Klaus Wolschner

Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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II
Politik
und Medien

Über traditionelle Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

POP 55

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Über die
Mediengeschichte der
Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert des Auges

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Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne

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Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen

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Über die populistische Schelte „der Journalisten“

Warum wir über die Gesellschaft sehr viel mehr wissen als die Medien verraten
und warum die Medien nicht „vierte Gewalt“ sind

2020

„Journalisten sollen treuhänderisch dafür sorgen, dass Demokratien sich insgesamt neutral über sich selbst aufklären können.  Wo diese Aufgabe jedoch unerledigt bleibt oder systematisch verzerrte Ergebnisse liefert,  entstehen defekte Demokratien.“   So fasst der Dortmunder Medienwissenschaftler Thomas Meyer, also einer der es wissen muss, das aktuelle Unbehagen am Journalismus und an der angeblichen „Lügenpresse“ zusammen.  „Die Journalisten“ seien „die Unbelangbaren“ in unserer Gesellschaft – und seien schuld an einer „defekten Demokratie“.

„Die Journalisten“ – wer soll das eigentlich sein angesichts des Pluralismus, der Vielfalt und Unterschiedlichkeit von Medien und MedienmitarbeiterInnen?

„Die Aufgabe der Journalisten“ – wer hat die formuliert? Die Prüfungsordnung? Das Medienunternehmen? Gar „das Volk“?? Die Demokratie?

Die verbreitete populistische Medienschelte, leider auch bei Experten wie Meyer, bezieht sich auf „die Journalisten“. Das ist locker dahin geredet und auf dem Niveau von Sätzen wie: Die Aufgabe der Bäcker ist es, gutes Brot zu backen.
„Die Journalisten“ gibt es nicht, jedenfalls nicht in Sätzen mit sinnvollen Aussagen. Die These, dass sie „unbelangbar“ wären, ist leicht zu widerlegen – mit vielen Beispielen aus den letzten Jahren. Die kühne These, dass sie sich nicht untereinander kritisieren würden, ebenso. Kaum ein Berufsstand kennt soviel interne Kritik und gegenseitige Kontrolle in einer Redaktion wie der der Journalisten - obwohl das eher wenige LeserInnen interessiert, da die wenigsten die Berichterstattung mehrerer Medien vergleichend verfolgen.
In der Vielfalt der Medien-Produkte gibt es immer implizite Kritik an der Publikationspraxis der Konkurrenz und manchmal auch explizite veröffentlichte Kritik – auf jedenfalls mehr als bei Bäckern und Ärzten.

Hofberichterstatter im Höhenrausch

Hofberichterstatter im Höhenrausch - die gibt es. Die Sucht nach politischem Einfluss ist bei vielen politisch motivierten Journalisten deutlich und etwa von Jürgen Leinemann 2009 in seinem Buch „Höhenrausch. Die wirklichkeitsleere Welt der Politiker“ sehr informativ beschrieben worden. Journalisten sind abhängig von den Einflüsterungen aus dem (ebenfalls pluralistisch gestalteten) Bereich der Politik und beziehen ihr Selbstwertgefühl im Zweifelsfall aus der Nähe zu einem der Machthaber. Sie machen sich wichtig, indem sie sich abhängig machen. Politiker fördern diese Abhängigkeit und in jeder Landeshauptstadt gibt es einen Kreis der „Rathausjournalisten“ mit besonderen Privilegien. Die Tradition der „Hofberichterstatter“ ist alt.
Wenn Thomas Meyer in seiner Kritik der „als-ob-Politiker“ unterstellt, das sei ein neuartiges Phänomen, kennt er die Geschichte des Journalismus schlecht. Journalisten im deutschen Kaiserreich in waren vielen Fällen aktive Parteiführer  und umgekehrt - ohne dass daran jemand Anstoß nahm. Presse war eben zu einem guten Teil Parteipresse und wem die eine Richtung nicht passte, der abonnierte eine andere. Dass Journalisten sich untereinander in den 1950er Jahren mehr  gegenseitig kritisch kommentiert haben, ist auch nicht erkennbar.

Das normative Modell des neutralen journalistischen Beobachters und einer Zeitung für alle („Generalanzeiger“) ist ein Idealbild, entstanden im amerikanischen Journalismus. Historische Wirklichkeit war das nie, auch nicht in den USA. Es ist gleichwohl eine sinnvolle Norm, um Abweichungen davon zu kennzeichnen und zu erkennen.
Ein Blick auf die kaufmännische Erfolgsstatistik von journalistischen Produkten zeigt, dass dieses Idealbild von der Masse der Leserschaft offenbar nicht vorrangig „gekauft“ wird. LeserInnen kaufen Meinungsblätter und zwar die, die ihre eigene Meinung bestätigen.

Journalisten sind gekauft - von ihren Lesern

Wer „die Journalisten“ als aus sich heraus handelnde Subjekte betrachtet, übersieht ihre Abhängig von der Gunst ihrer Leser und Käufer. Verlage „kaufen“ bestimmte bekannte Journalisten ein, wenn sie sich davon eine Erhöhung ihres Renommes und ihrer Auflage versprechen. Bundeskanzler Helmut Schmidt wurde „Zeit“-Herausgeber nicht aufgrund seiner journalistischen Qualifikation, sondern aufgrund seines politischen Renommees, letztlich aus Marketing-Gründen. Wenn Meyer davon spricht, dass „die erschlaffende Demokratie heute dringend … eine Erneuerung des demokratisch-kulturellen Mandats des politischen Journalismus“ brauche, dann ist das schlichter Quark – ein derartiges „Mandat“ hat es nie gegeben und es gibt in einer Demokratie auch keine Instanz, die es ausstellen könnte.

LeserInnen kaufen gern Meinungsblätter. Schon aus diesem Grund ist es Unsinn, wenn Luhmann formuliert: „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ Die Menschen gucken durch die Brille ihrer persönlichen und familiären Erfahrung auf die ihnen fremde Welt dessen, was in den Medien über den Bereich der Politik berichtet wird, und versuchen mit ihren familiären Mustern etwas zu verstehen. dabei spielen Autoritäten eine große Rolle: Ich weiß, Papa hat immer recht, also suche ich mir einen Journalisten und einen Titel, dem ich vertraue. Und wenn politische Vorgänge von Journalisten, die es oft besser wissen, popularisierend und personalisiert dargestellt werden und nicht als komplexe Strukturkonflikte, kommt das bei den LeserInnen besser an.

Der Dortmunder Medienwissenschaftler Thomas Meyer hat in seiner Analyse der „Mediokratie“ (1961) die komplexe Verschränkung von Mediensystem und politischem System analysiert. Wie bei den meisten Netzwerken gibt es da keine schlichte Aufteilung der Rollen in Subjekt und Objekt, Täter und Opfer. Gerade die Geschichte des Bundespräsidenten Christian Wulff, den Meyer zum Paradebeispiel in seinem neuen Buch „Die Unbelangbaren“ (2015) erhebt, ist Beispiel für diese Ambivalenz. Wulff hat gerade mit der BILD-Zeitung über Jahre gespielt, hat sie instrumentalisiert – und wurde dann am Ende von ihr instrumentalisiert für die Aufführung des Stückes: Alle Politiker sind selbstherrliche Gauner, die in die eigene Tasche wirtschaften. Das BILD-Publikum liebte und kaufe beide Geschichten.

Die Medien sind keine „vierte Gewalt“ 

Geradezu irreführend ist die gern gebrauchte Metapher von der Presse als der „vierten Gewalt“. Sie entstand im vordemokratischen Kontext und unterstellt eine eigene institutionelle Machtposition im Sinne der auf Charles de Montesquieu im frühen 18. Jahrhundert zurückgehenden Gewaltentrennung im absolutistischen Staat. Diese von Montesquieu 1748 in „De I'esprit des lois“ skizzierte schematische Gewichtsverteilung der Gewalten ist im modernen demokratischen Staatsapparat völlig überholt. Jean-Jacques Rousseau hatte die Presse als die vierte „Säule” des Staates bezeichnet – verstrickt in die Abhängigkeiten, zu denen nicht nur die Obrigkeit, sondern auch damals schon das zahlende Publikum zählte. Sicherlich hatte er keine pluralistische Presse im Auge. Die Konkurrenz der Parteien spielt zum Beispiel in der Praxis für die komplexe Struktur Gewaltenteilung eine mindestens ebenso große Rolle wie die Trennung von Exekutive und Legislative.

Mit der metaphorischen Rede von der „vierten Gewalt“ wollte die Presse ihre Unabhängigkeit und ihre Bedeutung unterstreichen. So hat schon Joseph Görres in der Erstnummer des „Rheinischen Merkur“ im Jahre 1814 gefordert, Zeitungen und Publizisten sollten als Tribunen „die große Mehrheit vertreten“ und gleichzeitig „der Mund des Volkes und das Ohr der Fürsten seyn“. Da war er sicherlich seiner Zeit weit voraus, in der Wirklichkeit waren die Presseorgane im 19. Jahrhundert der „Mund“ der politischen Eliten, jedenfalls in Deutschland.
Seitdem die Zeitungen nicht mehr Organe der politischen Führungen sind und im Sinne von „Echokammern“ das Parteivolk binden, erst seitdem Demokratie mehr ist als die Wahl der Führer alle vier Jahre, seitdem die vielfältige Information der Gesellschaft über Vorgänge der Politik zunimmt, hat die Presse die Funktion eines „Anwaltes des Volkes“  übernommen – gestützt auf Meinungsumfragen konfrontiert sie die mit einem allgemeinen Mandat gewählten Vertreter mit dem, was die Mehrheit in einer konkreten Frage und einer konkreten Situation denkt. Im demokratischen Rechtsstaat steht die Öffentlichkeit, das heißt die Gesamtheit aller interessierten Bürger, in einem permanenten Kommunikationsprozess mit der staatlichen Gewalt – und natürlich ist diese Kommunikation vermittelt über die Medien. Die Medien sind im Sinne von Görres Tribunen und erfüllen in diesem Rahmen  eine Vorwarnfunktion für die Politik. In ihrer Vielfalt haben Medien eine Scharnier- und Vermittlerfunktion zwischen ihren LeserInnen – mutmaßlich dem Volk – und den vom Volk letztlich gewählten Amtsträgern.

Das Netzwerk zwischen Politik und medialer Vermittlung ist durch die Verbreitung der sozialen Netze noch komplexer geworden. Die spontanen Äußerungen in den sozialen Netzwerken haben eine große emotionale Attraktivität, weil sie gleichsam von „einem von uns“ verbreitet werden. Die medienkonsumierende Bevölkerung ist nicht mehr angewiesen auf die Zeitungen der professionellen Journalisten. Wenn Journalisten eine schlichte populäre Weltsicht nicht teilen, gelten sie in den sozialen Netzwerken als „Versteher“ der etablierten Machtpolitiker und im Zweifelsfall als abhängig. Da diese Kritik die Medienmacher in einen möglichen Konflikt mit Käufern bringt, ist sie existentiell bedrohlich. Wenn Journalisten sich als „Volkstribun“ inszenieren in ihrer Kommunikation mit Politikern, versuchen sie letztlich, sich ihren Käufern anzubiedern.

Einige Hinweise zu dem Verhältnis von Geschäft und Gesinnung
in der Geschichte des Journalismus

Vorfahren der heutigen Journalisten im Europa des Mittelalters waren fahrende Sänger, die auf - gegen Geld - Jahrmärkten, Messen und an Fürstenhöfen Neuigkeiten „besangen” und auch über aktuelle Ereignisse berichteten. Daneben gab es die offiziellen und inoffiziellen Korrespondenten der Fürsten und der Handelshäuser. Das Handelshaus Fugger vermarktete seine Korrespondenzen im 16. Jahrhundert mit handschriftlichen Kopien (Fugger-Briefe, Fugger-„Zeitungen“) an ein handverlesenes zahlungskräftiges Publikum. Schon im 16. und 17. Jahrhundert  enthielten die handschriftlichen „Avvisen“ auch „wunderbare" und „erschreckliche" Geschichten – Gewalttaten und Grausamkeiten wurden in allen Details geradezu filmreif wiedergegeben.

Die Geschichte vom „Goldmacher“ Marco Bragadino zeigt sehr anschaulich, wie sich Sensations-Lust, Neu-Gier, Arbeit am Weltbild- und geschäftliche Interessen kreuzen konnten. Als „Goldmacher“ wurden Alchimisten bezeichnet, die vorgaben, aus unedlen Metallen Gold herstellen zu können. Der Herzog Friedrich I. von Württemberg (1557–1608) soll gleich zehn solchen Betrügern aufgesessen sein, ohne aus dem ersten Schaden klug zu werden. Der Goldmacher „Marco Bragadino“ hieß eigentlich Mamugnà, erst als er 1589 aus Zypern nach Venedig eingeladen worden war, um seine ‚Kunst‘ vorzuführen, gab  er sich den wohlklingenden venezianischen Namen. Die Brüder Fugger verfolgten die Geschichte des Goldmachers und baten wiederholt um weitere Informationen. So gibt es in den Fugger-Briefen 35 Berichte über den Goldmacher, die meisten sehr sachlich und ohne Skepsis. Das Gold sei getestet und für gut befunden worden sei, berichtete man nach Augsburg. Schließlich hat Herzog Wilhelm V. (1548–1626) den Goldmacher, der aus Venedig fliehen musste, an seinen Hof in München eingeladen. Einige Monate wurde es still in den Fuggerbriefen. Wie vielen europäischen Fürsten hatte das Haus Fugger dem Herzog in München Geld geliehen, seine Geldgeschäfte interessierten unmittelbar. Marco Bragadino wurde schließlich in München in Haft genommen und 1591 enthauptet. In den Fugger-Briefen erschienen drei Spottgedichte – Bragadino wird als posthum Fälscher enttarnt. 

Die Nutzung des Druckverfahrens für die Produktion von regelmäßig erscheinenden mehrseitigen Nachrichten im frühen 17. Jahrhundert – zuerst Johann Carolus 1605 in Straßburg – hat vor allem die kommerzielle Basis des Nachrichtenhandels verändert und in der Folge zu einer größeren Verbreitung geführt.
                                                (s.a. Johann Carolus - Die Geburt der Zeitung und der Selbstzensur  MG-Link)
Die schnelle Verbreitung dieses Geschäftsmodells (Holland 1618, Frankreich und England 1620, Italien 1636) zeigt, dass die Zeit reif dafür war. Die erste täglich publizierte Zeitung erschien dann schon 1650 an dem Messe-Knotenpunkt Leipzig („Einkommende Zeitung"). Die Auflagen der einzelnen Nachrichten-Blätter im 17. Jahrhundert werden auf oft nur 100 bis 200 Exemplare geschätzt. Das „Frankfurter Journal" erreichte allerdings schon 1680 eine Auflage von 1.500.

Da die informativen Anzeigen für die Zeitungen kommerziell immer wichtiger wurden, sicherten sich die Obrigkeiten die Loyalität der Drucker nicht nur durch die erforderliche Druck-Lizenz, sondern auch über ein Anzeigen-Monopol. In Paris gab es ein Annoncen“-Büro“, seit 1631 wurden die Aushänge dort als Feuille du bureau d’adresses („Blatt des Adressenbüros“) regelmäßig gedruckt und kostenlos verteilt. Vor allem Kauf- und Verkaufswünsche, aber auch Reisebegleitungen, Diener, Arbeitskräfte und vieles andere wurde da erst durch Aushang, dann durch gedruckte Verbreitung der Aushänge der städtischen Öffentlichkeit vermittelt.

In Deutschland hat Gottfried Wilhelm Leibniz 1678 die Idee aufgegriffen – die Idee des Leibnizsche „Bureau d’Adresse“ war es aber, nicht nur Gegenständliches vermitteln, sondern auch alles dasjenige, was „zu sehen, zu lernen, zu gebrauchen, zu erfahren“ sei. Zwanzig Jahre später entstand daraus der Plan zur Gründung einer Akademie der Wissenschaften in Sachsen, Leibniz ging es um das Gemeinwohl im Sinne einer guten „Policey“. 
Im 18. Jahrhundert gab es Preußen wie anderen deutschen Staaten „Intelligenzblätter“ (von lat. „intellegere" = „Einsicht nehmen"), die das Privileg der Anzeigen hatten. Oft war dem Anzeigenteil ein redaktioneller Teil im Sinne der Obrigkeit beigefügt.

Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Journalismus stark von der Aufklärung und der Erfahrung der Französischen Revolution geprägt. In einer großen Zahl von neu gegründeten und oft kurzlebigen Zeitschriften wurden von den Gelehrten des Landes die Gedanken der Aufklärung verbreitet. Die unmittelbar politische Publizistik im Sinne parteilicher Zeitungen durch die politischen Aktivisten blühte in der französischen Revolution auf. Diese Blätter brauchten oft Mäzene oder institutionelle Träger, die sie aus Überzeugung produzieren wurden und nicht aus unternehmerischem Geist.

Der redaktionelle Journalismus im modernen Sinne entwickelte sich erst mit der zweiten Welle der Kommerzialisierung seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Nach rein marktwirtschaftlichen Prinzipien produzierte populäre Blätter hatten  zuerst in den USA und Großbritannien Erfolg, d.h. Ländern mit weitgehender Pressefreiheit. Die Mediengeschichte der Zeitungen zeigt, dass die USA aufgrund der marktwirtschaftlichen Orientierung und der Pressefreiheit zum Trendsetter des modernen Journalismus wurde. Dort entstanden auch die ersten Beispiele für Massenpresse (Penny Press, Yellow Press). In den USA entstanden die ersten Interviews und die ersten kritischen Sozialreportagen.
In Deutschland führte erst die Aufhebung des staatlichen Anzeigenmonopols in der Mitte des 19. Jahrhunderts und die schrittweise Lockerung der Zensur zu einer nachholenden Entwicklung vor allem im Bereich der unpolitischen Publizistik
(Illustrirte Zeitung, Gartenlaube, Berliner Illustrierte Zeitung) und der Parteipresse des späten 19. Jahrhunderts. Erst langsam entstehen politisch neutrale Blätter („Generalanzeiger-Presse").  

Um die Wende zum 20. Jahrhundert findet in diesem Zusammenhang auch eine Professionalisierung des Journalismus statt. Der Nationalökonom Karl Bücher gilt als Gründerväter der Zeitungswissenschaft. Bücher hatte 1916 an der Universität in Leipzig ein „Institut für Zeitungskunde" gründet,  dort sollten Journalisten eine akademisch wie zeitungsfachliche Ausbildung erhalten. Gleichzeitig sollte das Institut eine Stätte der wissenschaftlichen Forschung werden. Für Bücher war klar, dass der redaktionelle Teil der Zeitung letztlich dem Ziel der Gewinnerzielung untergeordnet sei; die Vorstellung, Journalismus sei ein „freier" Beruf, kritisierte er als Illusion.

Die elektrischen Medien (Radio, Fernsehen) haben den Beruf des Journalisten in vielfacher Weise verändert. In Ländern, in denen der Rundfunk und Fernsehen privatwirtschaftlich organisiert waren, ist dieser Wandel früher deutlich geworden als in Ländern mit Funk-Medien unter staatlicher Aufsicht. Aufgrund ihrer Kostenstruktur spielt in den privaten Funk-Medien der geschäftliche Aspekt eine größere Rolle.

Der politische Journalismus blieb dennoch die Sache einer Profession, die für sich trotz aller marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine ungeschriebene Berufsehre reklamierte. Dieser professionelle Journalismus beherrschte rund 100 Jahre seit Karl Bücher die „seriöse“ Medienlandschaft mit einem Monopol- und Qualitätsanspruch.

Das Jahrhundert der Presse geht zu Ende - herausgefordert durch die Technologien der Netzkommunikation, die den Unterschied zwischen Sender und Empfänger aufheben. Bei den „seriösen“ Tageszeitungen waren bis zu rund 70 Prozent der Ausgaben über Werbung finanziert, gegen diesen kaufmännischen Druck musste der professionelle Journalismus immer verteidigt werden. Die digitalen Netzmedien sind zu 100 Prozent werbefinanziert.
Als Gegengewicht gegen den Kommerz-Druck wäre eine werbefreie öffentlich-rechtliche Plattform im Internet denkbar, die hochwertigen Journalismus fordern und fördern könnte im Sinne von „meritorische Gütern“, wenn sie ganz über eine „Medienkultursteuer“ finanziert wäre. 

 

    siehe zu dem Themenbereich auch die Texte
    Medien-Macht im 21. Jahrhundert   MG-Link
    Wie das Jahrhundert des Print-Journalismus zu Ende geht   MG-Link

    Medienkulturabgabe für eine demokratische Medienkultur  MG-Link