Dante und die Volkssprache
2015
Der italienischen Dichter und Philosophen Dante Alighieri hat sich zu Beginn des 14. Jahrhunderts in zwei Schriften mit dem Thema der Volkssprache beschäftigt. Das Fragment „Convivio“ („Das Gastmahl oder die philosophische Speisung der Menge“, verfasst zwischen 1304 und 1308) ist der erste Versuch, in einer Mundart philosophische Gedanken zu formulieren. Dante beschreibt die „vulgäre“ Sprache mit liebevollen Worten, das „Volgare“ sei ihm „la cosa più prossima“ sei, die „am nächsten stehende Sache“, die Sprache des Herzens und der Nähe. Das Vulgäre ist natürlich, es wird „ohne Regel“ (sine regula) gelernt, auch die Frauen und die Kinder lernen es.
„De vulgari eloquentia“
Die gleichzeitig entstandene, ebenfalls unvollendete Schrift „De vulgari eloquentia“ ist dagegen als ein lateinischer Text für die Gelehrten konzipiert. In Anknüpfung an Aristoteles begreift Dante die Sprache als ein willkürliches (ad placitum) lautliches (sonus) Zeichen (signum), das der Kommunikation der Vorstellungen unseres Geistes dient. Die Zeichen der Tiere werden ganz von ihrem Instinkt geleitet, und sie körperliche Zeichen, natürlich, nicht willkürlich „ad placitum“. Mit placitum übersetzte schon Boethius den aristotelischen Ausdruck syntheke. Für Dante ist dieses Belieben, diese Willkür „der eigentliche Kern der menschlichen Sprache“ (Trabant). Wobei „Sprache“ im wesentlichen Klang bedeutet, sonus.
Kritik der vulgären Sprache
In seiner Kritik der wilden Volkssprachen geht es Dante daher vor allem um Ästhetik, Klangschönheit. Diese Dialekte des Volks in Latium sind für ihn „Schandsprachen“, sie klingen „scheußlich“ wie „grausames Gerülpse“, sind voller „Misstöne“ und „Herbheit“. Dante fährt alles, was ihm an negatibven Kennzeichnungen einfällt, gegen diese „scheußliche Barbarei“ auf: Diese Mundarten sind „weibisch“, „geschwätzig“, „struppig“, „rau“, „dissonant“, „wild“ wie der Wald, kurz: „barbarisch“. Dante will „verwachsenen Gesträuche und Dornen ausreuten aus dem Walde“, heißt es in der Übersetzung von P. J. Fraticelli aus dem Jahr 1857. Die Sprache des Volks in Latium sei das „häßlichste Kauderwelsch“ und es sei nicht verwunderlich, dass auch die Sitten und Gewohnheiten des Volkes ekelhaft seien. Da gibt es Dialekte, die die „gramatica nachahmen wie die Affen den Menschen“.
Um die Dichtung in dieser Sprache zu rechtfertigen, muss er ihnen aus der „gramatica“ abgeleitetes Korsett verpassen: „regula“. Wörter müssen nach Regeln zu einem Satz verbunden werden, an ihren geschmacklosen Satzverbindungen würde man die gröberen Leute erkennen. Mit bestimmten Konstruktionen könnte sich die „höfische“ Sprache heben von der art, wie der Pöbel Worten und Satzverbindungen verwendet. Auch die Worte müssten „ausgesiebt“ werden.
Höfische Eloquentia und „gramatica“
Dante unterscheidet drei Sprachetypen: als „Sprache des Paradieses“ das klassische Latein, das er schlicht gramatica nennt. Gramatica ist die ideale ort- und zeitlose, unveränderliche Sprache, auch das Griechische gehört dazu. Daneben steht die „curiale vulgare“, der höfischen Volkssprache, säkular und aristokratisch-höfisch, in der die zeitgenössische volkssprachliche Literatur verfasst war.
Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts - 1453 eroberten die Türken Konstantinopel, zahlreiche griechisch gebildete Intellektuelle flohen nach Italien – war die aristokratische, volkssprachliche Kultur mit einer zunehmenden lateinischen Gelehrsamkeit der städtischen Patrizier-Kultur konfrontiert. Es kam zu einer Renaissance des Lateinischen – und des Griechischen. In den Jahren 1495-98 erscheint eine Gesamtausgabe der von Aristoteles überlieferten Schriften. Lateinisch, Griechisch und Hebräisch waren schließlich die drei heiligen Sprachen, in denen das INRI auf dem Kreuz verfasst war nach christlicher Überlieferung.
Die humanistischen doctores empfinden die vulgaris eloquentiae zunehmend als unerträglich, die volkssprachlichen Texte minderwertig. Die volkssprachliche literarische Produktion verfiel nach ihrer großen Blüte für zweihundert Jahre. Der Versuch Dantes am Beginn des 14. Jahrhunderts, die Volkssprache auf das Niveau der gramatica anzuheben, wurde nicht mehr weiterverfolgt. Die unvollendete Schrift „De vulgari eloquentia“ wurde erstmals 1529 in einer italienischen Übersetzung gedruckt, 1588 in Paris dann in der lateinischen Originalversion.
Eine Grammatik soll aus der kastilianische Mundart die Sprache des spanischen Imperiums machen
Elio Antonio de Nebrija (1441-1554), der große Humanist, veröffentlichte 1492 die erste Grammatik für eine europäische Volkssprache vor, die Gramatica Castellana. Er wollte seine Landessprache auf grammatische Regeln festzulegen. Er fordert, aus dem gesprochenen Kastinianisch eine Sprache zu konstruieren, mit der man Texte formulieren kann - ein artificio, ein Artefakt. In der Einleitung erklärt er, warum. „La lengua suelta y fuera de regla“, schreibt Nebrija an die spanische Königin, die Redeweise der Menschen ist ungebunden und zügellos. Nebrija ist der Überzeugung, dass „die Sprache die Gefährtin des Imperiums“ ist. Er appelliert an ihre imperialen Interessen: „Euer Majestät, mein stetes Verlangen ist, unsere Nation groß werden zu sehen und die Menschen meiner Zunge mit Büchern auszustatten, die ihrer Muße wert sind. Gegenwärtig vergeuden sie ihre Zeit mit Novellen und phantastischen Geschichten, die voll von Lügen sind. (…) Nachdem Eure Majestät viele Völker, Barbaren und Nationen seltsamer Sprachen unterjocht haben, werden die Besiegten die Notwendigkeit haben, unsere vom Sieger aufoktroyierten Gesetze anzunehmen und dann könnte durch die Kunst meines Werkes die spanische Sprache gelehrt werden.“ Er schlägt vor, durch eine offizielle, gebildete Sprache das wilde, ungebildete Lesen in der Landessprache zu unterdrücken. Das Volk sollte in der neuen Sprache unterrichtet werden. Dieses moderne Verständnis von Sprache verstand die Königin nicht. Für sie war es die Sache ihrer Untertanen, wie sie sich untereinander verständigen, und es gab viele Mundarten in ihrem Herrschaftsbereich. Die Mundart der Untertanen lag außerhalb des Zugriffs ihrer herrschaftlichen Autorität. Sie wollte die Welt erobern, nicht zivilisieren. Dass Sprache ein Herrschaftsinstrument sein könnte, lag außerhalb ihres Denk-Horizonts. Nebrija blieb dennoch seiner Übnerzeugung treu und entwarf 1517 Orthografie-Regeln für das Kastinialische: „Reglas de orthografia en lengua castellana“.
Francis Bacon (1561-1626), der englische Philosoph und Wissenschaftler, hat das Problem der Renaissance mit den Volkssprachen rückblickend beschrieben. In seinem Novum organum (1620), dass er natürlich auf Latein verfasste, bezieht er sich auf Sokrates Frage: „Wäre es nicht besser, wenn wir die Sachen ohne die Wörter, diese unvollkommenen Bilder, erkennen würden?“ Hindernisse auf dem Weg zur wahren Erkenntnis sind die Trugbilder (idola), die Vorurteile und falschen Anschauungen in den Köpfen der Menschen. Wie die Götzen entstehen sie im Geschwätz der Menschen miteinander und prägen die Sicht auf die Dinge so, wie es dem beschränkten volkstümlichen Verstand am meisten einleuchtet. Die falschen Worte widersetzen sich geradezu der richtigen Erkenntnis, „verba obstrepunt“: Das lateinische obstrepere bedeutet niederschreien, hinderlich sein, stören.
Lit.: Jürgen Trabant, Mithridates im Paradies. Kleine Geschichte des Sprachdenkens (2003) Übersetzung der „vulgari eloquentia“ von P. J. Fraticelli aus dem Jahr 1857 bei wikisource: https://de.wikisource.org/wiki/De_vulgari_eloquentia
zur Macht der Sprache siehe auch die Texte auf dieser Medien-Gesellschafts-Seite
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