Klaus Wolschner               Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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I
Medien-
Geschichte

Kleine Medien-Revolution
in der „Gartenlaube“

5-2012

In der Mediengeschichte gibt es immer wieder Hinweise darauf, dass neue Technologien eine Entwicklung durchsetzen und verallgemeinern, die vorher – mit alten Technik - durchaus schon vorhanden war. So kann man die Illustrierten des 19. Jahrhunderts, was ihre Kommunikationsfunktion angeht, als Vorläufer des Fernsehens betrachten. Sie erfanden zum Beispiel das noch heute erfolgreiche TV-Konzept des „Familienprogramms".

Eine der frühen Illustrierten mit dem Titel Unterhaltungen am häuslichen Herd  (gegründet 1852), verabschiedete sich mangels Erfolg im Dezember 1864 von ihrem Leserpublikum mit einem Satz, der in vielen Fernsehkritiken zu finden ist:

Die Gartenlaube 1863 persische Turnhalle klein„Nicht mehr lesen, die Menge will nur noch sehen
und eine Augenweide haben."
In der Faszination durch Bilder konnte
der erfolglose Verleger Karl Gutzkow nur
„die Neigung der Zeit und des Publikums,
eine gewisse Modemanie,
naive Schaulust, das gesteigerte
Bilderbesehen der Kinder" sehen.

 

 

Mit der Bildunterschrift „In einer persischen Turnhalle” präsentierte das erfolgreiche Zeitschrift Gartenlaube 1863 wie ein Fenster zur Welt
diesen Blick in mutmaßlich fremde Kulturen ...

Populäre Zeitungen waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur dann erfolgreich, wenn sie auch auf Bilder setzen, neben den anderen Merkmalen der modernen Unterhaltungsindustrie: der Serialität, der Popularisierung, der Mischung aus Information und Unterhaltung, der melodramatischen, das Gemüt ansprechenden Berichterstattung. Sie stellen das Private, Menschliche über das Öffentliche – oder anders gesagt: Sie  kommunizieren das Allgemeine durch die Brille des Privaten.

Die Illustrierten stehen so mit ihrer populären und wirkungsvollen Bild-Text-Vermittlung am  Beginn der Massenpresse in Deutschland. Sie führten die Leser an den regelmäßigen Umgang mit Bildern heran – und gleichzeitig an die Lektüre populärer Romane.

Das in dieser Hinsicht bis zum Ende des Jahrhunderts führende Blatt war die im Jahre 1853 durch Ernst Keil gegründete, wöchentlich erscheinende Gartenlaube. Sie erreichte 1875 eine Auflage von 382.000 Exemplaren. Das war deutlich mehr als die Tagespresse im 19. Jahrhundert erreichte. Die Bremer Nachrichten, zum Beispiel, hatten 1875 eine Auflage von 10.500 Exemplaren.

Vorläufer der Gartenlaube

Einer der wichtigsten unmittelbaren Vorgänger der Gartenlaube war das Pfennig-Magazindas von 1833 (bis 1855) sonnabends in Leipzig erschien und es in relativ kurzer Zeit auf eine Auflage von über hunderttausend Exemplaren brachte. Vorbild der Zeitschrift war das 1832 gegründete englische Penny Magazine of the Society for the Diffusion of Useful Knowledge.  Der vollständige deutsche Titel lautete daher: „Pfennig-Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse“.

Im Einleitungsartikel zur ersten Nummer vom 4. Mai 1833 hieß es unter der Überschrift „An Jeden":

    „Und das eben ist der Zweck unserer Gesellschaft und dieser von ihr besorgten Zeitschrift.
    Die Verbreitung nützlicher Kenntnisse ist das schönste Geschenk,
    das man seinem Jahrhunderte machen kann.
    Wir wollen, nach unseren besten Kräften, mit prüfender Besonnenheit,
    mit redlichem Willen dafür das Unsere thun.
    Unermeßlich ist das Reich des Wissens; es umfaßt die ganze Welt;
    Vergangenheit und Gegenwart, Himmel und Erde, Land und Meer.
    Unser Streben soll dahin gehen, aus allen diesen Regionen, aus allen diesen Zweigen
    das Nützlichste und Neueste auszulesen und es auf eine möglichst gefällige Weise,
    welche Verstand und Phantasie zugleich angenehm beschäftigt,
    dem freundlichen Leser vorzuführen. (...)
    Zu besserem Verständnisse werden wir überall, wo es nöthig ist,
    erklärende, sauber gearbeitete Abbildungen hinzufügen, und uns überhaupt bemühen,
    auf die äußere Gestalt unserer Zeitschrift eben so viel Sorgfalt,
    wie auf den Inhalt derselben zu verwenden.“

Für seine Leser präsentierte sich das Pfennig-Magazin ein Fenster zur Welt, es wurde in populärer Weise von Dingen und Vorgängen außerhalb des eigenen Erfahrungshorizontes berichtet und das Bildmaterial bot die dazugehörigen optischen Sensationen.

Im September 1852 gründete Karl Gutzkow die Zeitung Unterhaltungen am häuslichen Herd, die bis 1864 bei Brockhaus in Leipzig erschienen.

Anders als das Pfennig-Magazin wandte sich Gutzkow jedoch eher an ein auch literarisch interessiertes Publikum intellektuelleren Zuschnitts. Diese schöngeistige Tendenz und die Tatsache, dass die Unterhaltungen am häuslichen Herd auf jede Form der Illustration und künstlerischen Ausstattung verzichteten, erwies sich als nicht mehr zeitgemäß.

Die Gartenlaube – Konzept

Was dem Pfennig-Magazin fehlte, war der Unterhaltungsteil. Was den Unterhaltungen am häuslichen Herd fehlte, waren die Illustrationen. Beides kombinierte Ernst Keil in der Gartenlaube zu seinem Erfolgskonzept, das die Kultur- und Unterhaltungsindustrie des neunzehnten Jahrhunderts prägte.

Ernst Keil 1878Das Konzept für die Gartenlaube entwarf Keil im Oktober 1852 in einer  Zelle des Landesgefängnisses Hubertusburg. Als freiheitlich-liberal gesinnter Journalist war er wegen „Preßvergehens" zu neun Monaten Haft verurteilt worden. Nach dem Scheitern der Revolution von 1848 suchte Keil offenbar ein Forum, das sich den liberalen Tendenzen der 1848er verpflichtet fühlte, aber nach außen unauffällig auftrat angesichts der verschärften Pressezensur.

Der unverfängliche Titel  „Die Gartenlaube“ signalisierte die unpolitische Tendenz wie das Editorial der ersten Ausgabe:

    Wenn Ihr im Kreise Eurer Lieben die langen Winterabende am traulichen Ofen sitzt
    oder im Frühlinge, wenn vom Apfelbaume die weiß und rothen Blüthen fallen, mit einigen
    Freunden in der schattigen Laube - dann leset unsere Schrift. Ein Blatt soll's werden für's Haus
    und für die Familie, ein Buch für Groß und Klein, für Jeden, dem ein warmes Herz an den Rippen pocht, der noch Lust hat am Guten und Edlen! Fern von aller raisonnirenden Politik
    und allem Meinungsstreit in Religions= und ändern Sachen, wollen wir Euch in
    wahrhaft guten Erzählungen einführen in die Geschichte des Menschenherzens und der Volker,
    in die Kämpfe menschlicher Leidenschaften und vergangener Zeiten.
    Dann wollen wir hinauswandern an der Hand eines kundigen Führers in die Werkstätten des menschlichen Wissens, in die freie Natur [...] Und was außerdem noch von Interesse ist
    im Thun und Treiben der Menschen - Ihr sollt's finden in unserm Blättchen,
    das zu alle den Dingen, die wir Euch bieten, auch noch verzierende und erklärende
    Abbildungen bringt von anerkannten Künstlern. 
    So wollen wir Euch unterhalten und unterhaltend belehren.
    Lieber das Ganze aber soll der Hauch der Poesie schweben…“

Gartenlaube 1853 klein TitelIn den im Gefängnis notierten „Plannotizen" heißt es:
1. Gedichte unserer besten Poeten, und zwar stets gut illustrirt.2. Novellen, möglichst kurz mit höchstens 2-3 Fortsetzungen. Ebenfalls illustrirt. Die Stoffe der Erzählungen sind stets der Geschichte des Vaterlandes (Lokalnovellen) oder den Zuständen des neuern Volkslebens zu entnehmen. [...]
3. Schilderungen, besonders interessante, der Sitten, Gebräuche u. Zustände deutscher u. fremder Völker.
4. Briefe aus der Natur . Irgend eine Persönlichkeit [...] bespricht in durchaus populairen Briefen die wichtigsten und nächstliegen den Fragen aus d. Naturleben [...] wozu gute Abbildungen geliefert werden. Diese belehren den Briefe dürfen indeß durchaus keinen schulmeisterlichen Anstrich haben, sondern müssen durchweg leicht verständlich, elegant, womöglich in novellistischer Form geschrieben werden, so daß sie die gewöhnlichsten Handwerker, besonders aber die Frauen verstehen können.
5. Der äußere und innere Mensch [...] Eine Reihe ebenfalls populairer Briefe über den Bau, die Thädgkeit und das Leben des menschlichen Körpers. Mit Abbildungen. [...] Diese Kenntnis des menschlichen Körpers den weniger Gebildeten spielend und auf eine unterhaltende Weise beizubringen, ist der Zweck der Abbildungen, u. der Briefe, die ebenfalls elegant, populair u. für jedermann verständlich geschrieben werden müssen.
6. Ein kleines Feuilleton mit Notizen aus der Zeit u. der Litteratur schließt jede Nummer, indeß wird dieß immer nur als Lückenbüßer gebraucht.“
Was im Konzept von 1852 als „Lückenbüßer“ am Schluss erwähnt wurde, entwickelte sich zu einem der Erfolgsfaktoren: die Literatur. In der Gartenlaube erschien der erste Fortsetzungsroman der Autorin Eugenie John (1825-1887), die unter dem Pseudonym „E. Marlitt“  hier ihre Goldelse veröffentlichte. Verschiedene Autorinnen hatten in der Gartenlaube ihr Debut, auch Autoren wie Theodor Fontane, Wilhelm Raabe oder Theodor Storm.

Die Gartenlaube stellte sich in Textgenres und Bild-Gestaltung den kommunikativen Erwartungen breiter Leserschichten stellen, die zuvor wenig oder gar nicht mit publizistischen Erzeugnissen in Berührung gekommen waren. Wenn die Gartenlaube Wahrnehmungsweisen prägte und als „Großagentur von Wirklichkeitsentwürfen“ (Schöberl) wirkte, dann nur in dieser Wechselwirkung mit den Erwartungen der Käufer.

Bild-Zeitung

Mit gutem Gespür hat Keil die Illustration zum vorrangigen Gestaltungsprinzip seines publizistischen Projekts gemacht.
Es wurden aber zudem zunehmend auch Abbildungen präsentiert, für die kein direkter textlicher Bezugsrahmen mehr gegeben war und für die Bildkommentare und Erklärungen geschrieben wurden, mit denen das Bild geradezu vorgelesen wird.

Gartenlaube Post im Schnee 1866So erschien 1866 ein Holzschnitt   „Post im Schnee“ mit ausgiebiger Erläuterung, was man auf dem Bild sehen kann und soll: “sehen wir nicht das tolle Schneetreiben, das die Bahn verweht, in all’ seinem Ungestüm leibhaftig vor uns? Sehen wir nicht, wie die Pferde einsinken in den fußtiefen Schnee, wie sie sich stemmen und schnauben und arbeiten..”  Der Text schließt mit der Bemerkung, dass das Bild  „sich selbst erklärt und alle Erläuterung durch das Wort überflüssig macht.“

Kriegsbilder zeigen in Einzelszenen die „Menschlichkeit“ im soldatischen Alltag und nehmen so dem Kriegsgeschehen das Bedrohliche.

    Exkurs zur Technik des Holzstichs  
    Zwar hatte der Kupferstichs Anfang des 19. Jahrhunderts eine feinere Reproduktionsqualität als der  Holzschnitt, wurde aber im Tiefdruckverfahren gedruckt, während der Letternsatz der Texte  im  Hochdruckverfahren reproduziert wurde. Wer Texte und Bilder auf einem Bogen drucken wollte,  musste also zwei  Druckvorgänge ansetzen – das wäre für die populären Wochenblätter zu  kostspielig gewesen. So griff man auf den Holzschnitt zurück. Die Techniken der Xylographie wurden  im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts immer mehr verfeinert.  Bis im Jahre 1863 die  lithographische Schnellpresse eingeführt wurde war die Xylographie als Hochdruckverfahren die übliche graphische Technik für die Schnellpresse.  

Die Popularität des Bildes wurde von den Verlegern weidlich ausgenutzt. Sogar Texte erschienen unter Überschriften wie Alpenbilder“, „Bilder aus dem Londoner Verkehrsleben“, „Pariser Bilder und Geschichten“, „Bilder aus den russischen Ostseeländern“, „Bilder aus dem Thiergarten“, „Wild-, Wald- und Weidmannsbilder“.
Seit den 1870er Jahren beginnt das Bild in der Gartenlaube zu dominieren. An die Stelle der kleinformatigen Holzstiche der Anfangszeit treten verfeinerte ganzseitige Bilder.
Die Gartenlaube konnte mit der neuen Entwicklung farbiger Bild-Drucke nicht mithalten, glich dies aber mit „Kunstbeilagen“ aus, die in Mappen gesammelt werden sollten.
Die photographische Abbildung nutzte erstmals die 1892 gegründete Berliner lllustrirte Zeitung für ihre Massenauflagen. Sie läutete damit ein neues Kapitel der Illustrierten ein – Bilder bekamen die Funktion, tagesaktuelle Nachrichten zu dokumentieren.

 

Diese Zusammenfassung stützt sich im Wesentlichen auf:
Joachim Schöberl: „Verzierende und erklärende Abbildungen".  Wort und Bild in der illustrierten Familienzeitschrift des neunzehnten Jahrhunderts am Beispiel der Gartenlaube,
in: (Hg)  Segeberg u.a.,  Mobilisierung des Sehens, Band 1,
Zur Vor- und Frühgeschichte des Films in Literatur und Kunst (München 1996)

umfangreiches Material findet sich unter  http://de.wikisource.org/wiki/Die_Gartenlaube