Klaus Wolschner                     Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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Texte zur  Kommunikation
von Religion

 

Der historische Jesus aus Galiläa
im religionsgeschichtlichen Kontext
 

9-2012

Die alten semitischen Kulte kannten einen Himmel, in dem sie die Himmelsgötter anbeteten, und die Unterwelt „Scheol“, in denen sie die Toten vermuteten. Die Rituale des bäuerlichen Jahres sollten die Götter besänftigten, die für den Regen verantwortlich waren. An den Gräbern der Toten wurde von den Familien geopfert, um die Ahnen mit Wasser und Speisen zu versorgen. Das Reich der Toten kannte kein Glück, aber auch keine Sorgen. Die Toten können aber den Lebenden helfen, über Orakel können sie das Schicksal der Lebenden vorhersagen, sie haltan Verbindung mit den Lebenden.

Die „Jahwe-allein“-Reformer des jüdischen Glaubens im 7. vorchristlichen Jahrhundert untersagten den vielfältigen Totenkult und ersetzten die Welt der Himmelsgötter durch den einen Gott, aber eine Verheißung über ein Leben über den Tod hinaus kannten sie noch nicht. Erst nach der Zerschlagung des jüdischen Reiches und unter dem Einfluss zum Beispiel der iranischen Kultur Zarathustras begannen jüdische Theologen, über das Schicksal der Toten anders nachzudenken und über eine Auferstehung zu spekulieren. Das große Knochenfeld, über das Hesekiel in seiner Vision mit Gott spricht mit dem Ergebnis, dass Gott den Knochen Leben einhaucht und die Knochen von Fleisch überwachsen lässt, ist persisch inspiriert. Vor allem das politische Schicksal des Judenreiches und die drängende Frage, warum Jahwe seinem Volk nicht beistand, führte zu Hoffnungen auf ein irdisches neues Reich, für das Gott die Toten wieder auferwecken würde. 

Erfindung des Himmels und der Seele

Erst die griechische Philosophie der Seele entwickelt den Gedanken, dass das Reich der Toten bzw der vom Leib getrennten Seelen nicht unter der Erde sei, sondern über den Gestirnen – in der Sphäre der Himmelsgötter.  „Im Himmel gesellt sich die Seele zu den unkörperlichen Bewohnern der göttlichen Welt, den Engeln.“ (Lang/Dannell) Gebildete hellenistische Juden und Zeitgenossen von Jesus wie etwa Philo von Alexandrien (15 v. bis 40 n. Chr.) glaubten an die Unsterblichkeit der Seele und hatten wenig übrig für die Wiedererrichtung des jüdischen Königreiches – ihnen ging es um den einzelnen Menschen und sein Schicksal nach dem Tode. Auch die Essener haben offenbar an eine Befreiung der Seele aus dem Gefängnis des Körpers geglaubt. Sie waren religiöse Eiferer und Individualisten – nur die Bindung an Gott sollte zählen, Anhänger dieser Richtung mussten die Bindungen an ihre Familien abstreifen.

Gespaltener jüdischer Himmel

Im Judentum gab es zu Lebzeiten des Jesus aus Galiläa keine einheitliche Auffassung über die Frage, was nach dem Tod kommt. Die Sadduzäer etwa, konservative Anhänger der Heiligen Schrift und oft reiche Vertreter der Oberschicht, interessierten sich wie die „Jahwe-allein“-Bewegung nicht für diese Frage. „Die Lehre der Sadduzäer lässt die Seele mit dem Körper zugrunde gehen“, berichtete der römische Historiker Josephus. Die volkstümliche Bewegung der Pharisäer glaubte an ein Leben nach dem Tode, nach Josephus würden aber „nur die guten Seelen in einen anderen Leib übergehen“.

Der griechisch gebildete Paulus war der pharisäischen Tradition verpflichtet, ihn quälte die Frage, ob der Leib aufersteht, und versucht seine griechische Bildung mit den volkstümlichen Überzeugungen aus Galiläa durch eine neue Konstruktion zu versöhnen: Es sei ein neuer, anderer Leib, der da aufersteht, schreibt er den Korinthern, nicht der fleischlich-sündige.

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich der historische Jesus mit solchen „griechischen“ Problemen beschäftigt hat. Er sprach vor allem die kleinen Leute an mit seiner messianischen Botschaft, die Frauen und die Zöllner. Die messianische Gottesherrschaft versprach den armen Menschen Genugtuung, sein Bekehrungs-Aufruf sprach die leiblich-seelische Personalität des Einzelnen an. 

Auch wenn Galiläa eine bäuerlich geprägte Gegend war, in der man die Zahlung des „Halbschekel“ für den Jerusalemer Tempel verweigerte, war  die jüdische Kontroverse über die Frage des Lebens nach dem Tod dort bekannt. In den synoptischen Evangelien ist die Geschichte übermittelt, in der Sadduzäer Jesus fragen, was denn mit einer Frau sei, die im irdischen Leben mit acht Brüdern verheiratet gewesen sei, weil einer nach dem anderen starb. Nach jüdischer Sitte musste eine Witwe von dem ältesten Bruder ihres Mannes versorgt und geheiratet werden. Und im Himmel nach der Auferstehung? Für die Sadduzäer war das ein Witz, der die pharisäische Auffassung provozieren sollte: Nach dem Buchstaben der pharisäischen Gesetze hätten alle Brüder das Anrecht auf die Frau gehabt. Jesus, so wird berichtet, weicht dem Problem aus – und formuliert eine individualistische Antwort: Nach der Auferstehung ist niemand mehr verheiratet, jeder Mensch ist allein bei Gott. (Mk 12,18ff, Mt 22,23ff, Lk 20,27ff) Jesus lehnte Familienbindungen ab – eine Provokation in der galiläischen Gesellschaft.

Für die, die Jesu Geschichten weitererzählt haben, gibt es auch keine klare Trennung von Leib und Seele. In der Geschichte mit dem reichen Prasser und dem armen Lazarus verlangt der Reiche nach seinem Tod nach einem Tropfen Wasser, um seine Zunge zu kühlen. Der Nachweis der Auferstehung bezieht sich auf den Leichnam, den Leib.
Als Johannes der Täufer von Zweifeln bewegt wurde, ob Jesus der sei, „der da kommen soll“, sandte er zwei seiner Jünger zu ihm, um ihn zu befragen. Die Antwort: „Gehet hin und saget dem Johannes wieder, was ihr sehet und höret; die Blinden sehen und die Lahmen gehen, die Aussätzigen werden rein und die Tauben hören, die Toten stehen auf, und den Armen wird das Evangelium gepredigt.“ (Mt 11,3). Das ist die alte jüdische Vorstellung: Der Messias ist die Hoffnung auf schlichte irdische Gerechtigkeit. Jesus selbst war nach dem Bericht des Lukas auch keineswegs asketisch, Asketen hielten ihn für einen „Fresser und ein Weinsäufer.“ (Lk 7,34).

Wenn die Rede davon ist, dass er „noch an demselben Tag“ – also sofort nach dem Tod - zur rechten Gottes sitzen wird, bedeutet dies: Das himmlische ewige Leben und das irdische Leben haben keine zeitliche Abfolge, es gibt kein Warten in der Unterwelt auf einen bestimmten Tag wie in der pharisäischen Tradition.

Nach einer spöttischen Bemerkung des späteren Kaisers Julian (aus dem 4. Jahrhundert) waren Wundertäter auch in der Kombination mit Armenfürsorge in Galiläa keine Besonderheit gewesen – bekannt war zum Beispiel der Wundercharismatiker Chanina Ben Dosa (um 40–75). Wunder waren fast etwas Alltägliches, sie vermittelten den einfachen Menschen die göttliche Gegenwart.

Der jüdische Jesus und der griechische Christos

Die Jerusalemer Urgemeinde unter der Leitung der drei „Säulen“ Petrus, Johannes und des Jesus-Bruders Jakobus war kaum vom damaligen Judentum zu unterscheiden. Die Ebioniten, Judenchristen in dieser Tradition, wurden im vierten Jahrhundert als „Häretiker“ aus der Kirche ausgeschlossen. Bei Epiphanius wird die (ebionitische) Geschichte erzählt, dass Paulus ein Grieche gewesen sei, der sich nur aufgrund der Liebe zu der Tochter eines Priesters habe beschneiden lasse. Als seine Liebe zurückgewiesen wurde, habe er sich zum Eiferer gegen das jüdische Gesetz entwickelt.

 Im griechisch-römischen Kulturraum war der religiöse Kultus eine staatspolitische Pflicht, nicht unbedingt eine besondere persönliche Überzeugung: Man ging davon aus, dass die oberste Gottheit (numen divinum) in verschiedenen Formen auftreten kann. Die einfache Bevölkerung ging diversen Mysterienkulten nach, sie opferte der Magna Mater und Attis aus Phrygien, der Isis und Osiris aus Ägypten oder den kosmischen Heilsgöttern Sarapis aus Ägypten und Mithras aus Persien.

Von den Juden wurde Kultus-Treue gegenüber dem Kaiser erwartet – also zum Beispiel auch das Opfer eines Getreidekornes, nicht eine bestimmte Überzeugung. Die Besonderheiten der jüdischen Religion wurden toleriert: der strenge Monotheismus, die mit dem Bilderverbot durchgesetzte Idee von der „Transzendenz“ Gottes und die Zentrierung um die Schrift (Buchreligion). Das jüdische Denken bewegte sich stark in  zeitlichen Kategorien – Warten auf den Messias.

Schon um 40 n. Chr. ließen sich Judenchristen in Antiochia in Syrien nieder, wo sie sich mit ihrer Mission an Nicht-Juden wandten. Sie ließen die jüdischen Ritualgesetze hinter sich, insbesondere wurde die Pflicht zur Beschneidung infrage gestellt. Als Fremde in Antiochien wurden sie zunächst „Messianische" genannt, dann „Christianoi". Diese Bezeichnung war natürlich problematisch für Juden.
Antiochia war die drittgrößte Stadt des römischen Reiches und eine bedeutende Handelsmetropole. Händler und Reisende verbreiteten die Kunde von der neuen religiösen Gruppierung. Vor 50 n. Chr. gab es - unabhängig von Paulus – christliche  Gemeinden in Rom, Cyrenaika (Libyen) und in Alexandria.

Bei dem Jerusalemer Apostelkonzil (wahrscheinlich 48 n. Chr.) entzündete sich der Streit zwischen gesetzestreuen und „hellenischen“ Christen. Paulus setzte sich mit seinem Standpunkt durch, dass von den bekehrten Heiden die Einhaltung der moralischen Grundsätze verlangt werden soll, nicht aber die der jüdischen Ritual-Vorschriften (Apg. 15). 

Das palästinensische Judenchristentum verlor mit Jakobus, dem Bruder Jesu, im Jahre 62 seinen geistigen Kopf, im römisch-jüdischen Krieg 70 wurde die Stadt zerstört und die Gemeinde zerstreut. Nach der Zerstörung der urchristlichen Gemeinde in Jerusalem konnte sich der griechische Einfluss und die griechischen Lesart der Lehren Jesu aus Galiläa konkurrenzlos entfalten. Dabei spielte der unermüdlich reisende und Briefe schreibende Paulus eine Schlüsselrolle für die Verbreitung des Christentums. (zu Paulus vgl. Paulus - Erfinder des Christentums, Link)

In der Offenbarung des Johannes, verfasst gegen Ende des 1. Jahrhunderts, herrscht dann die freie Phantasie. In großer Freiheit gegenüber den drei „synoptischen“ Evangelien-Berichten wird das Reich Gottes bildlich ausgemalt als eine Mischung aus römischem Hofzeremoniell und christlichen Gottesdienst. Die Wiederkehr Christi wird zuerst irdisch vorgestellt, 1.000 Jahre lang soll der Satan gefangen gehalten werden und die Märtyrer können sozusagen als Kompensation für das, was ihnen entgangen ist, ein „paradiesisches“ irdisches Leben unter den Menschen führen. Dann folgt in dieser Phantasie das Jüngste Gericht, die Bösen werden in den brennenden See geworfen, die Toten werden auferstehen, das neue Jerusalem wird als riesige Halle aus kostbarsten Materialien beschrieben, in deren Mitte Gott und Christus thronen. Gott wird geehrt wie ein Kaiser. In aller Liebe zur griechischen Architektur beschreibt der Text die edlen Baumaterialien, „nur beiläufig geht er darauf ein, was in dem wundersamen Bauwerk geschieht“. (Lang/Dannell)

    Literatur-Tipps:
    Bernhard Lang / Colleen Mc Dannell: Der Himmel. Eine Kulturgeschichte des ewigen Lebens, Frankfurt 1990
    Gerd Lüdemann: Der große Betrug. Und was Jesus wirklich sagte und tat. (4. Aufl. 2002)
    Adolf von Harnack: „Das Wesen des Christentums (1908/1929)
             Diesen Klassiker gibt es online:
    http://de.wikisource.org/wiki/Das_Wesen_des_Christentums