Klaus Wolschner               Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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I
Medien-
Geschichte

Zum Erscheinen der eintausendsten Ausgabe der Illustrirten Zeitung am 30. August 1862 druckte das Blatt einen Text, der Einblick in den Arbeitsalltag gab. Im Wortlaut:

Nummer Tausend

Universitäten feiern ihre fünfzig- und hundertjährigen Jubiläen, Ehepaare ihre silberne oder goldene Hochzeit, auch in den meisten anderen Kreisen menschlichen Schaffens und Lebens bezeichnen gewisse Zahlen Tage des Jubels und inhaltsvoller Erinnerung. Wiederholt liest man z.B. Berichte, daß eine oder die andere Fabrik die Vollendung ihrer tausendsten Lokomotive festlich begangen, und immer knüpft sich daran, zunächst bei Freunden, dann bei theilnahmvollen Gemüthern überhaupt, das Gefühl der Befriedigung, daß ein tüchtiges Unternehmen sich als solches bewiesen hat, und daß jetzt auch im Vaterlande wohlgedeiht, was früher nur jenseits der Grenzen, nur in den großen Culturländern des Westens zu gedeihen wollen schien.
In einem ähnlichen Falle befinden sich heute die Illustrirte Zeitung und ihre Freunde, wie wir den weiten Kreis ihrer Leser nennen dürfen.

Festlich gestimmt begehen wir heute die tausendste Woche seit dem i. Juli 1843, wo die erste Nummer des Blattes an die Öffentlichkeit trat, und in gehobener Stimmung blickt alles, was für das Gedeihen des Instituts in der einen oder der ändern Weise thätig war, auf die siebentausend Tage zurück, welche seitdem verflossen sind.
Es waren Tage der Sorge und Mühe, die zwischen der Versendung von Nummer Eins und Nummer Tausend lagen, aber auch Tage des Lohnes, des Erfolgs, und, wie selbst Gegner nicht leugnen werden, des stetigen Fortschritts. In der That, wenn einer unserer alten Leser jene erste und diese neueste Nummer nebeneinander legen und vergleichen wollte, so würde er kaum glauben mögen, daß sie ein und demselben Blatte angehören, und wenn es Sitte wäre, die Nummern von Zeitungen gleich den einzelnen Lokomotiven zu taufen, so könnten wir dieser neuesten unbedenklich den Namen »Triumph« geben. Sie bezeichnet den Triumph der Liebe zu einer Idee, die Lebensaufgabe wurde, den Triumph der Ausdauer in bösen Tagen und Jahren, den Triumph über die illustrirende Kunst des Auslandes, das seit langem schon nur eine größere, keine bessere Illustrirte Zeitung aufzuweisen hat als Deutschland.

Wie nun, um an den obigen Vergleich nochmals anzuknüpfen, bei jenen festlichen Gelegenheiten in Fabriken Scharen theilnehmender Freunde und Gönner erscheinen, um sich in dem bekränzten Hause mitzufreuen, und wie sich diese dann wohl von den Angehörigen desselben durch die einzelnen Räume führen lassen, um Einsicht in die Manipulationen und Maschinen zu nehmen, durch welche sich das rohe Metall in das complicirte Beförderungsmittel des Verkehrs verwandelt, so möchten wir Ähnliches auch von den Freunden voraussetzen, die heute im Geiste an unserer Feier theilnehmen.

Nur wenige von unseren Lesern werden wissen, viele zu wissen wünschen, wie die Illustrirte Zeitung entsteht, wie aus Gedanken und künstlerischen Anschauungen, aus Papier und Druckerschwärze allwöchentlich die umfangreichen Bogen sich entwickeln, die ihnen die Zeitgeschichte in Wort und Bild vor Augen führen. Indem wir uns diesem Wunsch als Cicerone anbieten, bitten wir uns im Geist in die Räume zu folgen, in denen die Herstellung unserer Zeitung, die wir bei ihrer Verbreitung unter den Stammgenossen aller Erdtheile wohl eine Weltzeitung nennen dürfen, vor sich geht.

Wie die Illustrirte Zeitung entsteht.

Das wichtigste Erforderniß einer Zeitschrift ist außer den materiellen Mitteln der Redacteur. Er ist gleichsam der Minister, bei großen Zeitungen wie die unserige, wo die Geschäfte in verschiedene Ressorts vertheilt sind, der Premierminister des Miniaturstaats, den jedes Organ der Presse darstellt. So begeben wir uns zuvörderst in

das Redactionszimmer.

Auch der mit journalistischen Geschäften Unbekannte wird sich bei einem Blick auf den reichen Inhalt unsres Blattes sagen, daß es seine Schwierigkeiten haben und bedeutende Arbeit und Umsicht erfordern müsse, in der kurzen Frist weniger Tage ein so umfängliches und mannichfaltiges Material zu beschaffen und passend zu vertheilen, und dies ist in der That der Fall, zumal da in unserm Geschäft die Leitung nicht blos des literarischen, sondern auch des artistischen Theils nothwendig in einer Hand liegen muß. Der Minister hat seine Gesandten und Consuln, der Redacteur der Ilrustrirten Zeitung seine literarischen und artistischen Mitarbeiter in den verschiedensten Ländern und Städten. Der Minister hat für die einzelnen Abtheilungen seines Departements Räthe und Secretäre, der Redacteur unseres Blattes für die einzelnen Fächer ständige Mitarbeiter.
Der Redacteur ist verpflichtet, nach bestem Ermessen die nothwendigen Arbeiten an die ständigen Mitarbeiter zu vertheilen, die auswärtigen Correspondenten zu Berichten zu veranlassen, die eingehenden Manuscripte zu prüfen und nach Befinden umzuarbeiten oder zur Rücksendung an den Correspondenten abzugeben, welcher den Briefwechsel besorgt. Die Illustrirte Zeitung hat in Leipzig, in allen deutschen Hauptstädten und in den wichtigsten Orten der außerdeutschen und überseeischen Länder regelmäßige Mitarbeiter, darunter, wie unseren Lesern nicht unbekannt ist, die besten Namen.
Es versteht sich indeß von selbst, daß nur ein Theil des Materials, das sie bedarf, von freien Stücken eingeht, und so hat die Redaction in vielen Fällen  schon im Voraus Sorge zu tragen, daß Berichte, Schilderungen und bildliche Darstellungen von Ereignissen des Tages, Männern der Zeit, Entdeckungen und Erfindungen, hervorragenden Leistungen der Kunst u.a. rechtzeitig eintreffen, um dem Blatte den Charakter einer Zeitung zu geben und zu bewahren. Wie umfänglich die Correspondenz der Redaction ist, erhellt daraus, daß an Porto für ein- und ausgehende Briefe und Packete etc. seit dem Bestehen der Zeitung circa 20.000 Thlr. verausgabt worden sind
Außer den genannten Geschäften und dem Empfang von Besuchen hat aber die Redaction ferner die Verbindung mit sämmtlichen Nebenzweigen des Unternehmens, vor allem mit dem Zeichnen-Atelier und der xylographischen Anstalt, dann mit der Druckerei zu unterhalten. Zu diesem Zwecke finden täglich Besprechungen mit den Vorständen dieser Institute statt, in denen die eingesandten Zeichnungen an den Director der Zeichner, die Holzzeichnungen an den Leiter der Holzschneider, die druckfertigen Manuscripte an den Obersetzer der Druckerei übergeben und die Ablieferungsfristen festgestellt werden. Nach Verständigung mit der Verlagshandlung und dem Vorsteher des artistischen Departements über das, was die betreffende Nummer bringen soll, entwirft die Redaction jede Woche eine vollständige, mit den Größen der Bilder versehene »Disposition«, einen Musterbogen, nach welchem der »Metteur en pages« der Druckerei die in Fahnen gesetzten Manuscripte zu umbrechen hat, und nachdem letzteres geschehen, besorgt sie die nöthigen Correcturen und Revisionen.
Selbstverständlich kann ein so umfängliches Geschäft, bei welchem Tag für Tag neue Bestände eingehen, und große Räume allein mit den bisjetzt veröffentlichten Holzstöcken gefüllt sind (die vorhandenen Holzschnitte nebeneinander gelegt, würden genügen, um den Leipziger Marktplatz damit zu parquettiren), nicht ohne strenge Ordnung bestehen, und so ist für die Redaction ein eigner Buchhalter angestellt, dem es obliegt, über die Ein- und Ausgänge, die Vorräthe, die Honorare u.a. Buch und Rechnung zu führen. Illustrirte Zeitung 1862-1                             

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  Das Zeichnen-Atelier
  der
  Illustrirten Zeitung

 

Das Zeichnen-Atelier

Wir ersuchen nun unsere Freunde, dem Cicerone in unser Zeichen-Atelier zu folgen. Die Illustrationen unserer Zeitung sind Holzschnitte. Der Holzschnitt erfordert eine Zeichnung auf Holz, und diese wieder eine vorhergehende Originalzeichnung. Diese Originale werden der Redaction von artistischen Mitarbeitern eingeschickt und bestehen jetzt theils aus Originalholzzeichnungen, theils aus Photographien (meist für Portäts und architektonische Gegenstände angewendet), theils als Skizzen ausgeführten Zeichnungen oder Aquarellen nach der Natur, die an Ort und Stelle aufgenommen werden. Ist nun bestimmt worden, ob und in welcher Größe ein solches Original in der Zeitung zur Verwendung kommen soll, so wird dasselbe zum Zweck der Übertragung auf Holz dem unter Leitung eines künstlerisch gebildeten Directors stehenden Zeichnen-Atelier übergeben, dessen Mitglieder, je nach den Umständen, in verschiedener Weise damit verfahren.

Geht eine Originalzeichnung ein, welche sich als mangelhaft oder als bloße Skizze zu unveränderter Übertragung auf Holz nicht eignet, so wird sie, gleichviel was sie darstellt, von einem der Zeichner des Ateliers, deren für jede Branche: Architektur, Landschaft, Figürliches u.a. mehrere vorhanden sind, auf Papier zu einem richtigen und guten Bilde umgezeichnet. Entspricht andrerseits ein Original dem Format der Zeichnung nicht, oder kann ihm überhaupt das Format, in welchem es eingesandt wurde, nicht zugestanden werden, so muß es der Manipulation der Verkleinerung unterworfen werden, die mittels des sogenannten Storchschnabels oder des Pantographen bewirkt wird.

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   Ein Holzzeichner.

Alle Zeichnungen, sowohl die durch Zeichner oder Storchschnabel umgestalteten, als die sogleich im Original brauchbaren, werden nun »gebaust«, eine Manipulation, die sich folgendermaßen vollzieht. Man legt über die zu bausende Zeichnung ein Stück Pflanzenpapier (Bausglaspapier) und zeichnet mittels eines Bleistifts die Contouren der erstem genau nach. Ist dies geschehen, so wird zum Behuf der Übertragung ein Stück sorgfältig zugerichtetes Buchsbaumholz von der Größe der Zeichnung genommen und mit einer Mischung von Blei- oder Zinkweiß und aufgelöstem Gummi arabicum ganz dünn überzogen, was man »grundiren« nennt.
Ist der Grund gehörig trocken geworden, so legt man die »Bause« umgekehrt, das heißt so, daß die Bleistiftzeichnung nach unten kommt, auf den Holzstock - umgekehrt, weil das, was nach Abdruck der Nummer uns richtig zu Gesichte kommen soll, umgekehrt auf das Holz gebracht werden muß; dann zieht man mit einem spitzen Stift die auf der Bause befindliche Zeichnung in allen Einzelheiten nach. Auf diese Weise erscheint das, was der Arbeiter auf der Bause hatte, auf dem Stocke, und der Zeichner hat das von ihm auszuführende Bild in den Umrissen vor sich.
Alle diese Manipulationen sind rein vorbereitende und mehr oder minder mechanische, und jetzt erst beginnt mit der eigentlichen Übertragung des Bildes auf die Holzplatte die künstlerische Thätigkeit des Zeichners.
Das Material, dessen sich derselbe dazu bedient, besteht gewöhnlich in Bleistiften von bester Güte und verschiedenem Härtegrad, je nachdem damit scharfe Striche oder weiche Töne hervorgebracht werden sollen. Häufig jedoch wird auch Pinsel und Tusche, ja mitunter sogar die Feder angewendet, "was in solchen Fällen geschieht, wo der bloße Graphit nicht hinreicht, um in der Zeichnung die erforderliche Kraft und Tiefe herzustellen. Die Ausführung liegt natürlich ganz in der Hand des Zeichners, der stets eine zweifache Aufgabe vor sich hat.
Einmal nämlich hat derselbe das ihm gegebene Bild in der vollen malerischen Wirkung wiederzugeben, sodann aber liegt ihm ob — und das ist die Hauptsache — die Zeichnung für den Holzschnitt praktisch zu machen, was dadurch erreicht wird, daß er in die verschiedenen Abstufungen der Töne die möglichste Bestimmtheit zu bringen, und die größte Schärfe der Schattirungen zu schaffen sucht. Er wird sich aber damit vergeblich abmühen, wenn der Holzschneider, der ihn dann bei der Platte ablöst, ihm nicht ebenbürtig ist und für seine Leistung kein Verständniß besitzt. Der Xylograph, wenn er seinem Beruf Ehre machen soll, muß nicht blos eine geschickte Hand, sondern auch ein künstlerisch gebildetes Auge und Verständniß für das Wesen der Zeichnung haben. Ohne diese Eigenschaften würde er es bei allem Fleiß, aller Genauigkeit und aller Erfahrenheit in der Technik nie über das Handwerk hinausbringen und in der Regel die Zeichnung, die ihm zur Bearbeitung übertragen wird, ihres künstlerischen Werthes entkleiden und als das, was er selbst nur zu leisten vermag, als Product eines Handwerkers erscheinen lassen.

Die Xylographische Anstalt.

Mit dieser Betrachtung sind wir vor der Thür des Ateliers der Holzschneider angelangt, welches sich jetzt im dritten Stock des eleganten Thurmhauses an der Milchinsel befindet, in dem auch die übrigen Zweiginstitute der Illustrirten Zeitung sowie die Verlagshandlung von J.J.Weber in geräumigen, wohleingerichteten Zimmern und Sälen Platz gefunden haben. In dem gedachten Atelier sind unter der Leitung eines Vorstandes in etwa fünfzig Holzschneidern die verschiedenen Richtungen der Xylographie vertreten.
Die Arbeit des Holzschneiders besteht in der Kürze darin, daß er alle weiß gebliebene, also unbezeichneten Stellen der ihm vom Zeichner gelieferten Platte vertieft ausarbeitet, sodaß nur die eigentliche Zeichnung, die schwarzen Stellen stehen bleiben und dadurch das ganze Bild sich - wie die Buchstaben bei den Lettern der Druckerei — über den Grund heraushebt. Lange Zeit genügten für dieses Verfahren ein paar feine Messer. Endlich aber griff der Xylograph zum Grabstichel seines vornehmern Kunstverwandten, des Kupferstechers, von dessen Werkzeugen er auch für besonders feine Arbeiten die Lupe entlehnte. Die Stichel sind verschieden geformt und laufen entweder in eine Spitze, wo man sie Tonstichel, oder in eine mehrere Linie breite, meißelartige Schneide, wo man sie Flachstichel nennt, aus.
Die Holzstöcke, Buchsbaumplatten (deren Rohmaterial in Gestalt von Blöcken von circa 2 Ellen Länge und 8 -12 Zoll Durchmesser aus Kleinasien kommt, um dann zu Platten von circa i Zoll Dicke zerschnitten und von einem eigenen Tischler zugerichtet zu werden), werden oft, damit mehrere Xylographen zu gleicher Zeit daran arbeiten können, in verschiedene Theile zerlegt und wenn dieselben fertig geschnitten sind, sorgfältig wieder zusammengeleimt. Die zu bearbeitenden Platten legen die meisten Holzschneider auf ein mit Sand gefülltes Leder, wo sie sich leicht nach allen Richtungen drehen lassen (s. Abbildung). Andere bedienen sich verschieden eingerichteter Rahmen, in welche die Stöcke eingekeilt oder eingeschraubt werden. 

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  Das Holzschneider
  -Atelier der
  »Illustrirten Zeitung«.

Geschieht es, daß dem Arbeiter eine Partie seiner Aufgäbe mislingt, oder daß ihm bei schlechtem Holz etwas ausbröckelt, so bleibt ihm kein andrer Ausweg, als die betreffende Stelle auszubohren und dafür ein neues Stück Holz einzusetzen. Ein fertiger Holzschnitt zeigt keine überall ebene Bildfläche mehr, sondern vielleicht Stellen, welche, wie z.B. schwache Hintergründe, im Allgemeinen etwas tiefer liegen als der Hauptgegenstand, oder Partien, die einen sanften Abhang nach einer Austiefung hin haben, wo also ein Abdruck einer hellen Stelle mit allmählich verlaufenden Schatten entstehen soll. Gerade solche Partien aber erfordern, um wohl zu gelingen, eine sehr geschickte Hand und ein künstlerisch gebildetes Auge, und dies um so mehr, als die Vorzeichnung hierbei notwendigerweise verloren geht, und der Xylograph dann nach eignem Ermessen arbeiten muß. Bei der Ablieferung der fertig geschnittenen Stöcke werden zugleich Probedrücke derselben übergeben, welche den Director des Zeichnen-Ateliers in den Stand setzen, die nöthige Controlle zu üben und etwa nöthige Correcturen anzuordnen.

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    Ein Holzschneider.

Die Buchdruckerei

Von den Xylographien nehmen die Holzschnitte gleich den Manuscripten ihren Weg in die Druckerei, wohin wir jetzt die Freunde uns zu folgen einladen, und wo namentlich die Gedanken des Textes durch sehr verschiedene Hände, Orte und Zustände gehen, ehe sie dem Leser neben ihrer Begleitung, den Illustrationen, vor Augen treten. Zunächst sind die Manuscripte zu setzen, dann zu corrigiren, hierauf unterzieht man sie einer Revision, um etwa stehen gebliebene Druckfehler entfernen zu können, dann folgt eine zweite Correctur, zuletzt eine Revision, worauf der Druck beginnt.
Zur Herstellung des Satzes der Illustrirten Zeitung sind durchschnittlich die Kräfte von sechs Setzern erforderlich. Dieselben arbeiten die ganze Woche für das Blatt. Einem von ihnen, dem sogenannten Metteur en pages oder Obersetzer liegt die Leitung der gesamten Setzerarbeit ob. Er bespricht alles für das Bereich seiner Pflichten Nothwendige mit der Redaction, empfängt und vertheilt die Manuscripte und widmet seine Aufmerksamkeit dem Gange des Ganzen wie des Einzelnen vom Beginn der zur Herstellung einer Wochennummer nöthigen Vorarbeiten an bis zur Übergabe der revidirten Satzformen an die Maschinenmeister der Druckerei.
Die Setzer beginnen ihre Arbeit sofort nach Einlieferung der ersten Manuscripte zu der betreffenden Nummer der Zeitung. Der Satz wird zuerst in Zeilen von der Breite einer Spalte, wie sie der Leser in diesem Artikel vor sich sieht, ohne Rücksicht auf die dazwischen anzubringenden Holzschnitte aneinander gereiht, worauf für die erste Correctur ein Bürstenabzug gemacht wird.
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   Ein Schriftsetzer am Setzkasten.

Die eine unserer Abbildungen zeigt einen Setzer am Schriftkasten mit seinen verschiedenen Fächern. Das Auge unverrückt auf das am obern Rande des Kastens, im Manuscripthalter, »Tenakel«, angebrachte Manuscript geheftet, führt er die rechte Hand mit überraschender, an Taschenspielergeschwindigkeit erinnernder Schnelligkeit von Fach zu Fach, greift die Typen mit Daumen und Zeigefinger an dem Kopfe und stellt sie nach jedem Griff in ihrer Aufeinanderfolge in dem von der linken Hand gehaltenen eisernen Behälter, den »Winkelhaken«. Buchstabe reiht sich an Buchstaben, Wort an Wort, zwischen die Worte werden die zur Erzeugung der nothwendigen Zwischenräume erforderlichen Ausfüllungs- oder Ausschlußtypen gesetzt, bis der Raum des Winkelhakens, welcher zehn Zeilen von der Schrift dieses Artikels faßt, gefüllt ist. Die gewöhnliche Schriftgattung für die größeren Artikel unseres Blattes heißt in der Setzersprache »Petit«, die für die kleineren Artikel und die etwaigen Anmerkungen »Nonpareille«.
Nachdem der Winkelhaken gefüllt ist, hebt der Setzer den durch eine oben angelegte Linie von Metall, die »Setzlinie«, vor dem Auseinanderfallen geschützten Satz mit raschem, sicherem Handgriff heraus und stellt ihn auf das »Schiff«, ein Brett, das am Rande mit Leisten versehen ist, an welche sich die Schrift anlehnt. Hat dieser ins Schiff gebrachte Satz die Länge einer halben Spalte erreicht, so wird er mit einem Bindfaden umzogen — wie derTypograph sich ausdrückt, »ausgebunden« — entweder mit der Bürste abgezogen oder in eine zu diesem Zweck im Setzerlokal aufgestellte Handpressse gestellt und dann zur ersten Correctur, der sogenannten »Fahnen-Correctur«, abgedruckt. Nachdem die Satzfehler durch den dazu bestellten Corrector angemerkt, »gezeichnet«, sind und die Redaction etwaige Änderungen oder Zusätze gemacht hat, gehen die Fahnen an den Setzer zurück, der diese Correcturen nun am Schriftsatz auszuführen hat.
Daß es bei undeutlichen Handschriften an solchen Satzfehlern nicht mangelt, versteht sich von selbst, und nicht selten kommen darunter sehr ergötzliche Quidproquos vor. Das Ausbessern dieser Correcturen ist die mühevollste und undankbarste Arbeit des Setzers. Zum Herausgeben der zu beseitigenden, umzustellenden oder mit anderen zu vertauschenden Buchstaben bedient er sich eines spitzen Instruments, der »Ahle«, und diese Manipulation geht in der Weise vor sich, daß er dabei den auf ein Brett gestellten Satz auf einem mit drehbarer Scheibe versehenen Schemel, den »Corrigirstuhl«, bringt. Ist die Fahnen-Correctur beendigt, so beginnt das Arrangiren des Satzes in Bild und Schrift. Die Zeilen werden zum Theil in Halb-, Drittel- und Vierteilzeilen geordnet, den Illustrationen die Unterschriften hinzugefügt und aus dem Satze die Seiten, typographisch »Columnen«, gebildet — eine Arbeit, welche technisch »umbrechen« genannt wird, und deren Besorgung dem Metteur en pages obliegt, welcher von ihr den Namen hat. Die meiste Mühe verursachen, wie man leicht begreift, die acht Columnen der mit Illustrationen versehenen Form, »Bilderform«, da das zweckmäßige Einbringen der Holzstöcke, das Anfügen der Unterschriften u.a. oft nicht ohne Schwierigkeiten ist.

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  Die Bilderform der
  »Illustrirten Zeitung«

Dem Arbeiter stehen übrigens bei diesem Geschäft noch nicht die fertigen Holzstöcke zu Gebote, da diese sich während desselben noch zum Theil in den Händen der Holzschneider befinden. Indeß hat das nichts auf sich. Als Maßstab des Arrangements dient ihm der Dispositionsbogen der Redaction, auf dem die Bildergrößen genau angegeben sind, und statt der Holzschnitte setzt er glatte Holztafeln in den Satz, welche vom Tischler genau nach den angegebenen Größen angefertigt sind und »Waschklötze« genannt werden, weil sie nach Ausdruck der Nummer beim Abwaschen der Druckerschwärze von der Schrift statt der eigentlichen Holzschnitte in die Form gesetzt werden.

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  Die Schriftform der
  »Illustrirten Zeitung«.

 

Sind nun je drei Spalten zu Columnen oder Seiten formirt, so werden je zwei der letzteren in eine Satzform gebracht und mittels Keilen in einen eisernen Rahmen  eingeschlossen. Die hier gegebene Abbildung zeigt deutlich, wie die Columnen, getrennt durch die vom Format bedingten Zwischenräume zwischen den Spalten, welche mit Stücken von Holz oder Metall niedriger als die Typen, den sogenannten »Stegen«, ausgefüllt sind, fast wie aus einem Guß in dem Rahmen festsitzen, sodaß Buchstaben und Ausschluß ohne jeden den Satz lockernden Zwischenraum unbeweglich stehen. Die so geschlossnen Formen wandern nun in die Hände der  Druckerei, doch zunächst nur, damit nochmalige Correctur-Abzüge angefertigt werden.
Die Freunde, die wir umherführen, werden schon jetzt gefunden haben, daß die typographische Herstellung einer Nummer der Illustrirten Zeitung Arbeit und Aufmerksamkeit in ungewöhnlichem Grade erfordert. Die Mühen von Setzer, Corrector und Redacteur werden aber noch häufig durch kurze für die Beschaffung des Satzes gegebene Fristen, die plötzlich kurz vor Beginn des Drucks eintretenden wichtigen Ereignisse z.B., sowie durch andere, in der Natur eines solchen Unternehmens liegende Erschwerungen erheblich vergrößert, und wenige von denen, welche die fertige Wochennummer des Morgens neben ihrem Frühstückstisch betrachten, mögen ahnen, wie viel Sorge und Kopfzerbrechen sie drei oder vier Tage vorher dem vielgeplagten Metteur en pages kostete, und mit welcher Herzenserleichterung er das schwere Stück Arbeit den geschwärzten Händen seines Collegen im Druckersaal überlieferte.
Ehe wir zusehen, was der Drucker mit dem ihm übergebenen Satz vornimmt, glauben wir den Freunden, die wir durch unsere Anstalten geleiten, ein Vergnügen zu machen, wenn wir dem Obersetzer oder Factor ein paar mathematische Fragen in Betreff unseres Blattes vorlegen und deren Beantwortung mittheilen. Folgendes ist das Ergebniß unserer Nachfrage: Das zur Herstellung einer Nummer der Illustrirten Zeitung erforderliche und deshalb stets für dieselbe in Bereitschaft gehaltene Material an Schrift wiegt gegen zwanzig Centner. Nicht weniger als drei Centner Schrift sind für die aus acht Columnen oder vierundzwanzig Spalten bestehende Schriftform, durchschnittlich anderthalb Centner für die (der eingefugten Holzschnitte halber weniger wiegende) Bilderform nothwendig.
Eine Spalte Petit ferner (der Schriftgattung, aus welcher dieser unser Artikel gesetzt ist), enthält 118 Zeilen, eine Columne mithin 354. Eine ganze Nummer würde also, vorausgesetzt, daß sie durchgehends Petitschrift brächte, nicht weniger als 5 664 Zeilen haben. Rechnen wir auf diese Zeile einer Petitspalte 60 Buchstaben, so finden wir deren in der ganzen Spalte 7080 und in einer Columne 21.340, während der ganze Bogen 844.640 Buchstaben zählt. Bei ungestörter Arbeit und angestrengtem Fleiß kann ein Setzer von einiger Übung wöchentlich den Satz von 900 derartigen Zeilen, also das Jahr über 46.800 Zeilen setzen, zu denen er nahezu drei Millionen- genau genommen 2.808.000 Buchstaben verwendet.
Hierbei ist aber noch nicht berechnet, daß zwischen den Buchstaben die oben erwähnten Zwischenräume anzubringen sind, und daß ein großer Theil unserer Zeitung aus kleinerer Schrift gesetzt ist, von der nicht nur mehr Buchstaben auf die Zeile, sondern auch mehr Zeilen auf die Spalte und die Columne gehen.
Aus dem Setzersaal begeben wir uns hinab in das Souterrain, wo von Dampfkraft bewegt, die Arme, Walzen, Räder und Rädchen der Maschinen arbeiten, welche den

Druck der Illustrirten Zeitung

besorgen, und auch hier bemerken unsere Freunde jedenfalls manches, woran sie bei Betrachtung des Blattes im Kaffeehaus nicht dachten.
An den Tagen der Woche, welche der Vollendung der einzelnen Nummern durch den Druck vorausgehen, wird das Papier zum Druck zugerichtet. Dies geschieht zuvörderst dadurch, daß man es dem Proceß des Feuchtens unterwirft. Dasselbe, ein feines und schweres Druckpapier aus der bewährten  Fabrik von Bohnenberger und Comp. in Pforzheim, welche seit dem Erscheinen der Zeitung das Papier für dieselbe in sich immer gleich bleibender Güte liefert, wird bei dieser Manipulation in Lagen von je einem halben Buch durch eine mit Wasser gefüllte und der Größe der Bogen entsprechende Wanne, die »Feuchtwanne«, gezogen, bis zu größeren Stößen aufeinander geschichtet, mit Brettern, den »Feuchtbrettern«, bedeckt und mit Gewichten beschwert. In diesem Zustande bleibt das Papier bis zum Gebrauch stehen, damit eine möglichst gleichmäßige Vertheilung des Wassers durch die Bogenstöße stattfindet. Auf ungefeuchtetem Papier würden die Abdrücke mangelhaft erscheinen, da sich dann die Bogen weniger geschmeidig an die Bildfläche der Illustrationen und die Typen der Schrift anlegen oder die zum Druck erforderliche Kraft bis zum Unzulässigen erhöht werden müßte. Illustrirte Zeitung 1862-8

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  Die Satinirmaschine

 

Aus der Feuchtwanne aufgetaucht und halbwegs getrocknet, muß sich das Papier, um vollkommen für den Druck geeignet zu -werden, noch einem Proceß unterwerfen. Es muß der Glättung oder Satinage unterzogen werden, die vermittels einer eigens für diesen Zweck gebauten und durch Dampfkraft in Bewegung gesetzten Maschine, der »Satinirmaschine«, erzeugt wird. Die Abbildung dieser Maschine veranschaulicht uns das Verfahren. Die Papierbogen werden einzeln zwischen dünne Zinkplatten gelegt und in Stößen von je 5 Bogen zwischen zwei eiserne cylinderförmige Walzen geschoben. Eine drehende Bewegung zieht nun die Zinkbleche mit den dazwischen liegenden Bogen durch die Walzen, welche stellbar sind, hindurch. Die Pressung ist so streng, daß zur Erzeugung eines gleichen Drucks die Kraft von zwei starken Männern nöthig sein würde.

Illustrirte Zeitung 1862-9

Maschinensaal in der Bohnenberger'schen Papierfabrik zu Niefern bei Pforzheim.

Alle Unebenheiten, welche das Papier an sich enthält oder in Folge des Feuchtens erhalten hat, werden durch die Satinage beseitigt. Die obere wie die untere Seite des Bogens bekommt durch den Proceß einen glatten Spiegel, der auch die zartesten Partien von Bild und Schrift in feinster, reinster und schärfster Weise wiedergibt. Auch erhält dadurch die Farbe einen schönen glänzenden Schein und das Ganze des bedruckten Bogens eine gefällige und elegante Appretur.
Während so das Papier für die Wirksamkeit der Druckpresse präparirt wird, beginnen die Drucker an letzterer selbst die für den Druck von Illustrationen erforderlichen vorbereitenden Arbeiten.
Zur Druckausführung der Illustrirten Zeitung dienen zwei Schnellpressen größten Formats, die aus der Fabrik von König und Bauer in Kloster Oberzell, den Erfindern dieser Art von Druckmaschinen, stammen. Die eine dieser großen Maschinen liefert den Druck der acht Columnen ohne Illustrationen, die Schriftseite oder Schriftform; die andere besorgt die acht mit Holzstöcken versehenen Columnen, die Bilderseite oder Bilderform.
Das Verfahren beim Druck ist zwar für beide Formen das gleiche, indeß bietet die Vorbereitung zum Druck der Bilderform Schwierigkeiten besonderer Art, die, um überwunden zu werden, auf Seiten des Druckers nicht blos die gewöhnliche technische Fertigkeit, sondern auch ein gewisses künstlerisches Urtheil erfordern — eine Bemerkung, die wir unseren Freunden vom Maschinenmeister erläutern lassen.
Zunächst läßt der Drucker die auf die Mitte des Fundaments seiner Schnellpresse niedergelegte Bilderform durch die Maschine gehen, um vier rohe kunstlose Abzüge zu erhalten, von denen einer zur letzten Correctur, der sogenannten Pressenrevision bestimmt ist, während die anderen drei dem Maschinenmeister zur Herstellung der »Zurichtung« dienen. Der Schwerpunkt aller Manipulationen, aus welchen letztere besteht, liegt nicht in dem Präpariren der Druckform, sondern in gewissen Arbeiten am Druckcylinder der Maschine, demjenigen Bestandtheil der Presse, welcher den Druck ausübt. Die Zurichtung ist gleichsam eine plastische Nachahmung der Bildflächen der einzelnen in die Form eingelassenen Holzstöcke. Sie besteht in dem Auflegen von silhouettenartigen aus jenen rohen Abdrücken der Bilderform ausgeschnittenen Papierstücken auf diejenigen Stellen des Cylinders, mit denen die Holzstöcke der genannten Form, wenn die Maschine in Gang gebracht ist, zusammentreffen.
Diese Ausschnitte oder Unterlagen klebt der die Zurichtung besorgende Maschinenmeister auf einen um den Cylinder gespannten Bogen, den »Margebogen«, auf welchem vorher ein roher Abdruck der Bilderform gemacht ist, und darüber werden dann noch Drucktuch und abermals Papierbogen befestigt. In letzteren sind die Schatten- und Kraftpartien der Holzstöcke, möglichst facsimileartig ausgeschnitten, dreimal aufeinandergelegt, die Mitteltöne, je nach ihren Nüancirungen ein- oder zweimal, die freien Lichtstellen dagegen ganz  herausgenommen.
Erst durch diese Vorrichtungen wird es möglich, dem Druck der Illustrationen den in Zeichnung und Schnitt gelegten, von der artistischen Redaction erstrebten Effect zu verleihen. Die kräftigsten Theile des Bildes erscheinen so am schärfsten und in tiefem gefälligem Schwarz, die Mitteltöne in ihren verschiedenen Abstufungen, die lichten Partien theils zart gefärbt, theils, vorn Druck des Cylinders unberührt, frei und hell heraustretend. Die Zurichtung ist vollendet. Die Probeabdrücke sind von der Redaction geprüft und genehmigt. Es ist nichts mehr zu thun übrig, als die Druckmaschinen mit dem Betriebswerk in Verbindung zu setzen, welches die von der Dampfmaschine ausgehende Kraft auf die an der Seite der Presse befindlichen Riemenscheiben überleitet.

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 Die Schnellpresse, auf welcher die Bilderform der »Illustrirten Zeitung« gedruckt wird.

Der Maschinenmeister giebt das Zeichen dazu, und der Druck der Auflage beginnt. Die beigegebene Abbildung zeigt die Druckmaschine in ihrer Thätigkeit mit der zugehörigen Bedienung.
Die Druckform liegt, wie bereits bemerkt, mitten auf dem Fundament der Presse, welches, durch die Kurbel der Maschine in Bewegung gesetzt, vor- und zurückgetrieben wird. Das Fundament mit der Druckform ist - wir bitten auf unsere Abbildung zu sehen, die den Gang in den Maschinenraum ersetzt — soeben im Begriff, seinen Weg durch das »Farbenwerk« und hier unmittelbar unter die beiden untersten parallel neben einander laufenden Walzen desselben, die sogenannten »Auftragwalzen«, anzutreten, welche mit einem elastischen, aus Leim und Sirup bestehenden Überzug versehen sind und die Bestimmung haben, der Form die Farbe oder Schwärze mitzutheilen. In diesem Augenblicke legen zwei Burschen, welche seitwärts vom  Druckcylinder auf eisernen an der Maschine befestigten Tritten stehen, einen Bogen des vorbereiteten Papiers unter die am Druckcylinder befindlichen, durch den Mechanismus der Maschine momentan geöffneten Klammern, die »Greifer«, an, die darauf gleichfalls durch diesen Mechanismus geschlossen werden und den Bogen an den sich um seine Achse drehenden Cylinder drücken. Dieser letztere führt den Bogen unmittelbar darauf in demselben Augenblicke über die Druckform, in welchem dieselbe, von den Auftragswalzen geschwärzt, unter diesen hervortritt.
Während die Form nun durch den Mechanismus der Kurbel vorgeschoben wird, bewegt sich der nunmehr auf den Bilderseiten bedruckte Bogen auf Leitbändern der am hintern Theil der Schnellpresse befindlichen Holzplatte, dem »Auslegetische«, zu, vor welchem er von zwei hier postirten Burschen, den »Bogenfängern«, in Empfang genommen und auf den sich allmählich bildenden Stoß gelegt wird. Inzwischen ist aber die Druckform unter dem Farbenwerke wieder hindurchgegangen und auf den Standpunkt  zurückgelangt, welchen wir sie auf unserer Abbildung einnehmen sehen. Nachdem aus der einen Presse, welche die Bilderform druckt, einige hundert Abdrücke hervorgegangen sind, werden dieselben an die zweite Presse zum Bedrucken der Rückseite, »Schriftform«, abgegeben.
So wiederholt sich der Proceß des Drückens der einzelnen Bogen in gleichem Maß und Takt in einem fort, herüber und hinüber wie der Perpendikel eines großen Seigers und fast genau mit derselben Schnelligkeit. Nur dann, wenn der den Gang der Presse unausgesetzt beobachtende Maschinenmeister an der Druckform, der Färbung oder Zurichtung etwas zu reguliren findet, wird das hin- und herschießende Fundament mit der Druckform mit allen anderen Bewegungen der Maschine auf kurze Zeit angehalten. Der Gang der für den Druck der Illustrirten Zeitung bestimmten beiden Schnellpressen ist so gestellt, daß dieselben im Verlauf einer Stunde ungefähr neunhundert Abdrücke liefern können.
Mit dem Druck der Nummer ist aber die Reihe der Manipulationen, welche dieselbe bis zu ihrer Vollendung durchzumachen hat, noch keineswegs abgeschlossen. Von dem Auslegetische der die Schriftform druckenden Presse werden die nun fertigen Exemplare in Stößen von je ungefähr tausend Stück nach der im obersten Stockwerk der Druckerei befindlichen Buchbinderwerkstätte geschafft, um gefalzt zu werden. Der Transport vom Maschinensaale bis zur dritten Etage des Gebäudes wird vermittelst eines durch Dampfkraft getriebenen Aufzugs bewerkstelligt, welcher in größter Schnelligkeit den betreffenden Stoß in Begleitung eines dazu bestellten Arbeiters hinaufbefördert. Nach geschehenem Falzen wird die Zeitung abgepreßt und schließlich der Verlagshandlung überliefert.
Indem wir, wie vorhin einem der Setzer, jetzt einem der Drucker einige Fragen in Betreff der in sein Bereich einschlagenden Erfordernisse vorlegen, erfahren wird, daß das Quantum der zu einer Nummer der Illustrirten Zeitung verwendeten Farbe (es ist die feinste zur Herstellung illustrirter Drucke geeignete Schwärze) gegen 25 Pfund beträgt, was für einen ganzen Jahrgang von 52 Nummern etwa 1.300 Pfund gibt. An Papier wurde für die tausend Nummern seit Entstehen der Zeitung die mächtige Summe von mehr als zwölf Millionen Bogen verwendet, wobei die Beilagen noch nicht eingerechnet sind.
Freunden von Berechnungen überlassen wir es, die Phantasie weiter spielen zu lassen. Dieselben mögen sich damit ergötzen, herauszufinden, wie viel das gesammte bis jetzt für die Illustrirte Zeitung verwendete Papier wiegen wird, wenn der Bogen fünf Loth schwer ist, und wie viele vierspännige Frachtwagen zu Fortschaffung derselben erforderlich sein würden, wenn jeder derselben 40 Centner fortzubringen im Stande wäre. Sie mögen ferner herauscalculiren, wie hoch die Säule sein würde, welche durch Zusanimenschichtung jener zwölf Millionen Bogen unserer bisherigen tausend Nummern entstehen müßte, wofern die Bogen ausgebreitet (nicht in Columnen gebrochen) aufeinandergelegt würden, oder wie viel Fläche diese selben Bogen bedecken würden, falls man sie nebeneinander ausbreitete.
Für uns genüge die Bemerkung, daß jene zwölf Millionen Bogen in eine Reihe nebeneinander gelegt, eine 4 Fuß (sächsisches Maß) breite Straße bedruckten Papiers von 52 Millionen Fuß oder ungefähr 2120 deutschen Meilen Länge bilden würde. Lösen wir diese zwölf Millionen Nummern in ihre Zeilen auf und setzen wir diese wieder zu einer einzigen Riesenzeile aneinander, so würde diese Zeile, auch wenn die Nummern nur aus Petit gesetzt wären, also, wie oben bemerkt, nur je 5664 Zeilen enthielten, da die Zeile etwa 3 Zoll lang ist, eine Länge von 203.904.000.000 Zoll = 16.992.000.000 Fuß 70.800 deutschen Meilen haben. Denken wir uns diese Linie um die Erde laufend, so würde sie dieselbe mehr als elfmal umspannen, stellen wir sie uns aufrecht stehend vor, so würde sie über die mittlere Entfernung des Mondes von uns noch um 19.300, über die größte um 16.800, über die kleinste um 22.100 deutsche Meilen  hinausgehen.

Illustrirte Zeitung 1862-11

 Die Zeitungsexpedition des Oberpostamtes in Leipzig. links ein Stapel der »Illustrirten Zeitung«.
  (Illustrirte Zeitung vom 12. März 1870.)

Wir verlassen diese scherzhaften Betrachtungen, um der fertigen Illustrirten Zeitung aus der Buchbinderei in die Verlagshandlung zu folgen und dem letzten Act des allwöchentlich wiederkehrenden Schauspiels, ihrer Versendung, beizuwohnen. Die Versendung geschieht theils durch die Post, theils durch den Buchhandel, und unsere Abbildung zeigt, wie belebt die Scene ist, wenn am Freitag Nachmittag die Markthelfer der leipziger Commissionsbuchhandlungen ihre Zeitungspackete zu holen kommen.

Zwei Drittel der Auflage gehen auf diesem Wege in die Welt. Ein Drittel etwa versenden die Postanstalten. Darauf hinzuweisen, wie viel geistiges Kapital durch das Institut in Umlauf gebracht worden ist, wie wesentlich das Blatt zur Förderung der Bildung und namentlich des Geschmacks unter den  Deutschen beigetragen hat, wie viele ähnliche Unternehmungen durch seine Erfolge hervorgerufen worden sind, wie viele dieser Unternehmungen von ihm lernten und borgten, ist nicht unsere Sache und wohl überhaupt nicht nöthig. Es genüge in dieser Beziehung nur daran zu erinnern, daß ein sehr großer Theil der seither erschienenen illustrirten Literatur nicht nur die Grundsätze, nach denen sie verfährt, von der Illustrirten Zeitung entlehnte, sondern sich auch aus den massenhaften Bildervorräthen des Etablissements die Cliches entnahm, mit denen sie ihre Werke ausstattete, ein Abhängigkeitsverhältniß, welches auch zwischen der Leipziger Illustrirten Zeitung und den gleichzeitig erscheinenenden Illustrirten Zeitungen in anderen europäischen Ländern, in Frankreich, England, Italien, Spanien, Dänemark und Rußland besteht, die alle durch eine mehr oder minder große Ähnlichkeit mit der Illustrirten Zeitung auf ihre deutsche Vorgängerin hinweisen, und von dieser regelmäßig einen größern oder geringern Theil ihrer Illustrationen entnehmen.
Überhaupt ist der Gedanke, welcher unser Blatt schuf, entschieden, wo nicht der Begründer der illustrirten Literatur in Deutschland, doch derjenige, welcher dieser Literatur schon zu Anfang der dreißiger Jahre durch das Pfennig-Magazin und durch großartig angelegte und glänzend ausgestattete Verlagswerke, wie Menzel's Geschichte Friedrich's des Großen, denen später andere folgten, bei uns das Bürgerrecht, allgemeine  Beliebtheit und infolge dessen festen Grund und Boden erworben hat. Es mag heute, wo das Illustrationswesen und mit diesem die Zahl und Geübtheit der für illustrirte Unternehmungen thätigen Künstler und Holzschneider eine so ungeheure Ausdehnung angenommen hat, den Uneingeweihten als ein weniger mühevolles Werk erscheinen, allwöchentlich das Material für eine große Bilderzeitung zu beschaffen, aber es muß wenigstens darauf hingewiesen werden, daß eben die Illustrirte Zeitung es hat herbeiführen helfen, daß heute ein gutes Familienblatt kaum mehr ohne den Reiz der Holzschnitt-Illustrationen bestehen kann.
Die Illustrirte Zeitung wird jetzt unter den Tannen und Eichen des hohen Nordens wie unter den Palmen des Südens, diesseits und jenseits der Meere, in der östlichen und westlichen Hemisphäre gelesen. Man begegnet ihr unter den Deutschen an der sibirischen Grenze, und den alten Chalifenstädten des Morgenlandes, in China wie in Brasilien, in Norwegen, wie in Indien. Mögen die Landsleute, denen sie dort in ihrer Bildersprache Kunde vom Leben im Vaterlande bringt, mögen die, welchen sie dort die Genüsse der Kunst und der Literatur, die Lehren der Wissenschaft und die Entdeckungen des Zeitgeistes vermittelt, in der Stunde, wo unsere tausendste Nummer, unsere tausendste Lokomotive zur Förderung geistigen Verkehrs, ihnen die Kunde von unserm Ehrentage zufuhrt, sich mit uns des bis hierher gelungenen Werkes und des Grades von Vollkommenheit freuen, mit dem wir jetzt auch dem Anspruchvollsten zu genügen hoffen.

Indem - wir mit dieser Erinnerung die lange Reihe unseres ersten Tausends beschließen, blicken wir heiter in die Vergangenheit, getrost in die Zukunft und rufen, mit dem Vorsatze treuen Beharrens auf der Bahn des Fortschritts, den Mitarbeitern mit Feder und Stift und Grabstichel, an Setzkasten und Druckmaschine, endlich dem weiten Kreis der Leser aus warmer Seele zu:

Glück auf ins zweite Tausend!

 

 

    siehe auch zur Mitte des 19. Jahrhunderts 
    Marketing-Genie Ernst Litfaß    M-G-Link