Klaus Wolschner               Texte zur Geschichte und Theorie von Medien & Gesellschaft

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I
Medien-
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was wir sehen

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Schriftmagie Cover

Über die Mediengeschichte der Schriftkultur und ihre Bedeutung für die
menschliche
Wirklichkeits-Konstruktion im  Jahrhundert des Auges

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Luther - der Eiferer und Fundamentalist

Martin Luther hat – ähnlich wie Johannes Gutenberg - die Medienrevolution,
für die er wichtige Anstöße gegeben hat, nicht gewollt.

2016

Martin Luther war ein religiöser Fundamentalist. Während Erasmus von Rotterdam (1465 – 1536) am Ende des 15. Jahrhunderts ein herausragendes Beispiel für die Kultur des  toleranten Skeptizismus ist, die sich in der europäischen Elite verbreitete, war Luther ein Eiferer.  Beide korrespondierten ab 1519 und machten ihre Briefe öffentlich. Erasmus riet zur Mäßigung – auch gegenüber der Katholischen Kirche und dem Papst: „Meines Erachtens kommt man mit bescheidenem Anstand weiter als mit Sturm und Drang." (1519) Erasmus hielt die römisch-katholische Kirche für so fest in der Gesellschaft verankert, „dass man sie nicht plötzlich aus den Herzen reißen kann". Luther hielt dagegen: „Wer den Erasmus zerdrückt, der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig!“

Es gibt viele Beispiele für Luthers zeitgenössische Intoleranz.
Die Vernunft bezeichnet Luther als „des Teufels Hure“. Die Astronomie des Kopernikus lehnt Luther ab, weil sie der Bibel widerspricht. Sein Antisemitismus steigerte sich in Vernichtungs-Vokabular. Luther: „Ein solch verzweifeltes, durchböstes, durchgiftetes, durchteufeltes Ding ist’s um diese Juden, so diese 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind. Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen.“
Luther begründet keinen auf das Individuum bezogenen, sondern einen autoritätshörigen Protestantismus. „Der Esel will Schläge haben, und der Pöbel will mit Gewalt regiert sein. Das wusste Gott.“ Die Lutheraner erkannten mit dem Augsburger Religionsfrieden (1555) das Motto „Cuius regio, eius religio“ an. Untertanen, die nicht der Konfession des Landesherrn folgen wollten, konnten in Begleitung ihrer Familie und unter Mitnahme ihres Eigentums auswandern.
Luther hat den Hexenwahn und die Hexenverfolgung gefördert: „Die Zauberinnen sollen getötet werden, weil sie Diebe sind, Ehebrecher, Räuber, Mörder …“ Die Hexenverfolgungen in den protestantischen Gebieten waren oft schärfer als in katholischen Gegenden.
Auch Luthers Frauenbild war von seiner Zeit geprägt:  „Wer mag alle leichtfertigen und abergläubischen Dinge erzählen, welche die Weiber treiben. Es ist ihnen von der Mutter Eva angeboren, dass sie sich äffen und trügen lassen.“

Luther hatte eigentlich keinerlei Interesse an einer orthografischen Vereinheitlichung der Sprache – er war ein Sprachgenie, ein poetisches Talent und seine Lust an expressiver Schreibweise und dem Spiel mit der Sprache kommt in seinen Briefen zum Ausdruck. Luther kannte und anerkannte am Anfang keine Sprach-Normen, er schrieb, wie es ihm in den Sinn kam und wie er es für gut befand.

Als Luther sich 1522 zwangsweise in der Wartburg verstecken lassen musste und versteckte, hatte er viel Zeit. Er hatte die Bibel des Erasmus von Rotterdam  dabei, der 1516 eine Revision der lateinischen Vulgata-Bibel vorgenommen hatte. Da waren die Texte des Neuen Testaments zweispaltig gedruckt, griechisch und lateinisch, das Lateinische aber in der wortschönen Sprache von Cicero und Cäsar.   LutherBibel

 

 

 

 

 

 

 

Luther-Bibel

 

 

 


Im Zuge der religiösen Bewegungen seit dem 12. Jahrhundert hatte es immer wieder Versuche gegeben, die Bibel in die Sprachen der Laien zu übersetzen. 1199 untersagte Papst Innozenz III. ausdrücklich die Bibellektüre bei privaten Zusammenkünften, auch der Besitz des Alten und Neuen Testaments wurde Laien untersagt. 1234 erklärten die spanischen Bischöfe auf der Synode von Tarragona jeden zum Ketzer, der eine romanische Übersetzung der Heiligen Schrift besaß und diese nicht innerhalb umgehend zur Verbrennung ablieferte.
1376 verfügte Papst Gregor XI., Schriften über die Bibel dürften nur unter der Leitung der Kirche verfasst und verbreitet werden, damit sollte die Deutungshoheit der Kirche gewahrt werden. Wenzel von Luxemburg, der Namensgeber der Wenzelsburg in Prag, bis 1400 römisch-deutscher König und bis zu seinem Tod 1419 König von Böhmen, ließ dennoch eine deutsche Übersetzung der Bibel in prächtiger Handschrift anfertigen.

Der Reformator von Prag, Jan Hus, beklagte, dass das Volk die heilige Schrift nicht lesen sollte. Jan Hus hatte kurz vor seiner Verbrennung 1415 auf dem Konstanzer Konzil angekündigt: „Jetzt verbrennt ihr eine Gans, aber aus ihrer Asche wird ein Schwan hervorgehen."
Zu Luthers Zeiten, einhundert Jahre später, war die neue Drucktechnik mit beweglichen Lettern erfunden, hunderttausende von Flugschriften trugen den reformatorischen Streit in jedes Dorf. Luther lebte in einer Zeit, in der die Schriftkultur sich ausbreitete und Lesefähigkeit sich entwickelte. Mit ihm konnte der Papst – abgesehen von den Rivalitäten der Fürsten - auch deswegen nicht so kurzen Prozess machen.
Zu Luthers Zeiten gab es mehrere volkssprachliche Übersetzungen der Bibel, die sich aber („sicherheitshalber“) sehr stark an den Vulgata-Text anlehnten und damit einigermaßen unlesbar waren. Dagegen richtet sich Luthers Bemerkung in seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“, man müsse „nicht die buchstaben inn der lateinischen sprachen fragen, wie man sol Deutsch reden, wie diese esel thun, sondern, man mus die mutter jhm hause, die kinder auff der gassen, den gemeinen man auff dem marckt drumb fragen, und den selbigen auff das maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetzschen, so verstehen sie es den und mercken, das man Deutsch mit jn redet."

Zwangsweise auf der Wartburg festgesetzt hatte er Zeit für diese Form der Übertragung. Später hat er immer wieder an der Übertragung gearbeitet, das Alte Testament war erst 1534 fertig.

Da die Wittenberger Druckerei von Hans Lufft das Interesse hatte, die Luther-Bibeln überregional zu verkaufen, wurde dort Luthers Orthografie korrigiert, grobe Inkonsequenzen wurden vereinheitlicht und mitteldeutsche Regionalismen ersetzt. Die Briefe, die Luther in späteren Jahren schrieb, zeigen weiterhin seinen „alten“ Stil und mischen auch ungeniert lateinische Worte in den Sprachfluss, wo Luther offenbar deutsche Übersetzungen nicht so schnell einfielen.

     
    Zum Thema der Sprachschöpfung Luthers siehe den Text
    „Eine neue Schrift-Sprache entsteht“
       MG-Link


    Zu dem Themenbereich siehe die Texte
    Gutenberg umzu  - die Erfindung des Buchdrucks als Triebfeder einer kulturellen Revolution  
    M-G-Link
    Schriftkultur im Mittelalter 
    Link
    Schrift-Magie im christlichen Mittelalter MG-Link
    Vor Gutenberg - Verschriftlichungsrevolution als Vorbereitung des Buchdrucks Link
    Wie die Wahrnehmung andere „gefesselt“ wird - Giordano Brunos Gedanken über 
       Medien-Wirkung im 16.Jahrhundert 
    M-G-Link
    Wie der Buchdruck als neues Medium die geistige Kultur und damit die Gesellschaft verändert  M-G-Link
    Die Gutenberg-Medienrevolution findet erst mit der Reformation ihre erste „message” Link
    Reformation als europäisches Medienereignis  (Marcel Nieden)  Link
    Der Buchdruck und das ICH    MG-Lnk