Klaus Wolschner                     Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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Texte zur Religion

2 GG Titel

Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne:
Wie Glaubensgefühle Geschichte machen

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2 AS Cover

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen:
Kulturgeschichte
des Sehens, Mediengeschichte
der Bilder
Augensinn
und Bild-Magie

ISBN 978-3-7418-5475-0

2 VR Titel

Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges
Virtuelle Realität
der Schrift
ISBN 978-3-7375-8922-2

POP55

Über traditionelle
Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

ISBN: 978-3-752948-72-1

Augustinus - der letzte antike Philosoph und
die neue Theodizee des menschlichen Leidens

2020/12

Augustinus von Thagaste (354-430) ist einer der „großen“ lateinischen Kirchenlehrer der Spätantike. Von 395 bis zu seinem Tod 430 war er Bischof im nordafrikanischen Hippo Regius.  Er ist einer der einflussreichsten philosophierenden Theologen der christlichen Spätantike  und gilt bis heute als „Kirchenvater“ sowohl für Katholiken wie für lutherische Protestanten..
Der Altphilologe Johannes Geffcken nennt ihn den „letzten ganz großen Philosophen des Altertums und zugleich einer neuen Weltanschauung Schöpfer". Augustinus ist einer der philosophischen Totengräber der Antike: Für ihn ist Philosophie eine „außerchristliche” Realität, ein fremdes Gut, und christlicher Glaube wird zur wahren Philosophie. Der Glaube geht für ihn der Erkenntnis voraus. Wo die Vernunft an der Suche nach Sinn scheitert, beginnt der Glaube. Insofern knüpft er an Tertullians „credo quia absurdum" an. 
Seine Bekenntnisse „sind ein burleskes Werk, in dem Augustinus in einer larmoyanten Mischung aus Gebet, Mutter-Sohn-Reflexion, Selbstbeweinung, Eigenbezichtigung, stupend-tiefsinniger und affektiv aufgeladener Frömmigkeit ein persönliches Glaubensbekenntnis zelebriert, das inhaltlich auf weiten Strecken infantile Züge aufweist“, fasst Rolf Bergmeier polemisch-kritisch zusammen. Seine theologischen Wendungen erklären sich teilweise aus seiner Machtgier und seiner Rolle in machtpolitischen Konflikten - zum Beispiel die Instrumentalisierung des Staates für die Kirche, Zwangstaufe von Kindern, die Zwei-Reiche-Lehre. Seine Theologie der Erbsünde und Verdammung der Sexualität theoretisieren seine persönlichen Probleme – „keine Ablösung von der Mutter“, „Beziehungsunfähigkeit“, „Narzissmus“ würden Therapeuten heute diagnostizieren.

„Beseelt von der biblischen Botschaft“ führt Augustinus Gott, Ewigkeit, Schöpfung, Moses, Adam und Eva als geschichtliche Tatsachen ein und argumentiert mit ihnen gegen überkommenes griechisches Wissen. Zum Beispiel:
- Zeit und Raum können nicht ewig sein, weil ja nur Gott ewig ist (Bekenntnisse 11,1-2).
- Vor der Schöpfung hat Gott nichts gemacht, denn da gab es ja noch keine Zeit (11,14).
- Frauen behalten nach der Auferstehung zwar ihre Geschlechtlichkeit bei,
     aber „die weibliche Geschlechtlichkeit" ist „über Beilager und Geburt" erhaben (Gottesstaat 22,17).
- Geschlechtlicher Verkehr ist für Augustinus „an sich Sünde“.  
- Augustinus formuliert den christlichen Antisemitismus unmissverständlich: „In euren Vätern habt
     ihr Christus getötet.“ Er nennt Juden ausdrücklich „Mörder“.
- Augustinus rechtfertigt Bücherverbrennungen, Enteignungen und die Zerstörung von Tempelanlagen (Retractiones).
- Augustinus wettert gegen die Theater: „Schaustellungen von Schändlichkeiten und Freistätten der
     Nichtswürdigkeit" sind Theater für ihn, er spricht von „Fäulnis und Pest der Seelen", „Verruchtheit"
     und „Unzucht", „wollüstigem Aberwitz".

Augustinus und die Liebe

In der kirchlichen Tradition galt die Ehe als verdammenswert, der Kirchenvater Hieronymus (gest. 420) konnte sich dabei direkt auch Paulus beziehen  „Die Unverheiratete denkt an das, was Gottes ist, wie sie Gott gefalle; die Verheiratete aber ist auf das Weltliche bedacht und darauf, wie sie ihrem Mann gefalle." (1. Korinther)

Augustinus (354-430) Bischof und Kirchenvater, berichtet in seinen „Confessiones“ von seiner Konkubine, mit der er jahrelang „das Lager teilte“ und die ihm einen Sohn gebar. Sie bleibt namenlos. Die Beziehung wurde beendet, um eine für Augustins Karriere äußerst vorteilhafte Eheschließung zu ermöglichen.
Augustinus hing offenbar an der Konkubine:
„Und als man die Gefährtin, mit der ich sonst mein Lager teilte,
als Ehehindernis gewaltsam von mir trennte, zerriss es mir das Herz,
das an ihr hing, und es blutete mir ob der tiefen Wunde.“
Augustinus über die ihm offenbar vermittelte reiche Braut:
„Man müsste sich nur eine Frau mit beträchtlichem Vermögen nehmen,
damit der nötige Aufwand nicht weiter lästig fiele,
und wäre dann wohl am Ziel seiner Wünsche.“
  
Die Braut war aber noch ein kleines Mädchen und nicht im heiratsfähigen Alter.
   Augustinus verkürzte sich die Verlobungszeit mit einer anderen, ebenfalls namenlosen Frau.
   Er beschreibt recht drastisch die Begierde:
„Nein, nun stiegen Dünste auf aus dem Sumpf fleischlicher Begierde, dem Sprudel erwachender Männlichkeit und umnebelten und verdunkelten meine Herz, dass es den Glanz reiner Liebe nicht unterscheiden konnte von der Düsternis der Wollust.  (…) Ich hastete, stürmte, trieb schäumend und brausend dahin in meiner unkeuschen Sinnlichkeit“.
 
   Augustinus beschreibt später in „De bono coniugali“ sein Verhalten selbstkritisch so:
„Wenn nämlich ein Mann sich eine Frau auf Zeit holt, bis er eine andere, seinem Amte
und seiner Vermögenslage entsprechende findet, die er als ebenbürtig heiraten möchte,
so bricht er der persönlichen Gesinnung nach die Ehe,
zwar nicht mit jener, die er zu erwerben begehrt,
sondern mit dieser Frau, mit der er nicht nach der
Ordnung ehelicher Gemeinschaft Geschlechtsverkehr pflegt …”
Augustinus trennte sich von der zweiten Konkubine,
mit der Hochzeit scheint es aber nicht geklappt zu haben
– er wird Bischof und theoretisiert über die Liebe und die Ehe, dass da „Seele sich zu Seele findet“.

Als Bischof unterschied Augustinus streng zwischen der Frau als (geschlechtslosem, enthaltsamen) Menschen und der Frau als Frau. Die Existenzberechtigung der Frau liegt für ihn in ihrer Rolle als Gebärerin seiner Nachkommen:
„Ich finde also keine andere Hilfeleistung, für die dem Mann ein Weib erschaffen wurde, wenn nicht die, ihm Kinder zu gebären.”
Dennoch war für Augustinus das Wesen einer Ehe weder primär noch essentiell durch Sexualität bestimmt. „Männlich“ oder „weiblich“ ist nur der Leib, nicht aber die Seele. Die eheliche Gemeinschaft sollte in der Freundschaft begründet sein. In der Ehe enthaltsamen Frauen stellte er die besondere Art der Seligkeit in Aussicht, die Jungfrauen erwartete.
Maria pries er als Vorbild für Nonnen und Witwen als auch für keusch lebende Ehefrauen. Als Frau war die Frau ihrem Ehemann unterstellt, nicht jedoch als Christin. Die enthaltsam lebende Frau war dem Manne ebenbürtig: Der treue Mann werde weder seine Frau entlassen noch nach einer anderen verlangen, sei diese andere auch noch so schön, gesund, reich oder fruchtbar. Die „Unauflöslichkeit der Ehe“ war in Augustinus’ Zeit vor allem für die Männer eine Zumutung. Der Kirchenvater hatte gleichzeitig viel Verständnis für ihre Gelüste und beschreibt die gesellschaftliche Realität mit drastischen Worten: „Dirnen in der Stadt gleichen Abwasserrinnen im Palast. Nimmst Du sie heraus, stinkt das ganze Schloss.“

Die Kirchenväter beschäftigten sich in der Folge von Augustinus unablässig mit der Ehe als dem kleineren Übel und bemühten sich, Einfluss zu nehmen. Die Priester suchten sich in das Ehe-Zeremoniell einzumischen – am Ende der Entwicklung steht im 12. Jahrhundert die Ehe als „Sakrament“ – und der Zölibat der Kleriker. 

Eheliche Liebe (amor coniugalis) bezeichnet nach katholischer Lehre bis heute „nicht vor allem Gefühl, sie ist dagegen wesentlich eine Verpflichtung gegenüber der anderen Person; eine Verpflichtung, die man durch einen bestimmten Willensakt übernimmt“, so Papst Johannes Paul 1999. Die Ehegatten sind verpflichtet, einander liebevoll (d.h. fürsorglich und mit Respekt) zu behandeln. Das Versprechen der katholischen Trauformel kommt aus dem Lehensrecht: „Ich will dich lieben, achten und ehren, bis dass der Tod uns scheidet.“ 

Augustinus und die Sprache

Augustinus, der konvertierte Rhetorik-Lehrer, ist der intellektuelle Totengräber der klassischen Bildung. Mit großer Leidenschaft verdammt er die Freuden des Körpers und der Sinne und seine eigene Sexualität, den Begriff der sündigen concupiscentia wendet er gleichzeitig auf das Wissen an. Rhetorik bedient nur den Marktplatz der Geschwätzigkeit, und die concupiscentia aurium, Ohrengeilheit - neben der fleischlichen Lust verdammt Augustinus den Wissens-Durst:
„Außer der Begierlichkeit des Fleisches, die allen sinnlichen Freuungen und Genüssen zugrunde liegt ... wohnt in der Seele noch eine andere Art von Begier. Durch die gleichen Sinne des Leibes will sie zwar nicht im Fleische ihre Lust haben, aber durch das Mittel des Fleisches Erfahrungen machen: sie bemäntelt ihren hohlen Fürwitz mit dem Namen Erkenntnis und Wissenschaft. Da sie auf dem Erkenntnistrieb beruht und zum Erkennen an erster Stelle unter den Sinnen die Augen da sind, ist sie durch göttlichen Ausspruch Begierlichkeit der Augen genannt worden.“ (Praeter enim concupiscentiam carnis, quae inest in delectatione omnium sensuum et voluptatum ... 
inest animae per eosdem sensus corporis quaedam non se oblectandi in carne, sed experiendi per carnem vana et curiosa cupiditas nomine cognitionis et scientiae palliata. Quae quoniam in appetitu noscendi est, oculi autem sunt ad noscendum in sensibus principes, concupiscentia oculorum  eloquio divino adpellata est.
 Conf. X, 35)

Wahrheit ist nur zu erfahren durch die Worte Gottes, und die hört der Gläubige nicht durch irgendeine Sprache, sondern im Herzen – „ohne das Werkzeug von Mund und Zunge, ohne Silbengetön“. In den „Kammern des Herzens“ sieht Augustinus den wahren „Tempel des Geistes“.
Durch die Zeichen der Sprache könne der Mensch nichts lernen, lehrt Augustinus in seiner Schrift De Maestro (388), durch sein Aussprechen bezeichnen könne der Mensch nur Dinge, die er schon erkannt hat.
Das christliche Denken im Sinne des Kirchenvaters Augustinus beerdigt insofern die Antike. Die Sprache hat für ihn weder Erkenntnisfunktion noch eine legitime Kommunikationsfunktion, durch die Versenkung in den eigenen Innenraum des Herzens wird der Mensch Christ und findet die Wahrheit der Gottesoffenbarung.

Der Kirchenvater „übermalt reine Glaubensbekenntnisse mit scheinbar Rationalem“ (Bergmeier). Auch stilistisch setzt sich Augustinus deutlich von klassischem Philosophieren ab, wenn er seine Gedanken mit Gebeten und Bibelauszügen unterlegt. Seine „Philosophie“ ist Gottes-Phantasie und nicht Bemühen um vernünftige Erkenntnisse.
Geradezu abenteuerlich ist, was Augustinus alles über das Schicksal der Seele nach dem Tode weiß: „Während der Zeit jedoch zwischen dem Tode des Menschen und seiner letzten Auferstehung befinden sich die Seelen an verborgenen Aufenthaltsorten, je nachdem eine der Ruhe oder der Strafe würdig ist, d.h. je nach dem, was sie sich während ihres Lebens im Fleische verdient hat."
  (in seiner Schrift: Enchiridion, 29. Kapitel: Fegfeuer, Himmel und Hölle, http://www.unifr.ch/bkv/kapitel2258-28.htm)

Der Mensch besitzt keinen sittlichen Wert, ist sündhafte Elendsmasse (massa peccati): In seiner Schrift „Ad Simplicianum“ (396) entwickelt Augustinus die Lehre von der Erbsünde aus der falschen Übersetzung einer Textstelle des Römerbriefes (5,12), wo er das Lateinische „in quo omnes peccaverunt“ fälschlich auf Adam (in quo) bezieht anstatt korrekt mit „weil alle sündigten“ zu übersetzen, wie aus dem griechischen Text des Alten Testamentes hervorgeht.
An die Stelle eines (griechischen) Denkens, in dessen Zentrum der Mensch, sein irdisches Leben und seine Schönheit stehen, tritt mit der Theorie von der Erbsünde bei Augustinus eine Verklärung von Elend und Unterdrückung, also eine Rechtfertigung der Entmündigung der Menschen. Schönheit und Glück werden auf den Jüngsten Tag projiziert und wird nur denen versprochen, die sich der Kirche unterwerfen.
In einem Brief an Macedonius formuliert Augustinus:  „Jene aber, die in diesem trübseligen Leben, in diesem sterblichen Leibe, unter dieser Last des verweslichen Fleisches die Urheber ihrer Glückseligkeit und gleichsam deren Schöpfer sein wollen - meinen sie doch, sie aus eigenen Kräften erlangen zu können und gleichsam schon zu besitzen, ohne sie von jener Tugendquelle zu erbitten und zu hoffen -, konnten von Gott nichts merken, da er dem Stolze widersteht.“ Augustinus verlangt von den Gläubigen den Verzicht auf den eigenen Willen, Ausdauer im Gehorsam, Offenbarung aller bösen Gedanken und Taten in der Beichte. Gläubige Menschen reden nicht ungefragt, lassen sich nicht leicht und nicht gern zum Lachen bringen, sprechen wenig und nicht laut. Sie zeigen ihre Demut durch geneigtes Haupt und gesenkten Blick auch in ihrer Körperhaltung. Denn für Augustinus kann die wahre Autorität ist nur die göttliche sein und die vermittelt sich durch die katholische Kirche und ihre Tradition.

Gottesstaat, irdischer Staat

In seiner theologischen Schrift  „Über den Gottesstaat“ (De civitate dei) rechtfertigte Augustinus die religiöse Intoleranz des christlichen Staates. In der irdischen politischen Ordnung wird der Wille Gottes mit Hilfe von Institutionen ausgeführt. Damit sie ihrem Seelenheil näher kommen, müssen die schwachen, sündigen Individuen von einer von Gott legitimierten Herrschaft regiert werden. Sogar Sklaverei und Folter sind gottgewollt und helfen, die Menschen aus ihrer Erbsünde zu befreien. Augustinus verspricht „vollkommenen Frieden“ – aber erst, „wenn der Endsieg errungen ist".
Im Mittelalter war Augustinus‘ Schrift nützlich zur Begründung der Idee vom  „Gottesgnadentum“ irdischer Kaiser, Könige und Fürsten. Der Augustinermönch Luther bezog seine Interpretation des Staatsverständnisses von Augustinus, im „Augsburger Religionsfrieden“ einigten sich die lutherischen Fürsten mit den „Papisten“ auf die Faustregel „cujus regio, eius religio“ - der Landesherr bestimmt die Religion seiner Untertanen.

Augustinus und der Krieg

Für Augustinus folgt aus der Allmacht Gottes, dass es auf Erden keinen Krieg gegen Gottes Willen geben kann. Krieg kann nicht per se schlecht sein -  Christen dürfen daher auch für heidnische oder ungerechte Herrscher kämpfen, denn alle Macht auf Erden werde von Gott verliehen (neque enim habet in eos quisquam ullam potestatem, nisi cui data fuerit desuper). Das gilt erst recht in jedem Krieg, der in Gottes Namen geführt wird, da dieser niemals etwas Böses befehlen kann (quem male aliquid iubere non posse). An der Gerechtigkeit solcher Kriege darf man nicht zweifeln (dubitare fas non est).

„Was, in der Tat, ist denn überhaupt so falsch am Krieg? Dass Menschen sterben, die ohnehin irgendwann sterben werden, damit jene, die überleben, Frieden finden können? Ein Feigling mag darüber jammern, aber gläubige Menschen nicht [...]. Niemand darf jemals die Berechtigung eines Krieges bezweifeln, der in Gottes Namen befohlen wird, denn selbst das, was aus menschlicher Gier entsteht, kann weder den unkorrumpierbaren Gott noch seinen Heiligen etwas anhaben. Gott befiehlt Krieg, um den Stolz der Sterblichen auszutreiben, zu zerschmettern und zu unterwerfen. Krieg zu erdulden ist eine Probe für die Geduld der Gläubigen, um sie zu erniedrigen und seine väterlichen Zurechtweisungen anzunehmen. Denn niemand besitzt Macht über andere, wenn er sie nicht vom Himmel erhalten hat. Alle Gewalt wird nur auf Gottes Befehl oder mit seiner Erlaubnis ausgeübt. Und so kann ein Mann gerecht für die Ordnung kämpfen, selbst wenn er unter einem ungläubigen Herrscher dient. Was immer er tut, ist entweder eindeutig nicht gegen Gottes Vorschrift oder zumindest nicht eindeutig dagegen. Selbst wenn das Geben eines Befehls den Herrscher schuldig machen sollte, ist der Soldat, der ihm gehorcht, unschuldig. Wieviel unschuldiger muss da ein Mann sein, der einen Krieg führt, der von Gott befohlen wurde, der ja niemals etwas Falsches befehlen kann, wie jeder weiß, der ihm dient?“ (1)

Urteile über Augustinus

Kardinal Joseph Ratzinger (Papst Benedict XVI) ist seit seiner Studienzeit ein Schüler des Kirchenvaters Augustinus. Das prägte auch seine Spiritualität. In seinen Memoiren berichtet er u.a., dass er als bischöfliches Wappen das Symbol einer Muschel gewählt habe, weil sie ihn an eine Legende von Augustinus erinnerte. Dieser berichtet, er habe, als Kind über das Geheimnis der Trinität am Strande von Hippo nachdenkend, ein Kind gesehen, das mit einer Muschel das Wasser des Meeres in eine kleine Grube schöpfte. Auf seine Frage, was es denn da mache, habe das Kind geantwortet: „So wenig diese Grube die Wasser des Meeres fassen kann, so wenig vermag dein Verstand Gottes Wesen zu begreifen.“ Ratzinger erläutert: „So ist die Muschel Hinweis für mich auf meinen großen Meister Augustinus, Hinweis auf meine theologische Arbeit und Hinweis auf die Größe des Geheimnisses, das weiter reicht als all unsere Wissenschaft.“

Für Kurt Flasch, der Augustinus Schrift „Ad Simplicianum“ herausgegeben und übersetzt hat, formuliert der Kirchenvater hier eine inhumane „Logik des Schreckens“ an der Schwelle zum christlichen Abendland. Flasch nennt Augustinus einen  „Klassiker der christlichen Intoleranz“, der aus der göttlichen Didaktik des Quälens eine kirchliche und familiäre ableitet.

Karl Jaspers urteilt: „Es sind in Augustin Züge von Inhumanität, die man zu leicht übersieht.”

Rolf Bergmeier: „Augustinus ist eine vermutlich psychisch kranke, tragische Figur, zugleich die prägende Gestalt einer aus dem Ruder laufenden Religion. Er markiert in persona eine epochale Wende in der Geschichte des Denkens und der Kultur. Seine Lehre ist ein kolossaler, halluzinatorischer Fiebertraum und seine Fata Morgana ist nicht weniger extravagant, weil sie religiös genannt wird. Dass solche Wahnvorstellungen ungebremst zum Mittelpunkt der christlichen Lehre werden durften, dass diese Lehre fast zweitausend Jahre die Herzen der Menschen vergiften und die Sinne der Fürsten vernebeln durfte, ist Schuld der christlichen Kirche, die aus diesem Katastrophen-Szenarium gewaltige Vorteile ziehen wird.“