Klaus Wolschner  Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

Über den Autor

www.medien-gesellschaft.de


III
Medien
-Theorie

Meine Studienbücher:

Cover WI

Neue Medien,
neue Techniken des Selbst:
 Unser digitales Wir-Ich

ISBN: 978-3-754968-81-9

Cover VR

Über die Mediengeschichte der Schriftkultur und ihre
Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion
im  Jahrhundert
des Auges:
Virtuelle Realität
der Schrift

ISBN 978-3-7375-8922-2

COVER AS

Wie wir wahrnehmen,
was wir sehen:

Augensinn und
 Bild-Magie

ISBN 978-3-7418-5475-0

Cover GG

Über religiöse Körpergefühle und die kommunikative Kraft
der großen Götter von Christentum, Islam und Moderne:
Wie Glaubensgefühle
Geschichte machen

ISBN 978-3-746756-36-3

Cover POP2

Über traditionelle
Herrschafts-Kommunikation
und neue Formen der
Medien-Demokratie:
Wenn der Pöbel
online kommt

ISBN: 978-3-756511-58-7

 

 

 

Bilddenken, Bildhandeln

Bilder sind Träger von Denkprozessen. Bilder sind die Medien des Unsagbaren.
Über die Kommunikationsweisen der Wort-Laute, der Gebilde und der Gebärden

2023

Als Mittel der Kommunikation haben Bilder Wirkung auf den, der ein Bild sieht. Der Begriff „Bild-Handeln“ unterstellt Motive und Strategien bei deren, die Bilder aussenden oder auf Bilder aufmerksam machen. Schon wenn sich Menschen mit Kleidung schön machen oder schminken, bedeutet das „Bild-Handeln”: Sie wollen das Bild, das andere sich von ihnen machen, bewusst und gezielt gestalten. Der Begriff „Bild-Handeln“ betont die Motive und Strategien derer, die Bilder aussenden oder auf Bilder aufmerksam machen. Die Inszenierung eines Herrschers ist genauso Bild-Handeln wie die Repräsentation einer transzendenten Macht. Die frühen ägyptischen Hieroglyphen waren Gottes-Zeichen, wurden als Repräsentanten göttlicher Macht verstanden. Die Monumentalwerke der alten Kulturen sollten Macht demonstrieren im Sinne von „Bild-Handeln“. Die Münzen waren aus diesem Grund mit dem Bildnis des Herrscher geprägt, der für ihren Wert bürgen sollte.
Die großen archaischem Artefakte, die Schnitz-Bilder, die Münz-Bilder und die heiligen Monumente waren machtvolle Zeichen und Zeichen der Macht waren, Bild-Handeln der Herrscher. Aber schon die Venus-Figurinen der Jungsteinzeit sind ein frühes Beispiel dafür, dass Menschen sich ihre eigenen Artefakte „schnitzten”. Mit den Holzschnitten des 15. Jahrhunderts beg
ann die Bilderkultur der Renaissance sich - wie im griechischen Vorbild – auch nach dem Geschmack der Käufer zu richten. Moderne Produzenten von Bildern sind in der Regel auf kommerziellen Absatz aus, sie müssen sich nach dem Massengeschmack richten. Die Bilder der Massenmedien spiegeln daher den Massengeschmack, im Rahmen der jeweiligen bildtechnischen Möglichkeiten. 

Mit den Holzschnitten des 15. Jahrhunderts begann die Bilderkultur der Renaissance sich - wie im griechischen Vorbild – auch nach dem Geschmack der Käufer zu richten. Schon die frühneuzeitlichen Flugschriften nutzten intensiv die Bild-Agitation, um die Wirkung ihrer Botschaft zu vergrößern - die „Sänger“ der Neuigkeiten konnten die Holzschnitte den leseunkundigen Zuhörern zum Beweis ihres Rede-Vortrages zeigen. Im 19. Jahrhundert nutzten die Zeitschriften und Zeitungen zunehmend die kommunikativen Möglichkeiten der Bilder. Ende des 19. Jahrhunderts kompensierte Kaiser Wilhelm den Verfall seiner Macht durch intensive Präsenz in der Öffentlichkeit – insbesondere mit wirkmächtigen Fotos in den populären Illustrierten. Bild-Handeln war so immer schon ein Instrument der Machtpolitik - aber das Bild-Handeln erreicht seine Adressaten nur, wenn es eine Geschichte erzählt, die ihre inneren Bilder bedient. Ein Bild kann Emotionen erregen, Sinn transportiert es erst durch die Worte, durch die es begleitet wird.

Was ist das Bild?

Als „Bild” wird gewöhnlich ein Bildträger bezeichnet, ein Stück Leinwand, ein fotografischer Abzug. In Analogie zu den technischen Bildträgern sprechen wir auch von dem „Bild“, das eine Landschaft abgibt. Aber diese Bildträger sind nur Materie, von denen Lichtwellen reflektiert werden. Die stofflichen Bildträger sind für die Bild-Kultur nur die materielle Grundlage wie die strukturierten Schallwellen die Transport-Mittel für die Sprache sind. So wie aus den Schallwellen, den ein Sprecher aussendet, Sprache erst wird, wenn einer da ist, der die Töne als Sprache begreift, so wird das visuelle Muster des Bildträgers erst zum Bild, wenn ihm Bedeutung zugemessen wird, also wenn ein Gehirn ihm Sinn zuschreibt. Denn das Auge nimmt kein Bild auf, sondern nur Lichtwellen. Ein „Bild“ entsteht durch die Projektion von Bedeutungen auf ein Objekt in der Welt „da draußen“. Der projizierte Gehalt erscheint dem Beobachter als die Bedeutung des Bildes, das ihm vor Augen steht. Das Gedächtnis gleicht die einkommenden Seh-Eindrücke ab mit den Mustern früherer Sinneseindrücke und ihren begleitenden Erzählungen. Diese Interpretationen können bewusst geformt werden durch inszenierte Bilder. Erst wenn der Seh-Eindruck das gewollte Bild-Denken auslöst, wird das Zeigen des Bildes, das Bild-Handeln, rezipiert und zu einem Akt gelungener Kommunikation.  

Theater der Bild-Macht

Die die Welt „da draußen" kann nur durch die Brille der in der  sozialen Gemeinschaft vorherrschenden Sinngehalte gelesen werden. Das Theater der Macht ist ein Versuch, die Wahrnehmung der Welt „da draußen“ vorzustrukturieren. Zum Beispiel muss ein „Volk“ in Bildern und bewegenden Ritualen symbolisch sichtbar werden, sonst existiert es nicht für den Betrachter. Man kann ein Volk nicht sehen.Erst die bildhaften symbolischen „Repräsentationen“ in den Köpfen machen aus der Ansammlung von Menschen eine Einheit „Volk“, eine durch Erzählungen und den Begriff verfestigte virtuelle Realität. Die Parole „Wir sind das Volk” untergräbt das Theater der Macht, indem sie ein Gegenbild zu den staatlichen Repräsentationen in den Köpfen produziert.

Menschen sind den sinnlich vor Augen geführten „Argumentationen” gegenüber zugänglicher als rational ausgeklügelten Sätzen. „Wenn man dem gemeinen Volk hundert und aber hundert mal mit auserlesensten Worten und Gründen vorstellte, daß es seinem Regenten gehorchen sollte, weil es dem göttlichen Befehl und der gesunden Vernunft gemäß wäre, dieser König sich aber in Kleidung und sonst in allem so schlicht wie ein gemeiner Bürger aufführte, so würde man wenig ausrichten”, das stellte 1719 Johann Christian Lünig fest. Er plauderte damit das Geheimnis des Staats-Theaters aus, das der Sonnenkönig Ludwig XIV vorgeführt hatte: „Allein man stelle demselben gemeinen Volk einen Fürsten vor, der prächtig gekleidet, mit vielen Hofleuten umgeben, von verschiedenen auswärtigen Prinzen und Gesandtschaften verehrt und von einer ansehnlichen Garde bedeckt ist, so wird das Volk anfangen, sich über dessen Hoheit zu verwundern, diese Verwunderung aber bringet Hochachtung und Ehrfurcht zuwege, von welchen Untertänigkeit und Gehorsam herkommen.“ Lünig verallgemeinerte: „Die meisten Menschen ... sind von solcher Beschaffenheit, dass bei ihnen die sinnliche Empfindung mehr als Witz und Verstand vermögen, deshalb werden sie durch Dinge, welche die Sinne kitzeln und in die Augen fallen, mehr als durch die bündigsten und deutlichsten Motiven commovieret.” Die Wirkung der Herrscherbilder lebt natürlich nicht aus den Bildern selbst, sondern aus den Phantasien, die durch alte Erzählungen als innere Bilder gefestigt haben, wie ein mächtiger Herrscher auszusehen hat.

Die modernen Bild-Technologien haben das „Bild-Handeln“ für jedermann verfügbar gemacht. Portraitfotos machen jedermann „unsterblich“. Familienfotos reproduzieren ein familiäres Gedächtnis - natürlich nur, wenn ich weiß, dass das eine alte Gesicht „der Uropa” darstellen soll und das andere die „Tante Elisabeth” - dann werden die Familienbilder zu Anlässen, immer wieder dieselben Familiengeschichten zu erzählen. „Familie“ stellt sich dann dar als Sammlung von  einem oder zwei Dutzend Geschichten dar, die Familienbilder und das Wort bringen „Familie” auf einen Begriff mit großem emotionalem Tiefgang.

Jede Internetseite und jeder Facebook-Account heute stellt ein modernes Instrument des Bildhandeln dar. Diese Bilder können nur erzählen, was sie aus der medialen Massenkultur entnommen haben, sie vervielfältigen die Massenkultur selbst dort, wo sie ihre Objekte scheinbar höchst individuell zeigen sollen. In der „Selfie“-Kultur wird das Bild, das ich von mir selbst poste, zu dem, was ich von mir selbst habe: Indem ich bestimmte Bilder von mir zeige und immer wieder anschaue, versuche ich, mein Selbstbild zu prägen. Bilder können und sollen inszenieren.

Bilder sind die Medien des Unsagbaren

Laut-Verständigung ist die Basis der kulturellen Selbstentfaltung des homo sapiens, seine komplexe Sprache ist einzigartig im Vergleich zu den vielfältigen Kommunikationsformen anderer Lebewesen. Aber in der intimen zwischenmenschlichen Kommunikation können die Botschaften der Berührung und des Duftes entscheidend sein. Für die emotionale Gruppen-Kommunikation ist die Laut-Verständigung durch den subtilen Klang der Gesänge und durch Musik ganz wesentlich. Das gegenseitige Empfinden der Menschen ist geprägt von den unbewussten leiblichen Kommunikationsformen.
Die geistig-kulturelle Welt der Menschen bedient sich neben der „Sprache des Verbalen“ der Sprache des Visuellen. Auch wenn der Kontext eines Bildes normalerweise durch Sprache vermittelt wird - ein Bild kann mehr aus tausend Worte sagen, wenn damit elementare Emotionen angesprochen werden. Manchmal sagt ein Bild auch etwas, was durch Worte nie so emotional intensiv kommuniziert werden könnte.


Bild-Handeln heute

Die Sehnsucht nach anschaulichen Bildern von virtuellen Welten ist von den religiösen Kulten auf das Theater, auf den Roman und inzwischen auch auf den Film übergegangen. Die kulturellen Artefakte transportierten immer schon Freiräume für sentimentale Phantasien, sie stimulieren die Sinne durch (zumindest sprachlich) ausgemalte Emotionen und Farbigkeit. 
Filmbilder prägen heute das kulturelle Wissen, in dessen Kontext die Menschen ihren Realitätseindruck wahr-nehmen. Lust an optischen Illusionen wird zum treibenden Moment der Lust an Phantasie. Bildsymbole geben dem Nicht-Sichtbaren, dem Nicht-Greifbaren und dem Nicht-Begreifbaren eine sichtbare kommunikative Repräsentanz in der Gemeinschaft. Die imaginäre Gemeinschaft einer Fan-Gruppe oder einer Nation wird konkret und materiell durch die jeweilige Fahne, die stolz gezeigt wird und nicht entweiht und „geschändet“ werden darf. 

Die großen Bild-Illusionen der modernen medialen Kultur stehen in Konkurrenz zu einer banalen, manchmal elenden Wirklichkeit des Alltagslebens. Die „Realität“ des Alltags war immer grau im Vergleich zu menschlichen Phantasie-Produkten. Die Film-Phantasien sind der Technik voraus wie die Unsterblichkeits-Phantasien den praktischen Möglichkeiten der Medizinmänner. Phantasiereisen sind seit den Anfängen menschlicher Kultur ein Sonntags-Vergnügen für den menschlichen Geist, während der Leib in seinen biologischen Grenzen mit seinen unmittelbaren Bedürfnissen im Alltag regiert.

 

s.a. die Texte

    Bildmagie – zur Geschichte des christlichen Bild-Handelns   MG-Link
    Über die christliche Tradition der Steinigung der Venus   MG-Link

Zum dem Themenkomplex Bildkultur gibt es in meinem Blog www.medien-gesellschaft.de u.a. folgende Texte:

    Bigger than life - Mammutjäger vor der Glotze MG-Link
    Über die Realität der medialen Fiktion MG-Link

    Das Gehirn spinnt Sinn  - Gehirngespinste  M-G-Link
    Kraft der Bilder - Unser Gehirn liebt die virtuelle Realität: Herrschafts-Bilder, Bilder für Unsagbares  MG-Link
    Bilder im Kopf - Über die neurologisch vermittelte Realitätswahrnehmung  MG-Link 
    Bilddenken, Bildhandeln - Wort-Laute, Gebilde und Gebärden   MG-Link
    Bild  gegen Schrift - Wortfetischismus und die Klagen der Schriftkultur über die Macht der Bilder   MG-Link

    Geschichte des Sehens und Kulturgeschichte des Bildes  MG-Link
    Das oral-visuelle Selbst  MG-Link
    Sehen der Moderne - Neue Bilder in der neuen Medienkultur MG-Link

    Bewegende Bilder – Geschichte des Films  im 19. Jahrhundert MG-Link
    Reizflut, Reizschutz, Inhibition, Neurasthenie   MG-Link
    Aufmerksamkeit - über Neurologie und Soziologie einer knappen Ressource MG-Link

Literaturhinweis:

    Wolfgang Brückner, Bilddenken - Mensch und Magie oder Missverständnisse der Moderne (2013)