Klaus Wolschner               Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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I
Medien-
Geschichte

Das Panorama
oder:
Die Sehnsucht nach virtuellen Welten

Historische Medientechnik an der Schwelle des sensomotorischen Umbaus zum modernen Medienmenschen

5-2012

Eine neue Illusionierungs-Industrie lockte die Menschen schon um das Jahr 1800 mit der Faszination des Visuellen  – mit dem „Panorama“. Der Mensch fühle sich „in die Netze einer widerspruchsvollen Traumwelt  verstrickt“, berichtete Johann August  Eberhard im Jahre 1807. Das „Panorama“ zeigt zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Umrisse einer Medientechnik, die erst im 20. Jahrhundert mit Kino, Fernsehen und digitaler Bildtechnik zu ihrer vollen Geltung kommen sollte.

Im Juni 1787 meldete der irische Maler Robert Barker in Edinburgh ein Patent an, das er als   „an entire view of any country or situation, as it appears to an observer turning quite round" umschrieb. Panorama-artige Bilder hatte es schon früher gegeben, zum Beispiel ein wissenschaftliches Gebirgspanorama (1754). Barker ließ sein Kunstobjekt wie eine technische Erfindung patentieren. Er malte Landschaftsansichten über das gewöhnliche Format der Tafelbilder hinaus zu einem fortlaufenden Halbrund und schließlich zu einem kompletten Bildkreis und wollte solche Produkte vermarkten. In diesem Zusammenhang benutzte er das Kunstwort ‚Panorama'. Sein erster Versuch 1787 zeigte noch eine kleine Ansicht von Edinburgh, 1791 folgte dann London from the Roof of the Albion Mills. Die Rotunde von der russischen Flotte bei Spithead (1792) hatte schon einen Durchmesser von 30 Metern und brachte den kommerziellen Durchbruch. 1793 konnte er daher eine feste Panorama-Rotunde am Londoner Leicester Square errichten, das Panorama als Kunst-Entertainment hatte seine Form gefunden und war etabliert: 1799 wurde die erste Rotunde in Paris eröffnet, 1800 in Berlin, 1803 auf dem Hamburger Zeughausmarkt.

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Im Januar 2009 eröffnete der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan höchstpersönlich das erste Panorama-Museum der Türkei in der Mitte des historischen Topkapi-Stadtparks. Es zeigt die Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen unter Sultan Fatih Sultan Mehmed

Der Preis für den Eintritt in das große runde Gebäude erlaubte einem breiteren Publikum den Zutritt zu diesem Spektakel. Das Panorama ist Jahrmarkt und Kunstobjekt gleichzeitig. In einem verdunkelten Gang sollten sich die Augen der Besucher an das Dämmerlicht gewöhnen, ein Dach-Segel schirmte den Blick des Betrachters ab. Nirgends sollte der Blick über das 360-Grad-Gemälde hinausschweifen können. Das Licht scheint vom Gemälde selbst auszugehen. Im Inneren der Rotunde befindet sich eine Treppe, die zur „Aussichtsplattform“ hinauf  führt.

Was veranlasste Menschen dazu, Eintritt zu bezahlen für eine gemalte Aussicht, die sie ein paar hundert Meter weiter im Original genießen konnten? Man konnte bis dahin auf ein Dach steigen oder auf die Türme von Notre Dame, wenn man Paris aus der Vogelperspektive sehen wollte. Was war das Neue?  Offenbar war die Lust an der optischen Illusion die „message“ des neuen Mediums. In Millins Dictionnaire des beaux-arts (1806) wird beschrieben, dass die Besucher des Panoramas vollkommen getäuscht werden sollen, ein Mangel des Panoramas sei, dass es keine Bewegung darstellen könne. „Der Zweck dieser neuen Art von Mahlerey“, heißt es im Handbuch der Aesthetik für gebildete Leser aus allen Ständen von Johann August Eberhard (1807) „soll seyn, zu zeigen, wie weit die Kunst die Blendwerke der Täuschung treiben kann. Und in der That versichern Alle, die es gesehen haben, daß die Aehnlichkeit einer Nachbildung mit der Naturwahrheit nicht weitergehen könne.“

Mit Schwindel und Übelkeit reagierten die Menschen: „Die Genauigkeit der Perspective, die Richtigkeit der Zeichnung, die Wahrheit des Helldunkels und der Haltung versetzen mich durch ihren vereinten Zauber in die wirkliche Natur, aber die öde Todesstille und die erstorbene Bewegungslosigkeit stoßen mich daraus zurück. Ich schwanke zwischen Wirklichkeit und Nichtwirklichkeit, zwischen Natur und Unnatur, zwischen Wahrheit und Schein. Meine Gedanken, meine Lebensgeister erhalten eine schwingende, hin und her gestoßene, schaukelnde Bewegung, die eben so wirkt, wie das Herumdrehen im Kreise und das Schwanken des Schiffs. Und so erkläre ich mir den Schwindel und die Übelkeit, die den unverwandten Anschauer des Panorama überfällt.“ (Eberhard) 

Eberhard kritisiert „die Unmöglichkeit, sich der Täuschung zu entziehen. (…) Ich fühle mich in die Netze einer widerspruchsvollen Traumwelt verstrickt, und nicht die sichere Belehrung des Gefühls in der Entfernung des Standortes, nicht das volle Tageslicht, nicht die Vergleichung mit umgebenden Körpern kann mich aus dem ängstlichen Traume wecken.“ Durch die Anordnung des Panoramas sind – übrigens wie im Kino des 20. Jahrhunderts - alle Markierungen der echten Realität ausgelöscht, es herrscht Traumzwang.

Der Kitzel lag in einer Art sensorischer Deprivation - der Sehsinn wurde von den anderen Körpersinnen abgespalten. Die optische Selbst-Täuschung durch neue Apparate war ein Volksvergnügen – und ein Unterhaltungs-Geschäft. Die Menschen entdeckten irritiert, wie ihr Augensinn technisch manipuliert werden kann und spielten mit dieser Irritation. Die Isolierung Augensinnes war eine aufregende Erfahrung – wie heute noch die Irritation der körperlichen Bewegungssinne in der Achterbahn. Für den Menschen des frühen 19. Jahrhunderts war das eine unbehagliche Erfahrung, die man aufsuchte, um ihr standzuhaltenDie mentale Gewohnheit, ohne die ausgeblendeten akustischen, olfaktorischen und taktilen Sinneseindrücke auszukommen oder sie emotional zu „konfabulieren“, brauchte der Mensch für die schöne neue Welt der bewegten Bilder. Später wurde der Begriff „Panorama“ auf den Anblick der Umwelt ausgeweitet, die Unterscheidung machte für die Fähigkeiten der menschlichen Sinneswahrnehmung keinen Sinn mehr.

Panorama amazonienSchon in den 1830er Jahren verlor das Publikum das besondere Interesse am Panorama. Das Bedürfnis nach optischen Informationen blieb – es verhalf den illustrierten Zeitungen des frühen 19. Jahrhunderts zu Massenauflagen. Das Panorama wurde eine Attraktion unter vielen.

Heute befindet sich in Leipzig
in einem alten Gasometer
das weltweit größte Panoramabild
  Thema ist ein Zauberbild der Natur,
der Regenwald.

 

 

Umbau des Menschen im Prozess der medialen Technisierung

Wie jede Kunst ihrer Zeit schult auch die visuelle Technik des Panorama das kognitive  Vermögen. „Wie man die Natur sieht, hängt davon ab, welche Erfahrungen mit Bildern, mit Perspektive und räumlicher Ordnung man gemacht hat.“ (Koschorke) Die individuelle Wahrnehmung ist eine historisch gewachsene und gesellschaftlich vorstrukturierte. Heute würde niemandem mehr schwindelig beim Anblick eines Panorama-Bildes.

Ähnlich in der Geschichte der Transportmittel: Diese setzten den Betrachter einer erhöhten Reizdichte aus, das macht den Kitzel aus, der den Sehsinn darauf trainiert, immer größere Mengen an optischen Informationen in immer kürzeren Zeiträumen zu verarbeiten und die Sinnesausstattung des Menschen für die Beschleunigung des täglichen Lebens zu optimieren. Im Falle des Panoramas lag der Kitzel in einer Art sensorischer Deprivation - der Sehsinn wurde von den anderen Körpersinnen abgespalten. Für den darauf unvorbereiteten Menschen des frühen 19. Jahrhunderts war das eine unbehagliche Erfahrung, die man aufsuchte, um ihr standzuhalten. Die mentale Gewohnheit, ohne die ausgeblendeten akustischen, olfaktorischen und taktilen Sinneseindrücke auszukommen oder sie emotional zu „konfabulieren“, brauchte der Mensch für die schöne neue Welt der bewegten Bilder. Später wurde der Begriff „Panorama“ auf den Anblick der Wirklichkeit ausgeweitet, die Unterscheidung machte für die Fähigkeiten der menschlichen Sinneswahrnehmung keinen Sinn mehr.

Der Blick ordnet in der modernen Mediengesellschaft die Welt für den Menschen, die „trägeren somatischen Reaktionen seines Leibes“ werden zum Hindernis. Medien gewöhnen den Menschen „an immer schnellere und von der biologischen Grundausstattung der Spezies des homo sapiens weiter entfernte“ (Koschorke) kulturelle Wirklichkeiten.

 

    Literatur:
    Albrecht Koschorke
    : Das Panorama. Die Anfänge der modernen Sensomotorik um 1800, in: SEGEBERG (Hg):  Mediengeschichte des Films (1996)
    Heinz Buddemeier: Panorama, Diorama, Photographie.
    Entstehung und Wirkung neuer Medien im 19. Jahrhundert. (1970)

siehe auch meine Texte:
Illustrierte I: Mode als europäisches Medienereignis,
                   das „Journal des Luxus und der der Moden” (1786)   M-G-Link

Illustrierte II:  Die Gartenlaube   M-G-Link

und allgemein: Kraft der Bilder  M-G-Link
                    
Das Sehen der Moderne
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