Klaus Wolschner               Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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I
Medien-
Geschichte

Bild-Magie –
aus der Geschichte des christlichen Bild-Handelns

2016

Religiosität ist die Denkform für Unergründliches. Skulpturen und Abbilder werden in religiösen Vorstellungsformen als Platzhalter in Dienst genommen. Symbolbilder machen aus imaginäre Überzeugungen sichtbare Objekte: Unfassbares bekommt ein Sinnbild - sichtbar und (an-)fassbar, - „händelbar“ - sie ermöglichen kultische Praxis. Heiligen-Bilder werden verehrt, als hätten sie etwas von der Nähe und Wirksamkeit des Unvorstellbaren und Unsagbaren. Gläubige knien davor nieder, küssen und verehren sie. Die Kult-Bilder werden über Rituale in das Vorbewusstsein eingeschrieben und prägen wie vertraute Bekannte unsere Vorstellungswelt: Wir vertrauen ihnen, wir kennen sie, wir haben sie über das Brauchtum zu (ge-)brauchen gelernt.
Auch die jüdischen Synagogen, in denen das mosaische Bildnisverbot hoch gehalten wird, sind ausgeschmückt wie Herrschaftspaläste, sie spielen mit dem Allerheiligsten, sie tabuisieren die Tora als heiligen Gegenstand, der „beerdigt“ werden muss, wenn er abgenutzt ist. Die jüdische Kultur hat damit mannigfaltige Ersatz-Bilder für das Göttliche geschaffen. 
Das Christentum hat den jüdische Wanderprediger Jesus zu der Vorstellung vom „Gottessohnes“ Christus ausphantasiert und damit dem unsichtbaren Gott eine sichtbare Gestalt gegeben. Der Gekreuzigte durfte endlich dargestellt, gemalt und angebetet werden, für Luther das einzig legitime „Gnadenbild”. Das Kruzifix mit (und ohne) Corpus ist das Symbol des Todes und der Erlösungshoffnung gleichzeitig, es verkörpert die wesentlichen Geheimnisse des Lebens, die Triebkräfte von Religiosität sind und die von den Institutionen der Religion verwaltet werden.

Lucas Cranach Schmerzensmann um 1517

 

 

 

 

 

 

 

Vor allem die Augen machen 
eine bildliche Figur lebendig:

Ein Gottesbild auf Du und Du: 
Der lebendige Gottessohn erwidert 
den Blick des Betrachters

Lucas Cranach, Schmerzensmann (um 1515)

 

 


 

Natürlich ist das Kruzifix - wie jede Götterstatue – für die Bildanbeter mehr als nur das Sichtbare, das Bild. Durch das Bild hindurch schafft der niederkniende Gläubige eine Beziehung zu Gott, von der er sich himmlische Unterstützung für seine irdischen Sorgen verspricht: „Gib uns unser täglich Brot …“ Bei Lichte betrachtet sei dieses Verlangen, „auf-Du-und-Du“ mit dem unnahbaren Allmächtigen zu kommen, geradezu respektlos und „rüpelhaft“, spottete Nietzsche, denn mit dem Kreuz-Bildnis im Blick kann der Gläubige an jedem Ort mit seinem Gott direkten Umgang pflegen. Im Schlafzimmer übers Bett gehängt wacht der gekreuzigte Gottessohn über das sündhafte Treiben seiner Schäfchen.

Die kultische Praxis alter Kulturen war eine leibliche, verbunden mit Tanz, mit Düften, mit Rhythmen und festlichem Rausch. Die Versuche der lesekundigen Priesterkasten, mit dem Bildnisverbot ihre Macht über die populären Bräuche zu erlangen, mussten scheitern und endeten meist in synkretistischen Kompromissen. Die europäische Aufklärung wollte die Feste der Sinne durch abstrakte Wort-Phantasien verdrängen. „Immersion“, das  Eintauchen in eine künstliche Welt, wird in der Sprachwissenschaft auch mit „Sprachbad“ übersetzt. Aber das reine „Sprachbad“ ist die Sache einer gebildeten Elite geblieben, die damit ihre Bildung inszenieren und ihr „kulturelles Kapital“ unter Beweis stellen kann.  

Das behauptete Primat der Schrift in der christlich-jüdischen Tradition, angereichert durch die gesamte griechische Denk-Tradition, hat im Diskurs der Theologen ein Wort-Denken befördert, das über die Scholastik und den Universalien-Streit auf die europäische Neuzeit übergegangen ist. Der alltägliche christliche Kult hat sich dem nie unterworfen – anders als in der anderen  Buchreligion, dem Islam. Aber auch im populären Islam tummeln sich die Teufelchen, die „Dschinn“.

Der leibhaftige Teufel

Das Christentum ist eine von der Theorie eine „Schriftreligion“, aber die Kirche verzichtet in der Praxis nicht auf die Bilder – oft mit der Ausrede, diese sollten ja nur (insbesondere den Leseunkundigen) bei der Meditation und der inneren Andacht helfen.
4 Pacher Teufel und AugustinusNach christlicher Überlieferung schaut der allmächtige und allwissende Gott am endzeitlichen Gerichtstag in ein von ihm geführtes „Buch des Lebens”. 
Nach mittelalterlicher Überzeugung führt auch der Teufel ein solches Sündenregister, um seine Rolle als Ankläger im jüngsten Gericht glaubhaft spielen zu können. Augustinus, so malte man sich aus, hatte höchstpersönlich mit dem Teufel um die Eintragungen in dessen Buch gestritten und eingetragene Sünden durch Gebete getilgt – der Teufel war sauer.

 

Michael Pacher hat die Szene 1483 
in seinem Gemälde „Teufel und Augustinus“ 
in einem perspektivisch gemalten Bild glaub-würdig festgehalten.

 

 

„Bilder“ im Sinne von Artefakten haben ihren Ursprung in Kultbildern. Abbilder (Skulpturen) sind Platzhalter religiöser Vorstellungsformen. Was ist ein allmächtiges göttliches Wesen? Konkret wird es in einer Statue, in einem heiligen Bild, in einer heiligen Schrift.

Unfassbare, abstrakte Überzeugungen brauchen offenbar bildliche Symbole, die dabei helfen, eine spirituelle Wirklichkeitsdimension, die die leiblich-praktische Wirklichkeit transzendiert, gefühlt wahr-zu-nehmen: Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es Gott gibt, religiöse Wahrheiten sind „höher als alle Vernunft“. (Paulus über den Osterglauben) Friedrich Schleiermachers beschrieb die Religiosität daher (im 19. Jahrhundert) mit der Metapher „Geschmack fürs Unendliche“. Bild-Bild-Symbole dienen wie Klang- oder Duft-Rituale dem sinnlichen Zugang zu einem Unvorstellbaren. 
Heiligen-Bilder werden verehrt, als hätten sie etwas von der Nähe und Wirksamkeit des Unvorstellbaren und Unsagbaren. Gläubige knien davor nieder, küssen und verehren sie.  Die Kult-Bilder werden über Rituale in das Vorbewusstsein eingeschrieben und prägen wie vertraute Bekannte unsere Vorstellungswelt: Wir vertrauen ihnen, wir kennen sie, wir haben sie über das Brauchtum zu brauchen gelernt.

Das Abendmahl als magisches Symbol-Handeln

Auf das Karolingische 8./9. Jahrhundert geht der Brauch zurück, statt des gesäuerten Brotes eine aus Weizenmehl und Wasser gebackene Oblate zur Abendmahlsfeier an die Gläubigen zu reichen. Das Backen war eine Zeremonie, die Stille durfte höchstens durch Psalmengesang erfüllt werden. Das lateinische Wort „Hostie“ bezeichnet das Opfertier oder das Opfer allgemein: Nach der katholischen Lehre (auch des 21. Jahrhunderts) ist die Hostie kein bloßes Zeichen, sie ist dank der „Wandlung“ der Leib Christi. Bei den Fronleichnamsprozessionen wird die Hostie in einer Monstranz öffentlich gezeigt und zu einem Altar getragen.

Die behauptete Realpräsenz des Gottessohnes in der Eucharistiefeier spielt mit dem Verhältnis von Zeichen und Bezeichnetem. Die heilige Symbolik überschreitet Formen der Medialität, sie ist mehr als nur Zeichen jedenfalls für die, die daran glauben. Genauso ist es geradezu die Funktion von Marienbildnissen, dass sie verehrt und angebetet werden können, durch das Küssen überträgt sich übernatürliche Kraft.

Die christlichen Gotteshäuser werden durch eine besondere Architektur zu Realsymbolen, zu heiligen, „geweihten“ Räumen, in denen die Verbindung zum Himmlischen sinnfällig werden soll. Der Blick nach außen ist versperrt, nur das Licht fällt von oben ein. Die Kuppel der Kathedrale stellt den Himmel dar, das Himmlische Jerusalem, das die geistliche Dichtung des 12. Jahrhunderts beschrieb.  Der nach außen abgeschlossene Sakralraum der Kathedrale lässt die geheimnisvolle Herrlichkeit des Gottesreiches ahnen. Die Kirche selbst repräsentiert sich mit königlichem Glanz - gleichzeitig diskreditiert die christliche Theologie die Augenlust für das nieder Volk: Prunkvoll und farbenfroh gekleidete Priester verkünden den einfachen Gläubigen, sie dürften sich nicht an der sichtbaren Oberfläche der Gemälde und Skulpturen berauschen, sondern sollten die tiefere Wahrheit hinter der Oberfläche erspüren.

Zauber mit Bildern - Beispiele christlicher Bild-Magie

Die mittelalterliche christliche Tradition ist voll von derartiger Bild-Magie. Mit Abbildungen der ‚Maria lactans', nach welcher die Gottesmutter mit ihrem Milchstrahl aus die sündigen Menschen nährte, wurden den Gläubigen die muttergöttliche Liebe veranschaulicht. 
Der Mystikerin Margaretha Ebner (14. Jahrhundert) erschien im Schlaf ein großes Kruzifix und neigte sich zu ihr nieder, „so ich also vor im staun, so naigt sich min herr Jesus Christus her ab von dem criucz und liezz mich küzzen in sin offen hercz und trankt mich mit sinem bluot dar usse, und enphieng ich da als grozze crefrig gnaud und süezkait, diu an mir lang wert.“ Sie wurde 1979 durch Papst Johannes Paul seliggesprochen.
In seiner Schrift über den Bild-Gebrauch der Gläubigen berichtet Heinrich von Kepelen in der Mitte des 15. Jahrhunderts von dem aus der heidnischen Tradition übernommenen Brauch, für die Fruchtbarkeit und den Schutz der Äcker die Bilder der Heiligen um diese herumgetragen. Auch gehörte es durchaus zur christlichen Praxis, Heilige in ihren Bildern symbolisch zu erniedrigen. Kepelens Erklärung für die Anziehungskraft der alten Bräuche: Der Schöpfer habe es zugelassen, dass Satan und seine Jünger Wunderzeichen an Bildern der Kirche hervorbringen können, um dadurch rechtgläubige Menschen zu verführen. Insbesondere auch in den Hohlräumen von Skulpturen könnten sich Dämonen einnisten. 

Der Glaube an die magischen Kräfte, die mit rituellen Handlungen und ihren bildlichen Ausdrucksgestalten angerufen werden können, durchzog das mittelalterliche Alltagsleben. Die figürlichen Abbilder hatten dabei meist nicht viel gemein mit den abgebildeten Personen. Die Bildnisse von Menschen, die bezaubert werden sollen, hießen im Lateinischen „effigies". In der Rechtsgeschichte gibt es Hinrichtungen „in effigie“ – wenn der Täter flüchtig war, konnte symbolisch dessen Bildnis gehängt oder verbrannt zu werden. Dabei war die Differenz zwischen dem Gesuchten und dem Bildnis eindeutig.
Nicht dem Bild als Bild wohnte nach der gängigen Überzeugung die Zauberkraft inne, sondern das Bildnis war ein Element des zeremoniellen Zauberrituals, zu dem Handlungen gehörten, Worte und eben figürliche Bilder. Rachepuppen und „Atzmänner" waren meist kleine Wachskobolde, die dienstbar gemacht werden konnten – zum Guten wie zum Schlechten, für Schadens- wie für Liebespraktiken. Mit den magischen Hilfsfigürchen macht der Magier bildlich deutlich, was aufgrund bestimmter astraler Konstellationen und nach seinem Beschwörungstext geschehen sollte. Das Bildnis dient der zeichenhaften Kommunikationsverstärkung.
In der christlichen kultischen Praxis sind die Ikonen nicht nur pädagogische Hilfsmittel der Belehrung, sondern sie dienen der religiösen Handlung, die stellvertretend an dem Bild ausgeführt werden. Bildnisse werden geküsst, vor ihnen wird gebetet, vor ihnen werden Votivgaben aufgestellt als Dank- oder Bitt-Zeichen. Die Bildnisse werden gefüttert, gekleidet, gewaschen. Das Bildnis, vor dem ein Gebet gesprochen wird, soll die Botschaft an Gott vermitteln und/oder die Chance erhöhen, dass die Bitten erhört werden. Der Übergang zu einer Verehrung der Bildnisse selbst bzw. der Vorstellung, dass die Bildnisse selbst magische Kraft entfalten können, ist fließend.
Dieses Bild-Verständnis steht auch hinter dem strengen Bilderverbot im Islam. Eine Mohammed-Darstellung an sich wird als Frevel angesehen, losgelöst von jedem rituellen Kontext. Eine Mohammed-Karikatur ist nicht ein fetzen Papier, sondern eine Beleidigung des Propheten. Das Papier, auf den der Koran in der Sprache Gottes, dem arabischen, niedergeschrieben wurde, ist heiliges Papier, auch wenn es abgenutzt, zerfetzt und außer Verwendung gestellt ist.

In einem mundartlichen Handbuch aus dem 15. Jahrhundert wird eine ausgefeilte Methode des Zähmens wilder Tiere beschrieben. Man soll ein Bild des Tieres gießen, dessen Namen in den Kopf und auf die Brust den Namen der Stunde und den zugehörigen Planeten ritzen. Schließlich sollte die Skulptur beräuchert und vergraben werden – in dem entsprechenden Zauberritual sollte der Wille des Tieres unterworfen. Dass die magische Kraft nicht mit dem Bildnis identisch war, ergibt sich schon daraus, dass das Eingraben nicht immer erfolgreich war.
Wer die Gunst einer anderen Person gewinnen wollte, konnte eine Zinnfigur mit eingeritztem Namen an einer Eisenkette an einer Zinn-Figur für die eigene Person befestigen – so werden beide vergraben. Die Zeremonie muss mit magischen Formeln, die die Anrufung des christlichen Gottes wie des Teufels ausdrücken, begleitet werden, wenn sie wirken soll. Verbreitet waren unzählige Praktiken zur Schadens- oder Liebesmagie, in denen eine Bildfigur gefoltert, zerstört, manipuliert oder eben umworben wurde.
 

Um so aufregender sind im 16. und 17. Jahrhundert die über optische Instrumente vorgeführten ,Wunder'. Die alte Lesart der Bildwerke, zu deren Verständnis man die Sinn-Perspektive entziffern musste, wurde abgelöst durch die neue Darstellungsweise einer optischen Perspektive. Das Revolutionäre daran war, dass sie den Wahrheitsanspruch des alten Bildnisses in Frage stellte und auf die Dauer ablöste.

 

    Zum Thema siehe auch meine Texte über
                Bild-Denken - Bild-Handeln    M-G-Link
                Geschichte des Sehens    M-G-Link