Klaus Wolschner

Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

www.medien-gesellschaft.de


II
Politik
und Medien

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen

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ISBN 978-3-7418-5475-0
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Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges

2 VR Titel

ISBN 978-3-7375-8922-2
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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

2 GG Titel

ISBN 978-3-746756-36-3
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Medialisierung - zur Typologie
des Verhältnisses von Medien und Politik

2013/20

„Medialisierung” ist seit einigen Jahren der Fachbegriff geworden für die Beschreibung und Analyse der zunehmenden „medialen” Durchdringung des gesellschaftlichen Lebens und auch des politischen Alltags. Hier soll es um eine Betrachtung des Wechselverhältnisses von medialer Kommunikation und politischer Sphäre gehen, die durchaus früher beginnt als die Erfindung von TV und Twitter. Kommunikationsmedien sind vermittelnde Zeichenträger. Das primäre Kommunikationsmedium ist bis heute die Stimme mit ihren flüchtigen Lauten. Zu den materiellen Zeichenträgern der Kommunikation zählen die Schriften und die elektronisch verbreiteten Bilder, aber eben auch die alten Kathedralen. Der Prunk der Könige und der Kirchen ist Zeichenträger, er soll – wie bis heute die Limousinen und die Banken-Fassaden - die Botschaft von Reichtum und Macht verkünden. (s. die Texte Was meint Medium und Anwesenheits-Kommunikation)

Politische Machthaber mussten immer schon ihre Politik kommunikativ erklären und wurden beobachtet. In vordemokratischen Verhältnissen waren das die „einflussreichen" Familien, Patrizier, in Athen die „freien Männer". Die ägyptischen Pyramiden sind beredte Zeugnisse davon, dass auch antike Herrscher es sich zuweilen einiges kosten ließen, ihre Macht auch dem Volk zu demonstrieren. Wenn im alten Rom Macht mit „Brot und Spielen" legitimiert und abgesichert wurde, kommt damit ein vordemokratischer Rechtfertigungszwang zum Ausdruck, der auf allen Registern von Unterhaltung spielte.
Formen der Macht-Darstellung sind immer theatralisch gewesen. Sie waren Politik-Darstellung, weitgehend unabhängig von den Mechanismen der Politik-Gestaltung.
Der alte Cicero hat über die Kunst, sich als Kandidat für die Wahl zum hohen Staatsamt zu präsentieren, einen veritablen Aufsatz geschrieben.
Der berühmte Gang nach Canossa der Kaisers Heinrich (1076/7) war im Kern theatralische Politik-Darstellung, adressiert an die herrschenden Kreise und an das Volk, zur „Entscheidungspolitik" schickte er später seine Truppen nach Rom.
Der italienische Aufklärer Machiavelli hat im 15. Jahrhundert ein ganzes Buch geschrieben über die Notwendigkeit der theatralischen Politik-Darstellung. Der über Jahrhunderte populäre Text „De principe" endet mit einem Satz, der die bis heute gültige Rechtfertigung für die Theatralisierung auf den Punkt bringt: „Denn der Pöbel hält sich immer an den Schein und den Erfolg; und in der Welt gibt es nur Pöbel.“ Machiavelli hat dies quasi medientheoretisch begründet: „Die Menschen urteilen im allgemeinen mehr nach dem, was sie mit den Augen, als nach dem, was sie mit den Händen wahrnehmen; denn allen ist es vergönnt zu sehen, aber nur wenigen zu berühren. Alle sehen, was du scheinst, aber nur wenige erfassen, was du bist.“ (Niccolò Machiavelli)
Die Reformation im 16. Jahrhundert war geprägt von den Möglichkeiten und der Wirkung einer neuen Kommunikationsmacht - den massenhaft gedruckten Flugschriften und Flugblätter.
Und dass die revolutionären Erhebungen des Jahres 1848 europaweit zeitlich verbunden stattfanden, ist ein Ergebnis der Möglichkeiten aktueller Berichterstattung und europaweit kommunikativ angeglichener Auffassungen von Volk und Herrschaft im aufgeklärten Bürgertum.
Wie die Geschichte der populären Gerüchte zeigt, waren die Menschen immer skeptisch gegenüber den Selbst-Theatralisierungen der Macht und haben gern schlechte Nachrichten über ihre Herrscher verbreitet.

Was also ist neu an der „Medialisierung” der Politik?

Die Öffentlichkeit, der gegenüber politisches Handeln begründet werden muss, verschiebt sich mit der Geschichte der Medien. Die Entfaltung der Zeitungen zu Massenmedien im 19. Jahrhundert verändert die „Öffentlichkeit” genauso wie die elektronischen Medien Fernsehen und Computer-Netz. „Pseudoplebiszitarisierung” gab es auch im alten Rom, aber die Technik der Meinungsumfragen hat sie zu einem Instrument des politischen Alltags gemacht. Die moderne Gesellschaft hat den Menschen „flexibel” gemacht, die massive Einbindung der elektronischen Medien in den Lebensalltag hat andere Bindungen - gewachsene familiäre Traditionen wie lokale Milieuzugehörigkeiten - verdrängt und die Bedeutung festgefügter gesellschaftlicher wie politischer Institutionen vermindert. Neue Bindungen ergeben sich leichter und vermittelt über die kommunikativen Trends des globalen orientierten Medien- und Meinungsmarktes.

An dieser Stelle kann kein differenzierter historischer Überblick gegeben werden, es geht um einige holzschnittartige Interpretationslinien, um  Typologien  des Verhältnisses von Medien und Politik  herauszuarbeiten.

Die Herrschaftsform des Absolutismus gründete sich noch auf eine Selbstinszenierung der Macht, die das Volk mit Zeremonien einzubinden suchte und Respekt für das herrschaftliche „Geheimnis” einforderte. Diese Form visueller Herrschaft entsprach einer tradierten Kommunikations-Kultur der Sichtbarkeit. Die zunehmende Zirkulation von Druckerzeugnissen zerstörte die Aura des Geheimnisses und ließ davon nur Geheimniskrämerei übrig, von der Zeremonie blieb die Folklore. Für die reformierte Kirche stand nicht mehr die Teilnahme an der Zeremonie, sondern das Hören von Gottes Wort im Zentrum des Gottesdienstes.

Die Durchdringung der Gesellschaft mit Druckerzeugnissen veränderte das „Denkbare” und damit das Bewusstsein der Menschen - Rudolf Schlögl hat die Veränderungen der Öffentlichkeit und damit der Politik unter Druck-Bedingungen der frühen Neuzeit beschrieben.

So kann für das 17. (insbesondere für England) bis weit ins 18. Jahrhundert festgestellt werden, dass über Zeitungen und Druckwerke neue Ordnungen des Wissens verbreitet wurden. Die politische „Öffentlichkeit” aber, wenn man für die Städten überhaupt davon sprechen will, war noch geprägt von direkter Kommunikation, Hören-Sagen und Gerüchten.

In der Mitte des 19. Jahrhunderts begannen Zeitungen in großer Auflage, mit ihrer Ordnung des politischen Wissens die Kultur der Gerüchte zu verdrängen. Die meisten Zeitungen propagierten dabei ihre Weltsicht, waren in dem Sinne „Parteizeitungen”. Die für die Gerüchte-Kommunikation typische Form von Klatsch und Tratsch wurden zum Erfolgsrezept und Geschäft für die „Illustrierten”.

Das 20. Jahrhundert integriert das Bild in die Druckmedien. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts wird das Fernsehen zum neuen Leitmedium. Es verändert nicht nur die Gesellschaft (Joshua Meyrowitz sagt:  Fernsehgesellschaft), sondern auch die Politik, die mit der Eigenlogik des Fernsehens eine Symbiose eingeht („Mediokratie) und zunehmend Kulissen auf der „Vorderbühne” ausbaut - großes politisches Theater für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in der Mediengesellschaft.

Das 21. Jahrhundert wird das des digitalen Netzes sein. Auf die Zeitungen und Sender der „Fernsehgesellschaft” konnte die Politik noch Einfluss nehmen, die Meinungsmacher und neuen Akteure des Netzes sind für die Politik so unkalkulierbar wie die Protagonisten der Gerüchte-Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert. 

Vor dem 18. Jahrhundert - Hören-Sagen-Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit

Das 19. Jahrhundert - Neuordnung des Hintergrundwissens
durch Volksaufklärung und Massenpresse

Das 20. Jahrhundert - Politik und Medien in der Fernsehgesellschaft

Das 21. Jahrhundert - Politik in der digitalen Gesellschaft  MG-Link

Die Idee einer „liquid democracy” - Erbe der repräsentativen Demokratie?