Klaus Wolschner               Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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Die 1848er Revolution im Spiegel der Illustrirten Zeitung

2020

Die erste Illustrierte in deutscher Sprache, die „Illustrirte Zeitung” aus Leipzig,
berichtete detailliert über politische Vorgänge ihrer Zeit.
Sympathien für die revolutionären Ideen des Vormärz sucht man vergebens. Das änderte sich in der Revolution 1848 im Grunde nicht, eine Ausnahme bildeten einzelne Korrespondenten-Kommentare zu umstürzlerischen Ereignissen außerhalb der Grenzen Deutschlands

Die Biografie „Johann Jakob Weber – ein Beitrag zur Familiengeschichte“ von Wolfgang Weber (1928) geht auf die politischen Ansichten des gebürtigen Schweizers nur am Rande ein, auch die die überarbeitete Fassung von 2003 mit dem Untertitel „Der Begründer der illustrierten Presse in Deutschland“ nicht. „Als Schweizer sympathisierte er mit den Freiheitsbestrebungen der Völker“, heißt es da über den historischen Johann Jakob Weber, und zur Bestätigung erwähnt er, dass die „Illustrirte Zeitung“ im August 1848 eine von Charlet illustrierte „Marseillaise“ abdruckte.

Viel mehr war da allerdings auch nicht zu erwähnen zumindest für die Jahre vor 1848. Johann Jakob Weber hatte in das Geleitwort des 1833 erstmals in Leipzig erschienenen „Pfennig-Magazins“ sein Credo geschrieben: „Die Verbreitung nützlicher Kenntnisse ist das schönste Geschenk, das man seinem Jahrhundert machen kann.“ Im Vormärz war die „Illustrirte Zeitung“ kein Blatt, dass sich für die demokratische Bewegung interessierte.
Leipzig war eine kleine, wachsende Stadt. 1834 gab es dort bereits 80 buchhändlerische Firmen, 1840 waren es schon 113, darunter Druckereien wie Breitkopf & Härtel, B.G.Teubner oder eben F. A. Brockhaus. 1839 war die Eisenbahnlinie Leipzig-Dresden fertig geworden. Weber baute einen durchaus erfolgreichen Verlag auf. 1839/40 veröffentlichte er die „Geschichte des Kaisers Napoleon“, bei ihm erschien die „Geschichte Friedrichs des Großen“ von Franz Kugler mit 400 Originalzeichnungen von Adolph Menzel. Bei Weber erschienen Balzacs „Kleine Leiden des Ehestandes“ oder zum Beispiel Eugene Sues „Ewiger Jude“. In Zentrum des buchdruckerischen Interesses von Weber stand die grafische Ausstattung der Bücher, ein besonderes Interesse an den nationalen und politischen Freiheitsthemen des Vormärz ist nicht erkennbar. Seine „Geschichte der dritten französischen Revolution und der Begründung der Französischen Republik“ erschien erst 1849.

Die Gründung der „Illustrirten Zeitung“

Am 1. Juli 1843 erschien die erste Nummer der Wochenzeitung „Illustrirte Zeitung“, nach dem Vorbild der „London News“ (1842) und der französischen „Illustration“ (1843).

1843 TitelTitelschriftzug der ersten Nummer, die ganze Seite Link

Nach sechs Monaten hatte das Blatt immerhin 7.500 verkaufte Exemplare, im Laufe der Jahre beschäftigte rund 50 Holzschneider. Trotzdem geriet Weber schon nach wenigen Jahren in eine wirtschaftlich schwierige Lage, als eingewanderter Schweizer gehörte er nicht zu dem Kreis der alteingesessenen Leipziger. Ein „Sortimentsbuchhändler“ erklärte, dass Webers Erfolg anfangs „ein Rausch“ gewesen sei: „Die Illustrirte ist nichts als ein Modearti-kel.“ Möglicherweise rettet das gesteigerte Interesse an der Presse in den Monaten der 1848’er Revolution sein Medien-Geschäft.

Weber wird von seinen Zeitgenossen eine selbstherrliche und eigenwillige Persönlichkeit attestiert. Von den Freiheitsbestrebungen des „Vormärz“ findet sich in den ersten Jahrgängen seiner Zeitung nichts, abgesehen vielleicht von der Forderung nach Beendigung der Pressezensur. Auch von der deutschen Nationalbewegung hielt er offenbar nichts. Ende des Jahres 1848 erklärte er, die „Trennung Deutschlands in zahlreiche Einzelstaaten“ sei die „Grundbedingung deutschen Lebens“, Deutschland wünschte er sich als „Bund gleichberechtigter Staaten, aber nicht eine Meute geknechteter Vasallen“, denn „wir wünschen die Einheit, aber nicht auf Kosten der Freiheit: denn Frankreich beweist, wie Rußland, daß die Freiheit nicht im Gefolge der Einheit ist.“

Nach der Phase der politischen Unruhen 1848/9 setzte er wieder ganz auf die Qualität der Illustrationen bei politischer Zurückhaltung. Die „Nummer Tausend“ der „Illustrirten Zeitung“ im Jahre 1862 erschien als Sonderausgabe, die den gesamten Produktionsprozess erläuterte – und illustrierte. Die Leser durften den Redakteuren, Zeichnern und Holzschneidern, Setzern und Druckern quasi über die Schultern schauen.  (MG-Link

„Es ist für niemanden mehr ein Geheimnis“, heißt es gleich im zweiten Absatz des Editorials zur ersten Nummer am 1. Juli 1843,  „dass die Holzschmiedekunst, schon vor Jahrhunderten der beliebteste Schmuck der Bücher und vor wenigen Jahren zu gleichem Zwecke von der Typografie wieder aufgenommen, eine Stufe der Vollendung erreicht hat, welche auch den höchsten Ansprüchen eines ausgebildeten Kunstsinnes entspricht.“ Darauf beruhte sein Geschäftsmodell und der Stil des Textes zeigt an, dass sich das Blatt an Menschen  ist „ausgebildetem Kunstsinn“ wendet, d.h. an ein bürgerliches Publikum mit guten Lesekenntnissen.  Weber will „den Männern die gründlichste Belehrung, den Frauen die angenehmste Unterhaltung“ bieten. Seine Themenspektrum reicht „von den Großthaten der Fürsten bis zu dem Ergebniß verborgenster Forschung“. 

Und so berichtet die erste Nummer ausführlich in ihrem ersten Artikel nach dem Editorial über  „Helene, die Prinzessin von Mecklenburg, verwitwete Herzogin von Orleans“. In Ludwigslust, immerhin 300 Kilometer entfernt von Leipzig, sei sie aufgewachsen, erfahren wir, also keine lokale Größe, sondern eher eine typische Adels-Soap:  „Durch Vater und Mutter wurde die Herzogin von Orleans mit allem ausgestattet, was den Namen der Fürsten in die Herzen der Völker gräbt“, lesen wir. Und so weiter. Das ist Lyrik. Denn ihre Mutter starb schon, als sie zwei Jahre alt war, der Vater vermählte sich neu, auch er starb früh. Helene wird von ihrer Stiefmutter aufgezogen. Woher die „Illustrirte Zeitung“ ihre Informationen hat, erfahren wir nicht, darum geht es auch nicht. „Man muß in Deutschland und namentlich in Mecklenburg gewesen sein, um zu wissen, welch hohe Achtung und Liebe die Herzogin von Orleans bei Allen zurückließ, die sie näher kannten. Seitdem sie Ludwigslust verlassen, haben sich die Blicke der ganzen Bevölkerung dieser Stadt nach Frankreich gewendet. Man hat auf französische Blätter abonniert … Nirgends hegt man heißere Wünsche für den Ruhm und die Wohlfahrt Frankreichs.“ 1843 Themsetunnel

Auch in Frankreich verfolgt das Schicksal die Prinzessin: „Da knickte ein unerforschlicher Rathschluß des Himmels die Blüthen der Hoffnung. Ein Scheuwerden der Pferde veranlaßte ein augenblickliches Schnellfahren, wobei der Herzog auf eine noch immer kaum erklärliche Weise kopfüber aus dem Wagen geschleudert wurde und sich an dem Steinpflaster die Hirnschale zerschmetterte.“  Aber „Frankreich blickt mit Zärtlichkeit auf die junge Fürstin, die eine große Pflicht zwischen ewiger Trauer und einer schönen Hoffnung, zwischen Schmerz als Gattin und Freude der Mutter“ empfindet. Klar für die Zeitgenossen: Ihr Sohn könnte Thronfolger werden.

Die Nullnummer interessiert sich dann weiter für die Eröffnung
des sensationellen Bauwerkes Themsetunnel,
nebenstehend der Holzschnitt aus der Zeitung.

Gleich in der zweiten Ausgabe wird dann versichert, dass in dem regelmäßigen Wochenbericht Deutschland „Ausgangspunkt und Mittelpunkt unserer Betrachtungen bilden“ solle. Das zweite Editorial setzt sich aber ausdrücklich ab von denjenigen, „die mit Verleugnung des Bodens, auf welchem die gesamte europäische Bildung ruht, das Christenthum zugleich mit dem Königthum vernichten möchten, um auf der tabula rasa das Luftschloss ihrer neuen Sozialeinrichtungen aufzuführen.“

Das liest sich wie eine leichte Korrektur der Frankreich-Euphorie, war aber offenbar nicht so gemeint - auch in den folgenden Ausgaben der Illustrirten bleibt der der politische Schwerpunkt bei berichten über die europäischen Adelshäuser.

Die dritte Ausgabe macht mit dem Erzherzog Karl von Österreich auf und berichtet dann gleich auf Seite 3 ausführlich über den Tod des Herzogs von Sussex.  Ein distanziertes Verhältnis zu den deutschen Fürstentümern wird nur deutlich bei einer Notiz über Vorgänge rund um die Pressezensur. Auf den Seiten 5-8 wird über das Privatleben Sängerin Kathinka Heinefette ausführlich berichtet – da gibt es einen 

1843 Mode für den HerrnProzess in dem Eifersuchtsstreit. In jeder Ausgabe wird hinten ein Lied mit Noten abgedruckt, hier das der norwegischen Matrosen: „Steuermann , lass die Wacht…“ Am Ende der Ausgabe stehen der  Fortsetzungsroman und mit Zeichnungen illustrierte Texte zur Mode – nicht nur für die Frau, sondern auch für die Herren.

Die Texte der Illustirten Zeitung sind nicht namentlich gezeichnet, insbesondere bei den regelmäßigen politisch-philosophischen Grundsatzartikel darf man unterstellen, dass hier der Herausgeber selbst zur Feder griff. Anlässlich der Arbeiterunruhen in Breslau machte die Illustrirte sich am 14.4.1847 Gedanken über „Die Proletarier“. Anlass scheinen die Hungerrevolten der Jahre 1846/7 zu sein, über die aber nicht berichtet wird. Da heißt es, das „Proletariat im Sinne eines Zustandes des Elends, der Verwilderung, des Stumpfsinns und der Hoffnungslosigkeit“ sollte „ausgetilgt“ werden. Das Proletariat sei eine „Schmach“ für eine „Staatsgesellschaft, die sich rühmt, eine christliche zu sein“. Um eine konkrete Stellungnahme zu den Ausschreitungen der Arbeiter und der brutalen militärischen Reaktion der Obrigkeit drückt sich der Text herum.

Wer den Widerhall der politischen Forderungen des Vormärz in der Zeitung sucht, wird enttäuscht. Zum Beispiel wurden am 12. September 1847 bei der Offenburger Versammlung  von radikal-demokratischen badischen Politikern mit den „Forderungen des Volkes“ Grundrechte eingefordert, der bedrohlichen Industrialisierung wurden frühsozialistische Ideen entgegengesetzt. Kein Wort davon in der Illustrirten Zeitung. Am 10. Oktober 1847 wurde bei der Heppenheimer Tagung  das politische Programm der gemäßigten Liberalen formuliert. Kein Wort davon in der Illustrirten.

1847 Baron Rothschld KopieAm 2.10.1847 füllt ein großformatiger Holzschnitt mit dem Baron Nathan von Rothschild die gesamte erste Seite – dazu steht ein Artikel unter der Überschrift „Das Judenthum“. Die Wahl des Barons in den Rat der Londoner Altstadt ist für die Zeitung – und mutmaßlich: den Herausgeber Johann Jakob Weber – Anlass für einen antisemitischen Text, der sich grundsätzlich gegen die Gleichstellung der Juden „in einem seiner Mehrzahl aus Christen bestehenden Staate“ wendet. „Wie kann der Jude uns achten, wenn wir ihn selbst, den Verächter des Heiligsten, was wir haben,  … gleiche Rechte mit uns zugestehen..?“ Die Juden würden, wenn sie einen Staat gründen würden, den Christen diese Gleichstellung auch verweigern. „Es folgt daraus, dass dieselben nach ihrem eignen Gesetz sich über uns nicht zu beklagen haben.“

Die Illustrirte gegen die Revolution - im Februar 1848

Als im Februar 1848 die Studenten und die Bürger in München dagegen aufbegehren, dass ihr König Ludwig I. die junge „spanische Tänzerin“, die er als seine Mätresse protegiert, zur „Gräfin“ erheben will, da steht die Illustrirte Zeitung ganz auf der Seite des Königs. Zwei Wochen nach den Ereignissen in München und erst auf Seit 5 druckt die Illustrirte am 4.3.1848 eine kommentierende Wertung - und wirft sich zum Moralapostel auf: „Fern sei es von uns, unsittlichen Verhältnissen das Wort zu reden; noch viel weniger aber möchten wir uns zu Richtern aufwerfen, und am allerwenigsten können wir zugeben, dass die allgemeine Regel, daß Privatverhältnisse nicht in den Bereich der Öffentlichkeit gehören, dann eine Ausnahme erleiden dürfte, wo jeder wahre Freund des Vaterlandes sich veranlasst finden sollte, sie mit dem dichtesten Schleier der Verborgenheit zu bedecken, um  nicht den Fluch Kanaans auf sich herabzuziehen. Und unter den tausend Studenten, unter den dreitausend Bürgern, welche die Alemannen ächteten, wie viele mögen wol darunter  gewesen ein, die mit gutem Gewissen Steine aufheben durften, zur gesetzlichen Tödtung! Schon die verächtliche Scheinheiligkeit, die aus diesem Geschrei hervorblickt, würde die pfäffische Färbung dieser Revolution beweisen, wäre auch nicht die Postzeitung ihr Moniteur gewesen.“
Selbst die Abdankung des Königs entlockt dem Herausgeber Weber keinen nachdenklichen Kommentar. (zur Lola-Montez-Revolution MG-Link)

Sensationen stellt die Zeitung gern in großformatigen Holzschnitten vor – etwa in der Ausgabe vom 19.2.1848 das Erdbeben von Guadeloupe.

Die Illustirte Zeitung interessiert sich offenkundig für die Debatten, in denen es darum ging, ob Herrschaftshäuser ihrem Volk Verfassungen gewähren sollten. Am 26.2.1848 berichtet sie mit dem Aufmacher über den Verfassungserlass des Königs von Dänemark und gleich danach – Seite 3 – dann über die bäuerliche Landwirtschaft in Russland. 

Am 4.3.1848 ist wieder der dänische König Aufmacher-Thema, diesmal Christian VIII. – er war im Januar verstorben. Auf Seite 4 bringt das Blatt dann eine Reportage über „Borsig’s Eisengießerei“ in Berlin: „Betäubt von dem dröhnenden Gedampfe der großen Dampfmaschine, von dem verwirrenden schnurren und sausen, Rasseln und Schwirren mehrerer tausend Räder …“  Erst auf Seite 12 geht es am 4.3. dann nach Paris zu den Ereignissen.

Kurz zu den Ereignissen: Am 22. Februar 1848 war eine Menschenmenge aus den Armenvierteln im Osten der Hauptstadt ins Zentrum marschiert, Barrikaden wurden errichtet, Pflastersteine herausgerissen. Die Truppen sahen regungslos zu. Am 23.2. wieder Barrikaden, erschollen: „Nieder mit Guizot! Nieder mit der Regierung!" Vor dem Außenministerium fiel plötzlich ein Schuss. Die verschreckte Truppe, die das Gebäude bewachte, feuerte auf einen Zug fröhlich singender Demonstranten. Es gab 52 Tote und Verletzte. Auch am 24. Februar, war das Volk Herr der Straße. Die Tuilerien wurden von 4.000 Soldaten verteidigt. Louis-Philippe dankt ab, die Regentschaft sollte die Mutter des minderjährigen Thronfolgers übernehmen, Hélène, Herzogin von Orléans.1848 helene

Illustration der Gräfin Helene von Orleans mit ihren Kindern, darunter dem minderjährigen Thronfolger - die Größe der Abbildung in der Illustrirten vom 4.3.1848 steht in keinem Verhältnis zu der
Bedeutung, der ihrem Erscheinen
in Paris im Text zugemessen wird.

Die Illustrierte meldet trocken: „Die Herzogin von Orleans, welche sich mit ihren Söhnen zu Fuße in die Kammer der deputierten begab, um die erledigte Krone für ihren Sohn zu verlangen, wurde zurückgewiesen und befindet sich im Hotel der Invaliden …“ Ein großes Bild der königlichen Familie, aber kein Ton des Bedauerns, keine Erinnerung auf die Lobhudelei über die Herzogin in der ersten Ausgabe der Illustrirten Zeitung.

Stattdessen ein Kommentar mit einer Deutlichkeit, die in man in den Stellungnahmen zu den deutschen 1848-er Unruhen vergeblich sucht: „Das also der Ausgang einer achtzehnjährigen Lüge und einer Staatsverwaltung, die mit den schimpflichsten Mitteln keinen anderen Zweck verfolgte, als den Vortheil des Hauses Orleans  auf Kosten Frankreichs, und mit gänzlicher Hintansetzung des wahren Wohls desselben Volkes zu gründen,   … der Thron, der auf Treubruch und Selbstsucht errichtet worden war, liegt umgestürzt …“

Am 11.3.1848 wird dann „die Französische Republik“ erstmals Aufmacher des Blattes, mit großem Pathos: „Das Unerwartete ist geschehen: Ludwig Philipp ist vom Throne Frankreichs auf demselben Wege herabgestiegen, auf dem er ihn erklimmt hatte, und Gott hat es gethan, der die Gewaltigen vom Stuhle stößt und die Niedrigen erhöht…“ Was die Zeitung in ihrem Leitartikel vor allem interessiert: Wird es wieder Krieg mit Deutschland geben wie 1792? „Nichteinmischung Deutschlands in die Angelegenheiten Frankreichs“ müsse nun die Devise sein. Offenbar ist es selbstverständlich, dass sie die schreibenden Bürger den Kopf der Fürsten zerbrechen und gute Ratschläge erteilen.

Erst der zweite Gedanke des Autors gilt der „ganz anderen Frage“: Welche Aussicht hat die Republik in Frankreich selbst?“ Er findet diese „sehr zweifelhaft“, obwohl doch „die Völker sehr gelehriger als die Fürsten (sind)“. In den Forderungen des Volkes finde sich nichts, „was dasselbe nicht mit dem vollsten Rechte fordern dürfte“. Die Hindernisse für den Erfolg der Republik lägen „nicht im Volk“, sondern „im Nationalcharakter der Franzosen“, im Ehrgeiz der Männer der Politik.  Und dann bricht der Schweizer in dem Autor Johann Jakob Weber durch: Wenn Frankreich ein dezentraler Bund „freisinniger“ Gemeinden und Provinzen geblieben wäre, dann hätte es nicht zur Revolution kommen müssen. Dahinter steht die alte Auffassung: Nur kleine Gemeinschaften lassen sich „republikanisch“ regieren, nicht ein Zentralstaat wie Frankreich.  Die erfolgreichen Vereinigten Staaten von Amerika sind ihm da ein Vorbild.

Während die Ereignisse in Paris dann auf den Seiten 3 und 4 ausführlich geschildert werden, kommt das Blatt erst Seite 9 auf die Ereignisse in Berlin. Eine Protestkundgebung „vor der Stadt“ hatte in einer „Adresse an Se. Majestät den König“ schlicht die Revolution gefordert:
„1. Unbedingte Preßfreiheit;
2. vollständige Redefreiheit;
3. sofortige Amnestie aller wegen politischer oder Preßvergehen Verurteilter;
4. freies Versammlungs und Vereinigungsrecht;
5. Geschworenengerichte und Unabhängigkeit der Richter;
6. Verminderung des stehenden Heeres und Volksbewaffnung mit freier Wahl der Führer;
7. gleiche politische Berechtigung aller ohne Rücksicht auf religiöses Bekenntnis und Besitz;
8. allgemeine deutsche Volksvertretungen;
9. schleunigste Einberufung des Vereinigten Landtages.“
Zu der Protestkundgebung und diesem revolutionären Programm gibt es keinen Kommentar des Herausgebers, nur den Hinweis: „Die Adresse trägt schon mehrere tausend Unterschriften.“ 

In der folgenden Ausgabe vom 18.3.1848 finden wir lange Berichte über Frankreich, aber von den oppositionelle Volksversammlungen in Berlin, die Freiheitsrechte von der preußischen Monarchie forderten und gegen die vom 13. März 1848 an Militär vorging – noch nichts.

Am 18. und 19. März kam es zu Barrikadenkämpfen mit mehreren hundert Todesopfern, König Friedrich Wilhelm IV. sah sich schließlich gezwungen, das Militär aus Berlin abzuziehen und den Demonstranten politische Zugeständnisse zu machen.  Vielleicht war die Zeit zu knapp bis zum Druck der folgenden Ausgabe, die Illustrirten Zeitung vom 25.3. jedenfalls erscheint mit einem großen Foto von der Flucht des französischen Königs auf. 

1848 Was wir habender Text auf der Titelseite bezieht sich allgemein auf die deutschen Zustände unter der Überschrift: „Was wir brauchen“. Das breite „Wir“ des Leitartikels unterstreicht, dass hier der Herausgeber spricht. Der Text enthält nichts Konkretes zu den Berliner Ereignissen.

Seite 4 wird dann aus Wien berichtet: „Aus unserem friedlichen heitern Wien ist ein Tummelplatz wilder Leidenschaften, vielleicht der Rand eines Abgrunds geworden …“ ein vergleichsweise kurzer Korrespondentenbericht vom 13. März, Barrikaden, das Militär schreitet ein.
Und dann jubelt der Korrespondent aus Wien in seiner Notiz vom 16.3.1848: „Österreich wird beschlossenermaßen aufhören, eine unumschränkte Monarchie zu ein, ein Herrscher hat ihm die Constitution gegeben! Gibt es noch etwas Unmögliches auf Erden? Können ich binnen 3 Tagen, sage drei Tage, wunderbarlichere Dinge zutragen? Welch ein ungeheurer Wechsel der Dinge! Ja, es gibt in der That auch in der Natur Sprünge. Heute unumschränkt, und übermorgen constitutionell, heute in der Burg der Ahnen bedroht, von zum Aeußersten entschlossenen, ja bereits auf Sturm und Angriff sinnenden Tausenden, und morgen von den selben Tausenden und aber Tausenden auf den Händen getragen, vergöttert, zum Himmel erhoben, gepriesen und angebetet. Da, da lesen Sie an allen Straßenecken das Hosianna des Volkes: Hoch! hoch! hoch! unser constitutioneller Kaiser!

Ganz Wien schwimmt seit gestern Abends in Jubel und Entzücken, mit Ausnahme jener Stätten des Unglücks, wo das Verbrechen, die Freiheit nach einer Weise deutend, in toller Wildheit rast.“  Hier wird das Einlenken des Königs nicht mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen in Verbindung gebracht, sondern scheint seiner Einsicht zu entspringen.

Erst auf Seite 9 kommt das Blatt auf die Ereignisse in Berlin zurück, sachlich, zurückhaltend. „Berlin hat eine blutige Revolution durchgefochten und der König hat sich veranlaßt gefunden, um den Thron zu retten, alle Forderungen des Volkes gut zu heißen.“ Mit den „deutschen Farben“ schwarz-rot-gold sei er erschienen und habe in einer Rede an das versammelte Volk erklärt, er wolle „keine Fürsten vom Throne“ stürzen, sondern die „Wiederherstellung der Einigkeit Deutschlands“. Kein besonderer Kommentar.

Und was passierte in Leipzig, am Erscheinungsort der Illustrirten?

Als am 29. Februar 1848 die Nachricht von der Revolution in Frankreich in Leipzig eintraf, wurde für den nächsten Tag eine Sitzung des Stadtrats einberufen. In ihr forderte Robert Blum von den Deutschen Katholiken den Sturz der sächsischen Regierung. Er konnte sich mit seinem Antrag jedoch nicht durchsetzen. Der Liberale Karl Biedermann fand dagegen mit seinem moderateren Vorschlag eine Mehrheit; er wollte einen Brief an den sächsischen König aufsetzen, in dem Pressefreiheit und eine Volksvertretung am Bundestag in Frankfurt gefordert werden sollten. Blum forderte im Schützenhaus vor etwa 1.000 Anwesenden demokratische Grundrechte, wie das allgemeine Wahlrecht.

Die Illustrierte Zeitung berichtet am 25.3. nur sehr knapp über die Ereignisse, Kommentar: „In ganz Sachsen ist seit voriger Woche die Ruhe nicht einen Augenblick gestört worden.“  Und unter der Rubrik „Kurze Nachrichten aus Heimat und Fremde“ steht auf der vorletzten Seite in der Ausgabe eine kurze Bemerkung, die viel über das Selbstverständnis der Zeitung aussagt:

1848 Leipzig

Am 1.4.1848 geht es in dem Aufmacher wieder um das Proletariat im Allgemeinen. Es hat Fabrikzerstörungen gegeben in Solingen. Die Illustrirte versteht ihren politisch-philosophischen Leitartikel ausdrücklich als eine „Warnung“ an die Arbeiter: „Wie ist es möglich, dass vernünftige Arbeiter sich mit den Inhabern der Capitalien, ihren Ammen und Nährerinnen verfeinden und ihre Hand zur Vernichtung von Capital darbieten können, ohne welches keine Arbeitsstätte“ existieren und „keine Löhne gezahlt werden können?“ Der Schlussgedanke des Essays: „Der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der sich am Eigenthum seines Nächsten vergreift.“

Das Ende der Revolution - die Illustrirte begrüßt Ruhe und Ordnung

Das Interesse für die politischen Unruhen ist in der Illustrirten Zeitung mit den Ereignissen des Jahres 1848 gewachsen, mehr als einmal bekennen die Korrespondenten, dass ihnen schwindelig werden könne angesichts der Schnelligkeit des Veränderungsprozesses. Über des Ende der Revolution findet sich in der Illustrierten Zeitung eher wenig.
Anfang Mai 1849 in ganz Sachsen Paraden der Kommunalgarden für die Reichsverfassung anberaumt. Am 3. Mai 1849 stürmten Menschen das Dresdner Zeughaus. In der Stadt wurden Barrikaden errichtet, aber nur wenige Kommunalgarden anderer sächsischer Orte folgten dem Aufruf, den Dresdenern zu Hilfe zu kommen. So hatten die Aufständischen keine Chance gegen die Übermacht der sächsischen und preußischen Soldaten.

Johann Jakob Weber präsentiert sich am 12.5.1849 einmal mehr als politisch-philosophischer Kommentator. Unter der Überschrift „Der Kampf der Völker und der Mächte“ heißt es: „Nur dann kann dieser Kampf einen guten Ausgang nehmen, wenn die Mächte den Völkern ihr volles, langentbehrtes Recht, aber nicht mehr, gewähren und die Völker den Mächtigen lassen, was ihnen gehört zum eigenen Wohle der Völker.“  Ein großer Holzschnitt von den Wachen der Aufständischen auf dem Dresdener Altmarkt ziert die Ausgabe vom 19.5.1849 – wie eine Reminiszenz an einen verlorenen Kampf.

1849 Biwacht der Aufständischen auf dem Altmarkt zu Dresden
Der Text unter dem Holzschnitt trägt die Überschrift „Der Bundesstaat Westdeutschland und das Reich”, Webers besonderes Interesse galt den juristischen Verfassungsfragen.


Am 19.5.1849 gibt es dann noch einmal ein allgemeines grundsätzliches Bekenntnis zu der „Zerstückelung Deutschlands“ und dem „deutschen Partikularismus“. 

Für die entfernten Sizilianer leistet sich die Zeitung in derselben Ausgabe eine klarere Sprache: Der geringe Widerstand bei der Unterdrückung des sizilianischen Aufstandes zeige, „daß ein Volk nicht frei zu sein verdient, wenn es seine Freiheit nicht zu behaupten weiß“. Das Lied, das die Zeitung diesmal druckt nach einem Text von Eduard Guth, endet auf die Verse: „sterben für die Freiheit – herrlicher Sieg“.

Erst drei Wochen später, am 25.6.1849, kommt die Zeitung in einem Korrespondenten-Bericht aus Dresden über die ersten Mai-Tage zu einer politischen Wertung der Ereignisse.  Die Begeisterung, für die Sache der Freiheit zu kämpfen, habe sich „irreleiten lassen zum Handeln, ehe der Weg der Verhandlung beendet war, ehe die Landesversammlung auch nur die Gründe des Königs gehört und geprüft hatte …“ Der Berichterstatter sieht die Schuld  bei der „herrschende Linken in der sächsischen Kammer“ und meint: „Das ist nicht der Weg, welcher Deutschland zur Einheit führt, das ist nicht der Boden, auf welchem die Freiheit gedeihen kann, und wenn die ernst der Aussaat nicht entspricht, so haben wir das weniger noch den Fürsten und ihren schlimmen Räthen, als dem Volke und seinen verblendeten Führern beizumessen…“ Es folgt die übliche detailreiche Darstellung der Ereignisse in Dresden – etwa in derselben Länge wie die daran anschließende Darstellung einer „neuen Art der Bienenzucht“.

Am 2.6.1849 erfolgte die weitere Berichterstattung über die Dresdener Ereignisse mit dem Fazit, dass der gewaltsame Aufstand „mit allen Mitteln bekämpft werden musste, wenn nicht Recht und Ordnung bedroht werden sollten“. Gleichzeitig beklagt der Berichterstatter, dass „der Sieg der gesetzlichen Ordnung von Seiten der Soldaten vielfach durch Plünderung sowie durch andere Handlungen getrübt worden ist, die sich wol durch die Erbitterung, welche durch den hartnäckigen Widerstand der aufständischen in ihren Reihen geweckt wurde, erklären, aber nicht rechtfertigen lassen… Wir hätten nicht geglaubt, in einer Zeit solcher sittlicher Verwilderung zu leben… Hoffen wir, dass der Aufstand in Dresden der republikanischen Partei überall eine Warnung sei, ihre Mittel nicht zu überschätzen und den Weg des Gesetzes nicht zu verlassen, der Fürsten und Völkern heilig sein muss, weil er der einzige ist, welcher zum Heile führen kann.“

1849 Zwinger in Dresden

Johann Jacob Weber selbst hatte nach 1848/9 nicht wie andere Zeitungsmacher unter politischer Repression zu leiden, er konnte seine Zeitung und sein Unternehmen bis zu seinem Tode 1880 fortführen. Die Zeitung bestand bis 1944, sie begleitete den Aufstieg und Erfolg des Nationalsozialismus mit einem positiv ästhetisierenden Bildmaterial. Im Jahre 1948 wurde der Verlag  in der Sowjetischen Besatzungszone enteignet.

 

    Texte zur Illustrirten Zeitung   MG-Link

    Die „Lola-Montez-Revolution” in München im Februar 1848 im Spiegel der Illustrirten  MG-Link

    Die Illustrirte feierte in ihrer 1000sten Ausgabe 1862 ihre Holzschnitt-Technik  MG-Link


    siehe auch:
    Die Gartenlaube   MG-Link
    Illustrierte fremde Welt - Welt der Illustrierten  MG-Link