Klaus Wolschner 

Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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II
Politik
und Medien

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Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen

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Schriftmagie Cover

Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
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Wirklichkeits-Konstruktion
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ISBN 978-3-7375-8922-2
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zeitungsstand 2

Presse als „vierte Gewalt“?

Zu einer gern benutzten, aber unsinnigen Metapher  

2017

Die Metapher von den Massenmedien als „vierter Gewalt“ wird gern bemüht – obwohl sie nichts zur Beschreibung des Verhältnisses von Medien und Politik beiträgt, höchstens Verwirrung.

Im 19. Jahrhundert entstand die Formulierung von den Zeitungen als „Presse“ und  der Presse als „vierter Gewalt“, sie bezog sich die Begriffe der „ersten“, zweiten“ und „dritten“ Gewalt aus der Staatsphilosophie des französischen Barons Montesquieu (De l’esprit des lois / Vom Geist der Gesetze, Genf 1748).
Montesquieu beschrieb mit diesen Begriffen die institutionelle Trennung von Legislative, Judikative und Exekutive im absolutistischen Staat. Mit Demokratie hatte diese Begriffsbildung nichts zu tun.

Wenn „alle Staatsgewalt vom Volke“ ausgeht, müsste die Rechtfertigung von Gewaltenteilung sich darauf beziehen. Schon wenn in einer repräsentativen Demokratie die Exekutive und die Judikative von der Mehrheit der Legislative gewählt werden, macht die schlichte Metapher von den drei geteilten Gewalten keinen Sinn mehr. Und da letztlich die verkaufte Auflage über den Erfolg eines Presseorgans entscheidet, geht auch hier „die Gewalt vom Volke aus“, wenn man so will. Jedenfalls vom zahlungskräftigen Volk.

Was die Begriffe für die Presse zudem problematisch macht, ist die Tatsache, dass zum Beispiel  die Legislative als eine Versammlung zur Gesetzgebung berechtigter Personen, egal ob sie vom Volk gewählt oder eingesetzt wurden, zur „Gewalt“ nur werden kann aufgrund von verfahrensmäßig geregelten Mehrheitsbeschlüssen. Auch Exekutive und Judikative werden durch „Beschluss“ zum Träger von Staatsgewalt.
Der wilde Haufen der Presse hat aber nichts zu beschließen, es gibt keinen Konsens- oder Beschlusszwang. Im Gegenteil – Konkurrenz bestimmt das Verhältnis der verschiedenen Presseorgane. Schon deswegen kann von der Presse keine „Gewalt“ ausgehen, solange jedenfalls Pressefreiheit herrscht. Wenn keine Pressefreiheit herrscht, ist sie Teil der Exekutive.

Auch wenn gern davon geredet wird, die Presse habe eine „Aufgabe“, vornehmlich die der Kritik der politischen Macht, so ist das schönes Gerede für feierliche Anlässe – niemand „gibt“ der Presse diese Aufgabe und niemand sanktioniert es, wenn sie diese Aufgabe nicht erfüllt. Die „Logik” der Presse ist zuallererst die des Marktes, auf dem sie sich verkaufen will.

In Wirklichkeit lebt auch die freie politische Presse im demokratisch verfassten Staat zu einem guten Teil davon, dass sie die Beschlüsse und Diskussionen der Träger der Macht verkündet, verbreitet bzw. dem Wählervolk erklärt. Das ist für eine funktionierende Demokratie erforderlich, wie sollen die Wahlberechtigten sonst alle vier Jahre ihre Wahl treffen können.
Gleichzeitig vermittelt die demokratische Presse den Trägern der Macht etwas von der Stimmung oder Meinungsbildung im Wählervolke. Auch das ist eine für die Demokratie wesentliche Funktion, wenn die Träger der Macht nicht nur durch die Wahlen erfahren sollen, wie das Volk über ihr Handeln denkt.
Die politische Presse trägt zudem zur Meinungsbildung im Volke auch dadurch bei, dass sie einzelne Meinungen oder Informationen öffentlich macht und allen Wahlberechtigten dadurch zur Kenntnis bringt. Es können sich so Meinungsgruppierungen entwickeln, Stimmungen verbreiten oder marginalisieren.  Der „Kampf um die öffentliche Meinung“ wird auf dem Schlachtfeld der Medien ausgetragen, der alten und der neuen.

„Die Presse“ ist also nicht selbst eine „Gewalt“ neben Exekutive oder Legislative, sondern eher ein Platz, auf dem demokratische Meinungsbildung stattfindet. Ganz unterschiedliche Presse-Organe tragen ganz unterschiedlich dazu beim, dass die Entscheidungen der Träger der Macht veröffentlicht werden und das „Volk“, von dem letztlich alle Macht ausgehen sollte, die Entscheidungen der von ihm legitimierten Macht diskutieren und bewerten kann. Da das Volk nicht direkt seine Macht ausübt, bedarf es einer Vermittlung zwischen den verschiedenen Repräsentanten der Macht des Volkes und „Volkes Meinung“.

Die Presse in ihrer Vielfalt hat eine wichtige Vermittlerfunktion, sie ist nicht selbst „Gewalt“.