Klaus Wolschner 

Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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II
Politik
und Medien

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen

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Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges

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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

2 GG Titel

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Auszug aus dem Aufsatz von  Siegfried J. Schmidt: Technik – Medien - Politik

Verschmelzen Medien und Politik?


aus: Kommunikation Medien Macht, Hg. R. Maresch und Niels Werber, stw 1999

Viele Beiträger zu dem von Rudolf Maresch herausgegebenen Buch Medien und Öffentlichkeit (1996) haben gute Gründe dafür beigebracht, die traditionelle Auffassung von einer durch »Medien« konstituierten Öffentlichkeit als Raum demokratischer Willensbildung durch vernünftiges Räsonnieren ad acta zu legen. Angesichts der Proliferation von Medienorganisationen und -angeboten ist die Rede vom Massenmedium ebenso illusorisch wie die Rede von einer durch Massenkommunikation erzeugten Öffentlichkeit. Daraus kann auch der Schluß gezogen werden, daß diese Ausdifferenzierung der Sender und Programme sowie die Desintegration des Publikums die Vorstellung von der Medienmacht qua öffentliche Meinung illusorisch machen. Wenn darüber hinaus zunehmend deutlich wird, daß Medienrealitäten als Realitäten eigener Art anzusehen sind, wie es aufgrund der Reflexivität und Ausdifferenzierung des Mediensystems unvermeidlich ist, dann bricht diese Kontingenzerfahrung die Achse Macht-Medien.

Ein gutes Beispiel für das Verhältnis von Medien und Politik bietet das Schicksal von Diktaturen im Zeitalter der neuen Medien. Wie Jürgen Domes (1996) illustriert, sind Diktaturen der Tendenz der luK-Technologien zur Globalisierung, Synchronisierung und Individualisierung von Kommunikation und Information nicht gewachsen, wenn diese Technologien tatsächlich genutzt werden können. Die Macht” ist also nicht in “die Medien” eingebaut; sondern Mediengebrauch einer bestimmten Art kann dazu führen, daß die Praxis diktatorischer politischer Systeme, nur eine Art von Medien und Mediennutzung zuzulassen und alles andere gewaltsam bzw. mit Sanktionen auszuschließen, als (illegitimer) Machtanspruch beobachtbar wird. Diktaturen basieren auf gewaltsam durchgesetzten Beobachtungsrestriktionen; wer diese lockert, bringt sie zu Fall. Und Medien sind solche Lockerungsinstrumente par excellence.

Andere Machtformen sind erfordert, und eine ist sicher der schlechte alte Kommerz. Doch ehe ich auf dieses Thema eingehe, möchte ich kurz einige Thesen aus M. Stöcklers Buch Politik und Medien in der Informationsgesellschaft (1992) aufgreifen, die eine partielle empirische Plausibilisierung der Annahme Mareschs liefert, die Medien hätten alle vier Instanzen öffentlicher Gewalt übernommen. Stöckler diskutiert in seiner Arbeit drei Hauptthesen im gegenwärtigen Diskurs:
- Die Medien gewinnen die Übermacht über das politische System und tragen zur Unregierbarkeit der Gesellschaft bei.
- Unter dem Einfluß der Politik schwindet die Autonomie der Medien.
- Das Politiksystem und das Mediensystem wachsen zu einem neuen Supersystem zusammen, das jedoch nicht legitimiert ist und unabsehbare Auswirkungen auf die Demokratie haben kann. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für diese Entwicklung liegen in einer von Datenverarbeitungstechnologien bestimmten “Informationsgesellschaft”.

Die Übermachtthese wird vor allem von Noelle-Neumann, Oberreuter und Kepplinger vertreten, die »den Medien« ein enormes Wirkungspotential zutrauen und ihnen die Funktion zuweisen, in der hohen Komplexität der Gesellschaft bestimmte Meinungen als vorherrschend oder sich durchsetzend erkennbar werden zu lassen. Diese These paßt sich ein in die vom Presserechtler M. Löffler bereits 1955 vertretene These von den Medien als »vierter Gewalt«. Diese vierte Gewalt hat inzwischen (so die Übermachttheoretiker) so viel Macht- und Sanktionspotential erworben, daß sie das politische System in seinen Handlungen beeinträchtigt und zur Unregierbarkeit führt (so zum Beispiel durch die von der Neophilie des Mediensystems ausgelösten Destabilisierung des Normensystems). Gegen diese These haben unter anderem Ronneberger und Saxer eingewandt, daß das Mediensystem schon aufgrund seiner Ausdifferenzierung und Inhomogenität nicht zur gezielten Machtausübung in der Lage sei. Außerdem sei die Medienmacht grundsätzlich situationslabil und deshalb gar nicht in der Lage, Kommunikation hinsichtlich ganz bestimmter Ziele auf Dauer zu steuern.

Die These vom Autonomieverlust
des Massenkommunikationssystems gegenüber dem politischen System ist vor allem von H. Schatz begründet worden. Er sieht einen beträchtlichen Positionsverlust der Funkmedien gegenüber den etablierten Parteien und dem Staatsapparat, die ordnungs-, personal-, finanz-, organisations- und programmpolitisch die Medien zu beeinflussen versuchen. Hinzu komme die wachsende Abhängigkeit der Medien von neuen technisch-ökonomischen Entwicklungen, die Selbstkommerzialisierung der öffentlich-rechtlichen Anstalten in der Konkurrenz mit den Privaten, sowie die wachsende Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und Verwaltung, von Parlamenten und Parteien, die inzwischen sowohl die Kontrolle über die Themen als auch über das Timing der Medienberichterstattung übernommen hätten.

Die von Stöckler selbst vertretene Supersystem-These postuliert, daß die Beziehungen zwischen beiden Systemen mittlerweile derart verflochten sind, daß man von einer »Symbiose« sprechen kann, die dabei ist, sich zu einem »Supersystem« zu verselbständigen, wobei diese Entwicklung maßgeblich von den neuen luK-Techniken begünstigt wird, die eine zunehmende Vernetzung gesellschaftlicher Teilsysteme fördern und Grenzen zwischen Systemen verwischen. Der Komplexitätsgrad der neuen Netzwerke ist dabei so hoch, daß sich neue Funktionsstrukturen zu seiner Bewältigung herausbilden (müssen).

Stöckler geht aus von der von vielen Soziologen und Politologen konstruierten Mediatisierung der Politik, und zwar für den Bürger wie für den Politiker. Beide nehmen - wie U. Sarcinelli formuliert - politisches Geschehen in Form medialer Realitätskonstruktion wahr. Die Mediatisierung der Politik resultiert einerseits aus dem verstärkt drohenden Legitimationsentzug und der geringer werdenden Basisbindung der Politiker; sie resultiert andererseits aus einer Verlagerung professioneller journalistischer Kompetenz in den politischen Bereich dadurch, daß Politikvermittlung zunehmend von Medienprofis geleistet wird. Dadurch kommt es zu einer »progressiven Kommunifizierung« des politischen Prozesses (W. R. Langenbucher). Dabei prägen »die Medien« der Politik durchaus ihre Regeln und Strategien auf. Kameragerechte Politik nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage wird zu »symbolischer Politik« (U. Sarcinelli), zum »Ritual« (M. Edelman) bzw. zur »elektronischen Politik« (F. Plasser). Dabei führen Versuche einer Instrumentalisierung der elektronischen Medien, die zum Distributeur politischer Marketing-Botschaften degradiert werden (sollen), durchaus zu partiellen Autonomieverlusten »der Medien«.

Mediatisierung der Politik und partieller Autonomieverlust der Medien
führen, so Stöckler, zu einer neuartigen »politischen Technostruktur«, die das klassische Prinzip der Gewaltenteilung auflöst und zum Entstehen eines neuartigen Super-Systems führt, das von einer kaum noch durchschaubaren Arbeitsteilung zwischen TV-Journalisten und Parteisprechern gekennzeichnet ist: Die Parteien werden „Teil der Technostruktur fortgeschrittener Indutriegesellschaften“ [A. Mintzel], Politiker zu „Personen des apolitischen Starsystems“ [H. H. Fabris, K. Luger] und die Politik zu einem „specta-tor sport, with the public watching without participation“ [R. C. Wade] (Stöckler 1992, S. 268).

Der steigende Bedarf nach symbolischer Politik und enge strukturelle Arbeitsteilung führen daher zu einer »tendenziellen Verschmelzung der beiden Subsysteme Politik und Medien«, zu einem politisch-technokratischen Supersystem, in dem eine professionelle Macht- und Medienelite täglich aufs neue demokratische Herrschaft inszeniert (ebd., S. 271). Diese politische Technostruktur koppelt sich von den traditionellen Kontrollinstanzen ab und beginnt sich zu verselbständigen. Zugleich wird das Supersystem »introvertierter«, womit Stöckler wohl auf zunehmende Selbstreferenz zum Zweck der Bewältigung von Umweltkomplexität verweist, die sich in folgenden Entwicklungen dokumentiert:
- das Ritual der Politiker-Politik entfaltet ein Eigenleben zwischen professionellen Politikern und Medienmachern, das sich immer mehr vom Alltag der Wähler entfernt;
- die Bereitschaft der Politiker nimmt zu, speziell auf Hinweise in der Politikberichterstattung zu achten und die Relevanz politischer Ereignisse zu überschätzen, während sie für die Mehrheit der Bevölkerung immer marginaler wird; - politische Parteien werden zunehmend von Medien-Stars und Medien-Eliten bestimmt, die traditionelle Führungseliten aushebeln;
- da Medienpräsenz ein Privileg der Parteizentralen ist, monopolisieren sie auch die politischen Themen
- die Distanz zwischen der »Partei im Fernsehen« und der Basis vor Ort wird unüberbrückbar;
- die alte Parteibürokratie wird von einem modernen Parteimanagement abgelöst, das politisches Marketing professionalisiert;
- über die gesellschaftliche Umwelt, mit der das Supersystem nur noch intermediär in Verbindung steht, informiert es sich über politische Meinungsforschung, die den Abschluß des Systems von der Umwelt vervollständigt.

Welche Auswirkungen diese Entwicklung auf die politische Kultur wie auf die Demokratie haben wird, ist heute noch nicht abzusehen. Ob ordnungs- und steuerungspolitische Überlegungen und Modelle in Richtung auf »kommunikative Demokratie« realisierbar sind, ist heute kaum abzusehen. Daß Stöckler seine Hoffnung vor allem auf Printmedien setzt, scheint mir bezeichnend zu sein - in vielerlei Hinsicht.

 

siehe dazu u.a. auch die Texte
Thomas Meyer: Mediokratie - auf dem Weg in eine andere Demokratie?   Link
Symbolische Politik, Aufklärung und Verschleierung   M-G-Link
Die Anfänge der westdeutschen Fernseh-Demokratie    M-G-Link