Klaus Wolschner                     Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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Texte zur  Kommunikation
von Religion

 

Zitate aus

Rolf Bergmeier: Schatten über Europa. Der Untergang der antiken Kultur (Aschaffenburg 2011)

 

IV Ursache: Die Staatskirche und ihr neues Weltbild

Paulus, Tertullian, Laktanz, Origenes, Eusebius, Clemens, Hieronymus, Cyprian, sie alle lehren die gleiche Botschaft: Bildung sei unnütz, halte lediglich von der religiösen Einkehr ab und dürfe, wenn überhaupt, nur zur Interpretation der wahren christlichen Botschaft genutzt werden. In vielen Texten damaliger Kirchenführer erkennen wir einen zerstörerischen Fundamentalismus, der sich in der Antipathie gegen die antike Geisteswelt äußert, die als feindlich und verderblich eingestuft wird. ‚Bildung’, bemerkt der Mainzer Archäologe German Hafner, ‚hat in ihr [der Kirche] keinen Platz, an ihre Stelle [der Bildung] ist der Glaube getreten’, der Versuch, den Menschen die Freiheit zu geben, selbst über sich zu entscheiden und Probleme durch logisches Denken zu lösen, habe sich nicht durchsetzen können.
Im Mittelpunkt christlich-kirchlichen Argwohns stehen die öffentlichen Schulen, denen von Anfang an unterstellt wird, Hort heidnischen Glaubens zu sein. Tertullian (um 150-230) meint, weder ein Elementarlehrer noch ein Lehrer an höheren Schulen könne Christ sein, denn ‚der Grund zum Glauben an den Teufel werde mit den Anfängen des Unterrichts’ gelegt.
Sein christlicher Kollege Origenes betont, der wunderbare Charakter der christlichen Religion werde nicht durch gelehrte Vorträge, sondern durch die Art bewiesen, in der diese durch einfache Männer ohne Bildung verbreitet werde.” (139)

Athanasius, Bischof von Alexandria, verkündet im vierten Jahrhundert, der heilige Antonius sei ein Bauernjunge gewesen, der keine Ahnung vom Griechischen gehabt und allein Gottes Schule durchlaufen habe. ‚Antonius wurde be rühmt nicht durch seine Schriften noch durch weltliche Weisheit oder durch irgendeine Kunst, sondern allein durch seine Frömmigkeit’ und folgert daraus: ‚Wessen Verstand gesund ist, der braucht keine Wissenschaft.’ Und Gregor, Bischof von Tours, (540-594) bekennt mit bemerkenswertem Freimut, dass ihm die nötige grammatikalische Bildung fehle, und entschuldigt sich, der göttliche Erlöser habe nicht Redner, sondern Fischer und ungebildete Menschen ausgewählt.”

“Im Rausch einer bildungsfeindlichen Jenseits-Euphorie meinen die christlichen Führer, das Volk brauche keine Schulung in Philosophie, Recht und Rhetorik. Lesen und Schreiben seien nicht vonnöten. Das sei Gottes Wille, denn Gott habe Fischer und Segelmacher erwählt, den Einfältigen, Illiteraten und Ungebildeten sei das Himmelreich. Statt jahrelangem Pauken reiche die Taufe und der Katechumenen-Unterricht.”

„Damit ist das Schicksal der ‚Volks’-Schulen besiegelt. Bereits um 500 n. Chr. sind weite Teile der Bevölkerung völlig ohne Unterricht, die Sprache verwildert und ‚steigende Barbarei muß die nächste Folge sein’, ergänzt der Kirchenhistoriker Hans von Schubert. Um 550 n.Chr., bilanziert Peter Watson, ‚waren nur noch [Schulen in] Konstantinopel und Alexandria übrig’. Nach rund einhundert Jahren Christentum zieht das Gespenst des volksweiten Analphabetismus in Mitteleuropa ein.“ (142)

„Die katastrophalen Folgen bleiben nicht aus: Neunzig Prozent der Bevölkerung lernen nie Lesen, Schreiben und Rechnen.“ (145)

„Während das Lehrprogramm höherer antiker Bildungseinrichtungen an einer breiten Literaturkenntnis, der Erörterung grundlegender philosophischer Fragen zur Abrundung des eigenen Urteils sowie an der öffentlichen Vertretung der erarbeiteten Positionen mit Hilfe einer ausgefeilten Rhetorik orientiert gewesen ist, suchen die frühmittelalterlichen kirchlichen Bildungsanstalten ausschließlich das Rüstzeug für die Exegese der Bibel und der Schriften der Kirchenväter zu vermitteln.“ (146)

„Da das Volk nicht mehr lesen kann, sind Indices für verbotene Bücher im Grunde entbehrlich. Ebenso ist das Verbot, die lateinische Bibel in die Volkssprache zu übersetzen, überflüssig, da das Volk weder Latein noch das Volksidiom lesen kann und sich mit Bilderbibel und Wand- und Fenstermalereien in den Kirchen begnügen muss. (147)

Beide Einschränkungen, Bücher- und Übersetzungsverbot, sind folglich erst ab der Renaissance vonnöten, nachdem kommunale Schulen und Universitäten ihre Tore geöffnet haben. Nun muss die Kirche um ihr Deutungsmonopol kämpfen. Und so endet der Versuch des Briten William Tyndale, die Bibel in England zum Verständnis des Volkes ins Englische zu übersetzen, 1535 auf dem Scheiterhaufen.“ (147)

„Die Neuproduktion säkularer Werke kommt fast völlig zum Erliegen und der öffentliche und private Kopierdienst stellt seine Arbeit durchgehend ein, jedenfalls soweit die klassische Literatur betroffen ist.“ (148)

„Schätzungen rechnen, dass lediglich ein bis zwei Bücher des dritten und vierten Jahrhunderts von tausend Werken, also 0,1 Prozent, das sechste und siebte Jahrhundert erreichen.“   (148)

„Eine frühe christliche Gemeindeordnung aus dem dritten Jahrhundert, die Didascalia, unterstreicht: Man müsse sich der heidnischen Bücher vollkommen enthalten, sie seien des Teufels. Was habe der Christ mit diesen Irrtümern zu tun, wo er doch das Wort Gottes besitze, die Bibel genüge für die Bedürfnisse der Bildung; alle jene fremden Schriften müsse man als Werke des Teufels von sich weisen. Heidnische Bücher dürften noch nicht einmal berührt werden.Lügenprophet’ nennt das Pamphlet Aristoteles, und die Schriften Platons würden lediglich die Sinne vernebeln.“ (148)

„Zeitgleich klärt der christliche Patriarch Theophilos, der sich im Zusammenhang mit der Zerstörung der berühmten Serapeion-Bibliothek Alexandrias einen Namen gemacht hat, das Kirchenvolk über die Wertlosigkeit antiker und neuplatonischer Schriften auf: Niemand dürfe die heidnischen Klassiker und die Schriften des ‚Ketzers’ Origenes ‚lesen oder besitzen’.“  (149)

„Bischof Hieronymus … schwört unter Tränen allen weltlichen Büchern ab: ‚O Herr, wenn ich je wieder weltliche Bücher vornehme und sie lese, so will ich dich verleugnet haben’ und verlangt schleunigst die Reinigung des Schulunterrichtes von jeglicher heidnischen Lektüre.“   (149)

Der spanische Bischof Isidor von Sevilla (560-636) schließlich formulierte „seinen Horror vor den Schriften antiker Philosophen: Epikur und die Epikureer seien Schweinephilosophen. Sie paarten sich wie Hunde an allen Orten und auf allen Plätzen. Und da der gesittete Bürger vor ‚Schweinephilosophen’ und ‚Hunden’ geschützt werden muss, wird den Christen fürsorglich verboten, ‚die Erfindungen der Dichter zu lesen’.“ (149)

„In einigen christlichen Kreisen, schreibt der britische Kulturhistoriker Peter Watson, ‚erregte schon das schiere Vorhandensein von Büchern (Traktaten) tiefstes Misstrauen - da sie mit Falschaussagen angefüllt sein konnten, die womöglich von finsteren Kräften eingeflüstert worden waren’.“ (158)

Haben Klosterbibliotheken „eine Brücke gebildet, über die sich die angeschlagene Literatur in das Mittelalter habe retten können“?  (151)

„90 Prozent der frühmittelalterlichen Handschriften, die in Europa verbreitet, abgeschrieben, kommentiert und weitergegeben wurden, (waren) kirchlichen Inhalts" (nach Prinz, Europas geistige Anfänge). Bei einem durchschnittlichen Bücherbestand einer frühmittelalterlichen Klosterbibliothek von rund 300 Titeln wären damit dreißig Bücher nichtkirchlichen Inhaltes und diese wenigen Werke beschäftigen sich vor allem mit Ackerbau und Viehzucht und nicht mit Euripides oder Cicero.“ (152)

„Während die zahlreichen öffentlichen Bibliotheken des vierten Jahrhunderts noch einen nach Hundertausenden zählenden Bücherbestand aufweisen, je Bibliothek wohlgemerkt, verfugt die Klosterbibliothek Vivarium (Cassiodor) aus dem ausgehenden sechsten Jahrhundert nur noch über etwa einhundert ‚Heilige Schriften’ und rund fünfzig Profanschriften.  Die im Jahre 724 gegründete Reichenauer Klosterbibliothek, die zur damaligen Zeit als eine der umfangreichsten des lateinsprachigen Abendlandes gilt, verfügt nach einem  Bestandsverzeichnis des Jahres 822 über gerade einmal rund 450 Bücher, davon nur wenige Exemplare wissenschaftlichen oder technischen Inhalts. (…) Anhand der Bibliothekskataloge kann also nachgewiesen werden, dass nahezu die gesamte antike Literatur verworfen worden ist. (…) „Kennzeichen frühmittelalterlicher Klosterbibliotheken ist also die Selektion. Es geht um gezielte Auswahl von Texten, die christlichen Anforderungen dienlich sind.“ (154)

„Isidor von Sevilla (560-636), Autor einer bis weit in das Mittelalter hoch angesehenen Bibel-Exegese“, war „eine Größe in einer geistig verarmenden Welt. Seine sparsamen, lexikalischen Stichworte sind Erinnerungen, die auf die verstümmelten Bildungsinhalte der Antike hinweisen.“ (158)  

Mit dem Decretum Gelasianum entstehen im sechsten Jahrhundert Verbotslisten der Kirche.
„Das Dekret ist Vorläufer des berüchtigten Index librorum prohibitorum, der in seiner 32. Ausgabe im Jahre 1966 rund viertausend Titel umfasst, u.a. Kants
Kritik der reinen Vernunft, das 1827 vom Vatikan auf das Verzeichnis verbotener Bücher gesetzt wird, aber auch Descartes, Montesquieu, Voltaire, Rousseau, David Hume, Spinoza, John Locke, Casanova, Sade, Madame de Stael, Stendhal, Balzac, Victor Hugo, Gustav Flaubert, Alexander Dumas, Emile Zola, Heinrich Heine, Ranke, Schopenhauer, Nietzsche, Goethe und Jean Paul Sartre finden sich auf dieser Liste wieder…“
(159)