Giambattista Vicos Sprachphilosophie
2015
Der Gelehrte Giambattista Vico aus Neapel (1668- 1744) gilt als der erste wirkliche Sprachphilosoph des neuzeitlichen Europas. Gegen Descartes und die Philosophie des reinen Denkens setzt er die Behauptung, dass die Sprache aus willkürlichen, kulturell gewachsenen Zeichen besteht. Philosophisches Denken kann daher nur historisch relativ sein. Die Welt des Geistes ist die der Kultur, und ihre Zeichen hat der Mensch gemacht. Der Mensch, am Anfang „bestione“, ein Wilder, hat sich seine Rationalität erarbeiten müssen in der Kulturgeschichte.
Diese Erkenntnis ist das Licht, das am Ende des finsteren Waldes leuchtet: „Aber in solch dichter Nacht voller Dunkelheiten, mit der die erste, von uns weit entfernte Vergangenheit bedeckt ist, erscheint das niemals untergehende ewige Licht jener Wahrheit, die sich keinesfalls in Zweifel ziehen lässt, nämlich dass diese gesellschaftliche Welt ganz gewiss von den Menschen gemacht worden ist.“
Sei Hauptwerk ist in erster Ausgabe 1725 erschienen: „Principj di una Scienza Nuova d'intorno alla commune Natura delle Nazioni“. Darin skizziert er die Sprach- und Geistesgeschichte der Menschheit: Am Anfang waren die Völker Poeten, sie haben in „caratteri poetici“ gedacht und gesprochen. Dieses theokratische Zeitalter kannte Gebärden, die mit ihren Bedeutungen verbunden waren: „eine stumme Sprache aus Gebärden und Körpern, die natürliche Beziehungen zu den Ideen haben sollten, die sie bezeichnen wollten“.
Die zweite Phase der Geistesgeschichte ist für Vico gekennzeichnet durch ein Denken in Ähnlichkeiten, Vergleichen, Bildern, Metaphern und natürlichen Beschreibungen.
Erst im dritten Zeitalter sprechen die Menschen in „von den Völkern vereinbarten Laut-Wörtern” (voci), deren absolute Herren die Völker sind. Sprache ist eine Vereinbarung der Völker, „convenute da' popoli“, diese Willkürlichkeit der Laut-Sprache macht sich frei von den abbildlichen, natürlichen visuellen Zeichen.
Aber nicht vollkommen frei: Die Sprache der Menschen kann ihren Ursprung in der Wildheit, diese Natürlichkeit, Visualität, Phantasie, Körperlichkeit nicht ganz abstreifen, es sei eine „boria dei dotti“, Anmaßung der Gelehrten, dies zu denken. Unter den scheinbar willkürlichen Wörtern liegen die ursprünglichen phantasiegeschaffenen Bilder, sagt Vico.
nach: Jürgen Trabant, Mithridates im Paradies. Kleine Geschichte des Sprachdenkens (2003) Jürgen Trabant, Neue Wissenschaft von alten Zeichen: Vicos Sematologie (1994)
zur Macht der Sprache siehe auch die Texte auf dieser Medien-Gesellschafts-Seite
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