Klaus Wolschner 

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Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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II
Politik
und Medien

Über traditionelle Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

POP 55

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Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges

2 VR Titel

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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

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Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen

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Politik und Symbole:
Repräsentation, Aufklärung, Verschleierung

2020/2015

Nach dem überwältigenden Erfolg der Ästhetisierung und Inszenierung von Politik in der Nazi-Zeit war in den 1950er Jahren unter kulturkritischen deutschen Intellektuellen eine distanzierte Haltung zum rhetorischen und symbolischen Beiwerk der Politik vorherrschend. Die Kritische Theorie lehnte nicht nur „Kulturindustrie” generell ab, Propaganda und Werbung wurden als Bedrohung für das Ideal einer auf rationalem Diskurs und argumentativer Überzeugungsfähigkeit aufbauenden Bürgerdemokratie angesehen. Das Postulat einer „rationalen, auf ungezwungenen Konsens zielenden Debatte“, die sich allein vom „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“ bei der „kooperativen Wahrheitssuche“ (Jürgen Habermas) leiten lässt, ist aber eine bildungsbürgerliche Ideologie. Die logische Konsequenz wäre eine Begrenzung des demokratischen Subjekts auf eine scheinbar allein rational handelnde Elite.

Aber Politik ist nun einmal nicht „pur" als interesselose Sorge um die Sache zu haben. Politik ist das Spiel von Interessenlagen, Politik wird gleichzeitig nur erkennbar über ihr „Design", ihre Darstellungs-Seite. Das Spannungsverhältnis zwischen Sach-Politik und Darstellungs-Politik existiert, seitdem politische Herrschaft ausgeübt und über kommunikative Mittel legitimiert wird. Eine Politik-Darstellung, die sich wesentlich an eine Elite richtet, wäre undemokratisch.

Demokratie braucht Repräsentation auf der politischen Bühne

Verantwortungsvolle Wahrnehmung von Freiheit in der Politik bedeutet nicht die blinde Verfolgung eigener Interessen. Freiheit ist (nach Hannah Arendt) die Möglichkeit, in einer mit anderen geteilten Welt zu handeln. Wo im privaten Konflikt Interessen durchaus unversöhnlich konkurrieren und gegenüberstehen, müssen „auf der politischen Bühne“ Kompromisse darüber gefunden werden, wieviel die Steuerzahler von ihrem Einkommen für das Sozialwesen aufbringen sollen. Das ist nicht rein rational zu entscheiden und vermutlich auch nicht durch eine Volksabstimmung – es erfordert komplexe Aushandlungsprozesse. Vorstellungen von Gerechtigkeit entstehen aus privaten Interessenkonflikten direkt Betroffener. Die Legitimität einer sozialen Ordnung als „grundsätzlich gerecht” muss partielle Ungerechtigkeiten erträglich erscheinen lassen und große Ungerechtigkeiten mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft einbinden, dies kann nur auf einer repräsentativen Ebene von Politik gelingen, die viele Privatkonflikte verallgemeinern muss. Politische Entscheidungen finden in einem Netz von Aushandlungsprozessen statt, zu denen auch die Ergebnisse früherer Entscheidungen gehören. Gerechtigkeitsdefizite werden mit der Hoffnung auf zukünftige Wahlerfolge der „richtigen” Partei erträglicher.

In diesem Sinne produziert die politische Bühne der Repräsentation Wirklichkeiten, die sich nicht unmittelbar aus einer privatistischen Interessenvertretung ergeben können. Rechtsstaat, soziale Sicherheit, allgemeine Menschenrechte und andere Normen sind Kreationen auf der politischen Bühne. Die Repräsentanten sollen nicht schlicht die Interessen ihres Klientels vertreten, sondern diese einbringen in ihre Verantwortung für die öffentlichen Angelegenheiten. Sie müssen mehrheitsfähige Kompromisse suchen, die sie im Zweifelsfall in die Schusslinie ihrer Lobby bringen. Verantwortung für die öffentlichen Angelegenheiten muss gelernt werden, Politik ist nicht die Verlängerung des Wahlkampfes.

Der Meinungsstreit und der Prozess der Kompromiss-Findung auf der politischen Bühne ist also „pädagogisches Theater“ im besten Sinne - die Repräsentierten lernen in der Abarbeitung an dieser politischen Debatte, in welchem übergreifenden Kontext ihre Interessenartikulation steht. Die Interessenträger lernen, ihre egoistischen Ziele in einem neuen, sozialen Kontext zu bewerten. „Politische Öffentlichkeit“ ist daher ein komplexer Prozess, in dem es nicht nur um die Vermittlung „von unten nach oben“ geht, sondern auch um die Vermittlung der Aspekte übergreifender politischer Rationalität - von oben nach unten.

Ohne diese „politische Bühne“ der professionellen Repräsentanten gäbe also keine Politik, sondern nur Straßenkampf. Das Scheitern von Räte-Strukturen findet seine Erklärung darin, dass sie kompromiss-unfähig waren, also letztlich politik-unfähig.
Kein Wunder, dass radikal-plebiszitäre politische Konzepte der „Selbstregierung“, die als Utopie im Straßenkampf aufflackern, in der Regel sehr schnell in Akklamations-Formen für autoritäre Führungs-Strukturen übergehen.

Politik ist immer auch symbolische Politik

Politik ist stets symbolische Praxis, schon weil die politischen Institutionen, auch demokratische, ihrer Funktion nach symbolische Gebilde sind. Politische Schlagworte, Ideen von „Freiheit“, Gleichheit“, „Brüderlichkeit“ oder „Gerechtigkeit“ oder von „göttlicher Gnade“ sind - wie Fahnen oder rituelle Handlungen - symbolische Zeichen. Natürlich können komplexere politische Inhalte durch Symbole verfälscht und vertuscht werden, sie können aber auch „auf den Punkt“ gebracht werden.

Ernst Cassirer formuliert in seiner „Philosophie der symbolischen Formen” die Einsicht, dass unser gesamtes Wirklichkeitserleben durchgehend durch Symbole konstituiert ist. Das Wirklichkeits-Bewusstsein ist eine geistige Konstruktion, kein schlichtes Abbild der materiellen Realität. Mentale Wirklichkeitsbilder sind kulturelle Interpretationen, sinnhafte Interpretationen von materiell Sinnlichem. Denn die Welt ist für den Menschen nicht unmittelbar gegeben. Der Mensch erkennt die Welt, indem er sie in seinem geistigen Erleben reproduziert und damit eine Welt der Symbole schafft. Der Mensch ist ein „symbolisches Wesen", ein „animal symbolicum“ (Cassirer). 

Symbole sind Bausteine bei der „gesellschaftlichen Konstruktion der Wirklichkeit“. Symbole integrieren die Alltagswelt in andere, „höhere“  Sinnprovinzen, in religiöse Denksysteme und in historische wie moralische Selbst-Interpretationen einer Gesellschaft. Symbolisch generierte „Sinnwelten" integrieren die Sinnhaftigkeit individuellen Erlebens in einen Kontext  gesellschaftlichen Wissens und strukturieren so rückwirkend zugleich das Alltagserleben.

Menschliche Wirklichkeits-Wahrnehmung, die den unmittelbar körpersinnlich erfassbaren Erlebniskreis  überschreitet, kommt ohne symbolische Konstruktionen nicht aus. Gemeinschaften werden über Symbole konstruiert. Das gilt für Religionsgemeinschaften genauso wie für staatliche Gebilde. Menschen neigen dazu, die symbolischen Ebenen der Realität von ihrem Alltagsverständnis her zu interpretieren, um die fremden Bereiche der Realität, die sie nicht unmittelbar selbst erleben können, in das Weltbild ihres Alltagserlebens zu integrieren. Insbesondere moralische Werte sind „Brücken“ aus dem Alltagserleben in die komplexe, große weite Welt. „Gerechtigkeit“ etwa kennt jeder aus dem familiären Erleben, „Gerechtigkeit“ wird auf die Ebene politischen Handels projiziert, die eigentlich ein Kampfplatz von Interessen ist. Politische Identifikation vermittelt sich leichter über personalisierte moralische Wertschätzung als über eine Fülle komplizierter und kontroverser Detail-Positionen in Sachfragen.

Da Symbole die Wirklichkeitswahrnehmung strukturieren, sind sie Instrumente von Macht und von Machtkämpfen. Gemeinsame Wahrnehmungsmuster sind Resultat von politischen Kämpfen um diese symbolischer Macht. Bei einem wesentlichen Teil des über die Medien vermittelten politischen Streits geht es darum, wer seine Deutungsangebote durchsetzen kann. Herrschende Deutungsangebote sind wesentlich für den Zusammenhalt und für die Legitimation einer politischen Richtung(s-Partei) wie für ein Gemeinwesen insgesamt. 

Symbole stiften kollektive Identität

Kollektive Identität, die über Symbole gestiftet wird, kommt mit rationalen Begründungen nicht aus, sie basiert wesentlich auf emotionalen Bindungswirkungen, die in der Regel von Personen symbolisiert werden. Vertrauenswürdige Personen sind aus der Alltagswelt gewohnt und bilden daher populäre, leicht übertragbare Verstehens-Muster.

Symbole stiften Legitimität insbesondere durch die Mobilisierung von emotionalen Mustern und Werten. Symbolische Kürzel sind  eine notwendige Voraussetzung, um angesichts komplexer Erwartungslagen eine (politische) Orientierung zu ermöglichen. „Gute“ Symbole wären demnach solche, die politisches Handeln einigermaßen angemessen wahrnehmbar für die Masse machen, „schlechte“ symbolische Politik wäre solche, die die Realität unangemessen verzerrt. Symbolische Politiksurrogate treten in Wahlkämpfen besonders stark hervor, da diese Inszenierungen und Selbst-Stilisierungen der politischen Bewerber sind.

Demokratische Politik ist noch mehr auf Legitimation und damit auf ihre Darstellungsseite angewiesen als Politik in vordemokratischen Strukturen, die sich vor allem in elitären Teilöffentlichkeiten kommunikativ rechtfertigen musste. „Denn demokratische Öffentlichkeit rekrutiert sich nicht mehr aus den elitären Zirkeln eines kritisch räsonierenden Bürgerpublikums, das in Sorge um das Gemeinwohl zusammentrifft” - und auf das gemeine Volk und seine vordemokratisch strukturierte „Öffentlichkeit” im Grunde nur herabblickt. Demokratische Politik gibt es nicht ohne „organisierte Prozesse zur Erzeugung von Massenpublizität”. (Ulrich Sarcinelli)

Öffentliche Meinung entsteht aber nicht erst in der Massendemokratie als Produkt aktiver Meinungspflege von organisierten Interessen, prominenten Akteuren, staatlichen und nichtstaatlichen Institutionen. Die Geschichte der demokratischen Teilhabe der Volksmassen ist auch die Geschichte einer wachsenden Bedeutung von Medienpräsenz für Politiker. Gerade die Personalisierung ist in keiner Weise ein neues Machtkommunikations-Phänomen - sakrale Herrschaft, monarchische wie imperiale Herrschaftsformen basieren seit jeher auf Strategien der Personalisierung. Der Soziologe Erving Goffman hat in seinen Beobachtungen der Alltagskommunikation festgestellt, dass „wir alle Theater spielen” und dass insofern Phänomene der Theatralisierung und der Personalisierung für menschliche Kommunikation allgemein typisch sind.

Die moderne Demokratie muss mit dem Resonanzboden des modernen elektronischen Mediensystems fertig werden, das keine „Pausen” der publizistischen Periodizität mehr kennt. Die visuelle Präsenz der Herrscher-Persönlichkeit ist nicht mehr ein besonderes und besonders eindrucksvolles Ereignis wie etwa der Besuch einer politischen Führungspersönlichkeit. Die elektrischen Medien machen die Intensität und die Manipulierbarkeit visueller Eindrücke zum politischen Alltags-Erleben. Die mediale Beobachtung der Politik scheint allumfassend, entsprechend atempausenlos ist auch das Bemühen um umfassende politische Inszenierung zur Legitimation durch Kommunikation.

Was passiert, wenn ein Herrschaftssystem, das auf diese mediale Beobachtung und Kontrolle nicht eingestellt ist, dennoch mit voller Wucht damit konfrontiert wird?  Das hat am Musterbeispiel der Endphase der DDR Jens Reich beschrieben. Der Einfluss gerade des Fernsehens sei unglaublich gewesen, schreibt Reich, eine „massive Wechselwirkung zwischen tatsächlichem Ablauf und elektronischem Schein" habe es gegeben. Die teils übertriebene, jedenfalls aufgeregte Darstellung der Westmedien lähmte die Anhänger des Systems, weil sie nicht auf derselben Ebene reagieren konnten. Für die Regimegegner bedeuteten die West-Medien eine ungewohnte, dramatisiert inszenierte Selbstbeobachtung und führte zu einem lawinenartigen Verstärkungseffekt.

Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer beklagt eine zunehmende „Inszenierung des Scheins" und entwickelt aus der wachsenden Bedeutung des Mediensystems für die Politik die Hypothese, Medien und Politik könnten zu einem System von „Mediokratie” verschmelzen. „Nicht nur die Struktur der Darstellung des Politischen, sondern auch seine Herstellung” würden mediatisiert: „Welche Themen auf den Tisch kommen, welche Politikerin oder welcher Politiker Aufstiegschancen hat, wer die Führung übernimmt und wie groß ihre oder seine Spielräume zur Definition ihrer oder seiner Politik sind - gegenüber der eigenen Partei, gegenüber den Kontrahenten und gegenüber der Öffentlichkeit -, wird durch mediale Vermittelbarkeit und Mediencharisma mitentschieden. Wo beides nicht gegeben ist, haben Themen und Interessen, auch wenn sie im Hinblick auf Gerechtigkeit, Zukunftsfähigkeit und das Gemeinwohl wichtig wären, wenig Aussicht auf Berücksichtigung. Politainment schneidet ins Fleisch der guten Politik.” (Meyer) 

Dass die Sach-Politik von den zunehmenden Darstellungs-Anstrengungen überflutet wird, fürchtet Ulrich Sarcinelli nicht. „Auch für Symbolproduzenten wird symbolische Politik dann kontraproduktiv, wenn das politische Symbolprinzip mit dem politischen Realitätsprinzip dauerhaft in Konflikt kommt.” Die dichte Beobachtung der Politik durch die Medien führt immer wieder zur Skandalisierung von Diskrepanzerfahrungen, in denen Politiker genauso schnell abstürzen können wie sie zu personalisierten Vertrauensträgern aufgestiegen waren.

Sarcinelli formuliert angesichts der neuen, potentiell hierarchielosen Kommunikationsformen des Internets eine andere Sorge: „In einer Gesellschaft, in der es keine Interpretations- und Deutungsmonopole gibt, deren mediale - vor allem elektronische - Umwelt sich zu einem zunehmend unübersichtlichen Markt von Nachfragemedien entwickelt, werden Aufmerksamkeit, Orientierungsfähigkeit und politische Verhaltenssicherheit zu knappen Gütern.“


    Literatur-Tipps:

    Ulrich Sarcinelli: Aufklärung und Verschleierung, Anmerkungen zur Symbolischen Politik, aus: „Kunst, Symbolik und Politik", KULTURBOX 1995
       http://www.zeitreisen.de/kulturbox-archiv/buch/sarcinel.htm
    Thomas Meyer: Mediokratie  -  auf dem Weg in eine andere Demokratie? (Aus Politik und Zeitgeschichte B 15-16/2002)
          http://www.medien-gesellschaft.de/html/mayer__mediokratie.html
    Thomas
     Meyer: Die Theatralität der Politik in der Mediendemokratie (Aus Politik und Zeitgeschichte B 53/2003)
          http://www.bpb.de/apuz/27196/die-theatralitaet-der-politik-in-der-mediendemokratie?p=all
    Gerhard
     Göhler: Symbolische Politik - Symbolische Praxis. Zum Symbolverständnis in der deutschen Politikwissenschaft  (Zeitschrift für historische Forschung: Vierteljahresschrift zur Erforschung des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, Beiheft, H. 35, 2005, S. 57-69)
    Jens Reich: Die Macht der Bilder (ZEIT, 30.9.1994) 
            http://www.medien-gesellschaft.de/html/reich_macht_der_bilder.html 
    Winfried
     Thaa, Kritik und Neubewertung politischer Repräsentation: vom Hindernis zur
            Möglichkeitsbedingung politischer Freiheit   in: Politische Vierteljahrsschrift (PVS) Heft 49’2008