungen führen zu einer Zentralisierung der politischen Organisationen in Richtung Präsidialparteien. Ergebnisoffene und gemeinschaftsorientierte Binnenkommunikation der Parteien würde in Konflikt stehen mit den Erfordernissen ergebnis- und personen-orientierten Außenkommunikation.

Die moderne Medien-Öffentlichkeit permanenter Politikbeobachtung, wie sie das Fernsehen ermöglicht und geschaffen hat, hat seit den 50-er Jahren das Wissen über Politik vervielfacht und für die Öffentlichkeit einen Zugang zu der „Hinterbühne“ der Politik eröffnet (Joshua Meyrowitz). Die Politik hat allerdings darauf reagiert, indem einerseits bestimmte Vorgänge besonders abgeschottet werden, vor allem aber andererseits Konflikte mediengerecht inszeniert, um diese mediale Öffentlichkeit mit Stoff zu „füttern”.

In dem Maße, wie die Öffentlichkeit die politischen Akteure mehr beobachtet, durchschaut und zu kontrollieren scheint, bedient sich die Politik professioneller Stäbe, um die „Vorderbühne“ auszugestalten. Zu wichtigen Anteilen befassen sich die Medien nicht mit dem Kernbereich politischer Beratung und Entscheidung (selbst die stolzen, selbsternannten „Leitmedien” unter den traditionsreichen Zeitungen), sondern mit den für die Medien inszenierten, darstellenden Elementen von Politik.

Netz-Demokratie

Seit dem Ende des 1960er Jahre entwickelte sich aus dem Informiert-Sein das Bedürfnis, mitreden. Von den gewählten Volksvertretern wurde dieses Bedürfnis, mitzureden, zunächst als unlegitimierter Anspruch „der Strasse” abgewertet, aber der Prozess der Delegitimation des politischen Handelns der gewählten Eliten war nicht aufzuhalten: Das betraf in den 1960er Jahren zunächst Rassenpolitik im Kernland der westlichen Demokratie, den der USA, es betraf die alten europäischen Mächte, die ihre Kolonien nicht loslassen wollten, es eskalierte schließlich im weltweiten Protest gegen den Vietnamkrieg der USA. Die Forderung nach „mehr Demokratie” war zunächst noch angewiesen auf die traditionellen Medien, die Presse und das Fernsehen. Im 21. Jahrhundert bekam der Anspruch, mitzureden, seine eigene medialen Plattformen - im Internet.  (mehr dazu siehe unter MG-Link)

Natürlich können die Bürgerinitiativen die politischen Führer nicht kontrollieren, das politische Handeln ist viel zu komplexe. Aber Bürgerprotest kann die politischen Führer verunsichern und Einfluss nehmen auf große Linien der Politik - die Debatte um die Atomkraftwerke und um die Bedeutung der Umweltpolitik wäre das wichtigste Beispiel.
Zu einem wichtigen Teil konzentriert sich der artikulierte Unmut der Bevölkerung auch auf die Form, in der die demokratischen Führer sich präsentieren. Das souveräne Volk will Führer, dem es vertrauen kann. Ein Beispiel dafür wäre die Debatte um den Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (2011). Da ging es an keiner Stelle um seine Politik, darüber weiß das Publikum nichts. Ob er überhaupt eine politische Wirkung gehabt hat, spielte keine Rolle. Ob er persönlich Anteil hatte an der für die BRD historischen Entscheidung, die Armee der „Bürger in Uniform“ abzuschaffen - immerhin eine wichtige Legitimationsfigur der Wiederbewaffnung in den 1950-er Jahren - und eine Berufsarmee einzuführen, ist nicht bekannt. Die Medienberichterstattung konzentrierte sich auf seine mediale Performance – zunächst auf die Inszenierung des Aufbaus einer politischen Medienpersönlichkeit bis hin zu der Frage, ob er einen guten Kanzlerkandidaten geben könne, dann auf die Dekonstruktion in Folge des Plagiat-Vorwurfs. Im Grunde haben sich die Medien an ihrer eigenen Kreation abgearbeitet.

Ein anderes Beispiel ist die Berichterstattung über die ökonomische Globalisierung und den Transfer politischer Macht an supranationale Institutionen. Die Medien sind weitgehend national ausgerichtet, ihr traditionell in nationalen Kategorien gebildetes Publikum interessiert sich für internationale Entwicklungen eher wenig oder dann vor allem, wenn es um Skandale geht oder wenn nationale Interessen negativ betroffen sind. So haben die Kritiker der europäischen Einigung mit ihren „bad news“ immer eine gute Presse und volle Aufmerksamkeit.
Im Schatten der intensiven Aufmerksamkeit für vergleichsweise kleine Skandale entwickelt sich das globalisierte ökonomisch-politische Machtgeflecht. Die Repräsentanten der Nationen inszenieren „G7“- und „G8“-Gipfel, um für die Medien auf diesem Felde Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Und weil bei den G8-Gipfeln die Fernsehkameras der Welt aufgebaut sind, mobilisieren die Kritiker ihre Anhänger für große Protestdemonstrationen - um als Teil des Geschehens auf der Medienbühne wahrgenommen zu werden.

 

siehe auch die Überblicks-Texte

Die politische Elite zwischen „Pöbel“ und Zivilgesellschaft

Das 18. Jahrhundert - Hören-Sagen-Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit

Das 19. Jahrhundert - Neuordnung des Hintergrundwissens
durch Volksaufklärung und Massenpresse

Das 21. Jahrhundert - Politik in der digitalen Gesellschaft