Notizen zu Martin Buber
2023
Nachdenken über den Menschen kann für den jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber (1878–1965) in der verdinglichten Sprache nur zu verdinglichten Ergebnissen führen. Er formuliert seine Philosophie daher in einer poetischen Sprache. Am Anfang der sprachlichen Kommunikation standen nicht Begriffe (oder „Ideen“), sondern Worte für Tätigkeiten – dies versucht er in seinem Lebenswerk, der Übertragung der Thora-Schriften in eine angemessene deutsche Sprache, umzusetzen. „Alles in der Schrift ist echte Gesprochenheit“, und: „Was im Sprechen entstanden ist, kann nur im Sprechen je und je wieder leben, ja nur durch es rein wahr- und aufgenommen werden.“
Zur Biografie:
1878 als Kind jüdischen Eltern in Wien geboren 1881 Trennung seiner Eltern, der dreijährige Martin kommt zu seinen Großeltern nach Lemberg/Galizien. Martin Buber sah seine Mutter nur ein einziges Mal wieder 1896 Rückkehr nach Wien zum Studium. Er studierte Nationalökonomie, Philosophie, Germanistik, Kunstgeschichte, Psychiatrie und Psychologie in Wien, Leipzig, Zürich und Berlin 1923 erschien sein philosophisches Hauptwerk, „Ich und Du“ 1924 bis 1933 lehrte Buber jüdische Religionslehre und Ethik in Frankfurt a.M. 1924 hielt er auf dem Monte Verità einen Tao-te-jing-Kurs 1938 in der Pogromnacht wurde das Haus Bubers in Heppenheim an der Bergstraße mit seiner großen Bibliothek geplündert. Martin Buber befand sich auf einer Vortragsreise kehrte nicht nach Deutschland zurück, er reiste direkt nach Jerusalem. Er war Anhänger von Theodor Herzl, zog 1942 aber gemäß seiner Idee vom friedlichen Zusammenleben zwischen Palästinensern und Juden in den arabischen Stadtteil Jerusalems 1965 starb Buber in Jerusalem.
Dialogische Philosophie, das „Ich-Du“
Für Martin Buber muss man den Menschen aus der Fülle seiner Beziehungsmöglichkeiten begreifen. Personalität gibt es nicht „an sich“, der Mensch ist geprägt durch Dialog und Begegnung. Person-Sein lässt sich nicht als etwas Statisches und Faktisches auf den Begriff bringen. Die Person aktualisiert sich in ihren Beziehungsmöglichkeiten - so „wie die Melodie nicht aus Tönen sich zusammensetzt, der Vers nicht aus Wörtern und die Bildsäule nicht aus Linien“. Die Beziehungsfähigkeit des Menschen nennt Martin Buber „das eingeborene Du“. Somit bildet der Mensch seine Identität vornehmlich in Relation zu dem ihn Umgebenden – als „Ich-Du“.
In Bubers Sprache klingt das so: „Es gibt kein Ich an sich, sondern nur das Ich des Grundworts Ich-Du und das Ich des Grundworts Ich-Es. (…) Ich sein und Ich sprechen sind eins. (…) Das Leben des Menschen besteht nicht im Umkreis der zielenden Zeitwörter allein. Es besteht nicht aus Tätigkeiten allein, die ein Etwas zum Gegenstand haben. Ich nehme etwas wahr. Ich empfinde etwas. Ich stelle etwas vor. Ich will etwas. Ich fühl etwas. Ich denke etwas. Aus alledem und seinesgleichen allein besteht das Leben des Menschenwesen nicht. All dies und seinesgleichen zusammen gründet das Reich des Es. Aber das Reich des Du hat anderen Grund. Wer Du spricht, hat kein Etwas zum Gegenstand. Denn wo Etwas ist, ist anderes Etwas, jedes Es grenzt an andere Es, Es ist nur dadurch, dass es an andere grenzt. Wo aber Du gesprochen wird, ist kein Etwas. Du grenzt nicht. Wer Du spricht, hat kein Etwas, hat nichts. Aber er steht in der Beziehung.“
Ein ständiges Leben im Ich-Du-Zustand ist nicht möglich, da der Mensch an dieser Gegenwärtigkeit auf Dauer „verbrenne". Der Mensch muss mit den Dingen und Menschen seiner Umgebung auch instrumentalisierend umgehen - als „Ich-Es“. Aber nur in der Ich-Du-Beziehung ist wirkliches Leben möglich.
Buber erklärt den Unterschied zwischen dem Ich-Es und dem Ich-Du am Beispiel des Baumes. Ein Waldbesitzer hat eine sachliche Beziehung, ein Ich-Es-Verhältnis zu den Bäumen. Aber wenn ein Großvater aus Freude über die Geburt seiner Enkelin für sie einen Baum pflanzt und das heranwachsende Kind immer wieder zu diesem Baum führt und das jährliche Wachstum des Baumes markiert, entwickelt das Kind eine Ich-Du Beziehung zu dem Baum, die die beiden über den Tod des Großvaters hinaus verbinden kann.
Oder zum Beispiel die Liebe: „Der Wesensakt, der hier die Unmittelbarkeit stiftet, wird gewöhnlich gefühlhaft verstanden und damit verkannt. Gefühle begleiten das metaphysische und metapsychische Faktum der Liebe, aber sie machen es nicht aus; und die Gefühle, die es begleiten, können sehr verschiedener Art sein. Das Gefühl Jesu zum Besessenen ist ein andres als das Gefühl zum Lieblingsjünger; aber die Liebe ist eine. Gefühle werden ‚gehabt‘; die Liebe geschieht. Gefühle wohnen im Menschen; aber der Mensch wohnt in seiner Liebe.“ Die Liebe hat das Du nicht zum Gegenstand, „sie ist zwischen Ich und Du.“
Das Sprachspiel „Ich liebe Dich“ verweist nicht auf eine Gegebenheit, die benennbar wäre, sondern bewirkt die Bestätigung und Vertiefung der im Satz selbst angesprochenen Liebe. Bei dem Satz geht es nicht um eine sachliche Information, sondern um einen performativen Akt der Sprache.
Begegnungen zwischen Ich und Du sind nach Buber „lyrisch-dramatische Episoden, von einem verführenden Zauber wohl, aber gefährlich ins Äußerste reißend, … mehr Frage als Zufriedenheit hinterlassend, die Sicherheit erschütternd, eben unheimlich, und eben unentbehrlich. Da man aus ihnen doch in ‚die Welt‘ zurückkehren muß, warum nicht in ihr verbleiben? Warum das Gegenübertretende nicht zur Ordnung rufen und in die Gegenständlichkeit heimsenden? Warum … nicht Du sagen und Es meinen?“
Kritik an Sigmund Freud
Bubers kritische Anmerkungen zu Sigmund Freud sind vor allem in dem von Grete Schaeder herausgegeben „Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten“ verstreut. Buber spielte wohl früh mit dem Gedanken, sich in einem grundsätzlichen Werk mit Freud auseinander zu setzen. Lou Andreas-Salomé soll ihn aber gebeten haben, dies nicht zu tun mit der Begründung, die Psychoanalyse brauche noch Zeit, sich zu festigen. In den Jahren 1903-1904 hatte Buber wegen eines Freundes Sigmund Freud auf gesucht, er war von dieser Begegnung mit Freud tief beeindruckt. „Ihm war die Meeresstille der Seele eigen, ... eine ruhige Entschiedenheit und Überlegenheit. Mir ist es sonst nie so begegnet.“ Zwischen den beiden stand aber die Frage der jüdischen Identität. 1939 formulierte Buber: „Dass ein auf seinem Gebiet so bedeutender Forscher wie S. Freud sich entschließen konnte, ein so völlig unwissenschaftliches, auf grundlosen Hypothesen haltlos gebautes Buch wie Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939) zu veröffentlichen, ist verwunderlich und bedauerlich.“
Bubers grundlegende Kritik an der Psychologie ist, dass sie das Wesen und die Probleme des Menschen „psychisch“ erklärt, den Menschen als für sich seiend, als geschlossenes System zu verstehen versucht. Probleme von Menschen erscheinen dann als innerseelische Konflikte: „Wer den Menschen nur von seiner Psyche aus versteht, der verkennt seine dialogische Natur, denn in der Seele gibt es keinen Dialog! Alles Intrapsychische ist monologisch.“ Freud wolle die aus der „Fülle des Möglichen gespeiste Vielfältigkeit der Person auf schematisch überschaubare und überall wiederkehrende Strukturen zurückführen.“ Dabei sind auch scheinbar seelische „Phänomene dynamisch aus dem Faktum der Beziehung entstanden und nur durch dieses Faktum verständlich.“ Für Martin Buber war Freud ein Naturwissenschaftler, der sich bei seiner Interpretation des Psychischen auf klare Begrifflichkeit (eben die Begriffe der „Es-Welt“) stützen wollte. Die hydraulischen Modelle für den psychischen Apparat und seine Systematik wirken suggestiv plausibel. Aber für Buber lässt sich die Ich-Du-Welt mit den Begriffen der Es-Welt nur unzureichend beschreiben. Entscheidende Mitteilungen über den Menschen, so war Buber überzeugt, lassen sich nicht exakt wissenschaftlich, nicht theoretisch, sondern nur erzählend machen. Er widerspricht Freud auch hinsichtlich seiner Auffassung von Körper und Seele und fragt: „Ist der Mensch wirklich aus Körper und Seele zusammengesetzt? Fühlt man sich wirklich aus zweierlei bestehen? Ich nicht!“ Buber kritisiert die psychologischen Untersuchungsmethoden und Denkmodelle. Für Buber bekämpfen sich Geist und Trieb niemals, sondern hören aufeinander. Die objektivierenden naturwissenschaftlichen Methoden beruhen auf einer Form der Wahrnehmung, die ihr Gegenüber als Objekt betrachten. Die Psychologie nimmt also den Menschen zuerst aus seiner dialogischen Wirklichkeit heraus, um ihn dann als Objekt zu untersuchen. Bewusstseinsinhalte, die verdrängt werden, sind nicht einfach konserviert und können hervorgeholt werden können. „Wir haben keine Tiefkühlung, die die Fragmente konserviert, sondern dies Unbewusste hat sein Eigendasein, das wieder in physische und psychische Phänomene dissoziiert werden kann – aber das kann eine radikale Veränderung seiner Substanz bedeuten.“ Und: „Wenn das Unbewusste nichts Psychisches ist, das im Untergrund aufbewahrt wird, sondern eben ein Stück Körper-Seelen-Dasein, kann es überhaupt nicht hervorgeholt werden, wie es vorher war.“
Einfluss der chassidischen Lebenswelt
Buber beschreibt seine Jahre in Lemberg (1881-1896) nicht als glückliche Zeit, dennoch hat die chassidische Kultur ihn beeinflusst und er beschäftigte sich zeitlebens damit. Offenbar war er fasziniert von der Gemeinschaftlichkeit und der der ansteckende Freude am Leben in dieser Welt, er konstruiert daraus ein Idealbild des Jüdischen: „Im Judentum war, unbeschadet des Glaubens an ein ewiges Leben, stets die Tendenz mächtig, der Vollkommenheit eine irdische Stätte zu schaffen.“ Wer nicht diese Erfahrung der Freude am Leben und am Zusammensein mit anderen gemacht hat, so Buber, der redet von der chassidischen Lebenswelt wie ein Blinder von der Farbe oder eben wie ein Tauber von der Musik. Chassidismus bedeutete für ihn „Freude an der Welt wie sie ist, am Leben wie es ist, an jeder Stunde des Lebens in der Welt.“ Religiosität und religiöse Praxis sind ein Teil dieses gemeinschaftlichen Lebens, in Bubers Worten: „Die Welt, in der du lebst, so wie sie ist, und nichts anderes, gewährt dir den Umgang mit Gott, ihn, der dich und das in der Welt weilende Göttliche, soweit es dir anvertraut ist, zugleich erlöst. … Empöre dich nicht wider deine Begierden, sondern fasse sie und binde sie an Gott: nicht töten sollst du deine Leidenschaft, sondern sie heilig wirken und heilig ruhen lassen in Gott.“ Das Bedürfnis nach Transzendenz entsteht aus der Unvollkommenheit der Ich-Du-Begegnung.
„Gottesfinsternis“.
Buber war zutiefst religiös und gleichzeitig absolut kritisch gegenüber den institutionalisierten Religionen. In seinem Buch „Gottesfinsternis“ kritisiert er den Missbrauch, der in der gesamten Theologie- und Kirchengeschichte mit dem Wort „Gott“ betrieben wurde: „Welches Wort der Menschensprache ist so missbraucht, so befleckt, so geschändet worden wie dieses GOTT.“ Gott ist für ihn eine Ich-Du-Dimension, die aus der Begrenztheit menschlicher Ich-Du-Begegnungen erwächst. Reale zwischenmenschliche Beziehungen sind immer unsicher, flüchtig, nie ganz gefestigt. Über ihnen liegt der Schatten der Vergänglichkeit. „Der Sinn für das Du ... kann nicht gesättigt werden“, jedes einzelne „Du" weckt so die Sehnsucht auf ein ewiges „Du", eine Sehnsucht nach Fülle, Zuneigung und Verständnis, die nur ein fiktives Du erfüllen kann. Buber verwendet dafür das Wort „Gott“.
Buber und Heidegger, 1957
Martin Buber hat – wie Paul Celan, Hannah Arendt oder Karl Jaspers – immer die Hoffnung gehabt, Heidegger würde irgendwann den Mut aufbringen zu einer expliziten Auseinandersetzung mit seiner nationalsozialistischen Periode. Aus Respekt vor dem Philosophen vermieden die vier Freunde eine deutliche öffentlichkeitswirksame Kritik an Heidegger. Bubers „Ich und du“ ist vier Jahre vor Heideggers Sein und Zeit erschienen, dennoch hat Heidegger eine Auseinandersetzung mit Buber vermieden. Er hat ihn schlicht ignoriert. Zu Hannah Arendt sollte er später sagen: „Von der Philosophie hat er (Buber) offenbar keine Ahnung; er braucht sie für sich wohl auch nicht."
Zu einem offen ausgetragenen Streit kam es über das Thema Sprache erst 1956/57 in zwei Vorträgen, in denen Heidegger und Buber ihre Differenzen – wenn auch implizit - deutlich angesprochen haben. Heidegger hatte seine Rede (Der Weg zur Sprache, 1956) mit einem Zitat von Novalis begonnen: Die Sprache „spricht einzig und einsam mit sich selber.“ Gegen Ende der Rede insistierte Heidegger: „Die Sprache allein ist es, die eigentlich spricht. Und sie spricht einsam." Der Mensch könne an diesem „Sprechen der Sprache" nur teilhaftig werden, wenn er das „Geläut der Stille" aufnimmt, ihm „entspricht", es gewissermaßen nach-spricht.
Buber betonte dagegen in seiner Rede ein Jahr später den „dialogischen Charakter der Sprache“. Sprache entstehe im „Miteinander der lebenden Menschen, in deren persönlichem Sprachgewirk der Bestand sich jeweils aktualisiert. (…) Jeder Versuch, den präsenten Bestand einer Sprache als einen von ihren jeweiligen Sprechern abgelösten Zusammenhang zulänglich zu erfassen und zu erstellen, muss in die Irre führen.“ Wenn man Denken wesentlich als ein Sprechen des Menschen mit sich selber begreife, übersehe man, dass „das sogennante Gespräch mit sich selber erst von der Grundtatsache des Miteinandersprechens von Menschen aus möglich (ist), als dessen `Verinnerlichung´." Mit deutlicher Anspielung auf Heidegger erklärte Buber, dass „manche modernen – und das heißt eben oft: entsokratisierten Philosophen mit der Ganzheit ihrer Geisteswelt einer monologisierenden Hybris verfallen“. Damit erklärte Buber Heideggers gesamtes Denken mit seinem Zauber und seinem betörenden Sprachgestus als Teil des „Zerfalls", wo Heidegger selbst meinte, seine Philosophie könne dem europäischen Nihilismus und der Dehumanisierung des technischen Zeitalters entgegenwirken.
Buber bestreitet Heideggers philosophiegeschichtlichen Anspruch, den Irrweg der griechischen Philosophie mit der Rückkehr zu den Vorsokratikern zu korrigieren. Heideggers „Hybris“, seine solipsistische, monologisierende Grundhaltung fällt für Buber hinter das sokratische Prinzip des Dialogs zurück.
Literaturhinweise: Martin Buber, Ich und Du (1923) Agis Sideras, Martin Bubers Kritik an Martin Heidegger (2020) Wolfgang Pauly, Martin Buber - Philosoph des Dialogs Robert Wanldl, Therapeutische Aspekte bei Martin Buber (2002)
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